Gesundheitswesen 2004; 66(3): 135-136
DOI: 10.1055/s-2004-813016
Begrüßung

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

39. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGSMP, 24. - 27.9.2003, Greifswald: Bevölkerungsbezogene Gesundheitsforschung und Gesundheitsförderung

39th Annual Research Meeting of the Mecklenburg-Vorpommern DGS Society from 24 to 27 September 2003 in Greifswald: Population-Related Health Research and Health PromotionJ. G. Gostomzyk1
  • 1Präsident der DGSMP, Gesundheitsamt Augsburg
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Publication Date:
15 April 2004 (online)

Wir alle wissen um die schwierige wirtschaftliche Lage des Landes Mecklenburg-Vorpommern, einschließlich seiner beiden Universitäten. Umso dankbarer sind wir für die Bereitschaft der lokalen Vertreter unseres Faches, dass sie die erheblichen Belastungen auf sich genommen haben, die mit der Ausrichtung einer Jahrestagung verbunden sind. Über 250 angenommene Beiträge bestätigen die Attraktivität unserer Tagung. Die Zahl ist auch ein Hinweis auf den Umfang der Vorbereitungsarbeit, die von den Fachbereichssprechern, dem wissenschaftlichen Komitee und vor allem dem örtlichen Organisationskomitee zu bewältigen war. Um das Vortragsangebot des Kongresses nicht zu sehr durch viele zeitlich konkurrierende Darstellungen für den einzelnen Tagungsteilnehmer zu problematisieren, wird in diesem Jahr der Posterpräsentation breiterer Raum gegeben. Die Abstracts aller Kongressbeiträge sind bereits im September-Heft der Zeitschrift „Das Gesundheitswesen” abgedruckt. Den Herausgebern des Abstract-Bandes, Herrn Prof. Dr. U. John, Frau Monika Hanke und Herrn Prof. Dr. T. Kohlmann danke ich im Namen der Autoren und der Gesellschaft für ihre Arbeit.

Die aktuellen gesundheitspolitischen Aktivitäten, die unseren Sozialstaat zukunftsfähig ausrichten sollen, betreffen derzeit in erster Linie die Reformen im Gesundheitswesen. Nach Meinung von Thomas Gerlinger, Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin, ist auch nach der Einigung von Regierung und Opposition vom Juli 2003 eine sozial akzeptable Finanzierung der Krankenversicherung noch nicht in Sicht. Vielmehr sieht er die Patienten in der Privatisierungsfalle. Die Antworten auf viele offene Fragen sind noch zu geben. Was ist sozial? Was ist gerecht? Was ist sozial und gerecht? Was ist leistbar?

Seit August 2003 liegt ein „Erster Entwurf zu einem Eckpunktepapier zu einem Präventionsgesetz” vor. Das auf Bundesebene initiierte „Deutsche Forum für Prävention und Gesundheitsförderung” soll Gesundheitsziele definieren. Neben einem nationalen Aktionsplan sind solche auf Landes- und kommunaler Ebene vorgesehen. Die Gesundheitsdienstgesetze für den ÖGD sollen unterstützend wirken. Vorgegeben ist auch die Abstimmung von Sozialversicherung, Sozialhilfe und Prävention. Positiv stimmt, dass das Anliegen Präventionsgesetz grundsätzlich breite Zustimmung in Politik und Gesellschaft findet. Richtig ist, dass wir erst am Anfang einer systematischen Präventionsforschung stehen, die sich insbesondere mit Fragen der Machbarkeit zu befassen hat.

Im Hochschulbereich geht es in nächster Zeit um die Umsetzung der novellierten AOÄ sowie die Einführung neuer Didaktikformen, in erster Linie problemorientiertes Lernen in Kleingruppen. Die Beteiligung unseres Faches an den Q-Bereichen ist eine Chance für unser Fach, aber auch eine erhebliche Mehrbelastung. Hier sollte die Zusammenarbeit mit den Medizinischen Diensten und die Vergabe von Lehraufträgen gesucht werden, da eine Personalmehrung an den Universitäten gegenwärtig praktisch ausgeschlossen ist.

Auch die im Mai d. J. vom Deutschen Ärztetag beschlossene Muster-Weiterbildungsordnung bringt Neuerungen, beispielsweise der Facharztvorbehalt als Bedingung für die Zusatzbezeichnung „Sozialmedizin”. Für den einzelnen Arzt wird die WBO erst durch Beschluss der zuständigen Landesärztekammer rechtsverbindlich. Es erscheint notwendig, dass Sozialmediziner sich an den Diskussionen in den Landesärztekammern beteiligen, wenn es um die Zusatzbezeichnung „Sozialmedizin” geht. In diesem Zusammengang sei auf die erfreuliche Entwicklung der 1995 in Schwerin gegründeten Akademie für Sozialmedizin hingewiesen. Sie bietet Kurse an zur Zusatzbezeichnung „Sozialmedizin” und für den „Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen”. Die Akademie wird heute zu etwa gleichen Anteilen von Teilnehmern aus den alten und den neuen Bundesländern besucht.

Unser Tagungsort veranlasst mich zu einem kurzen Rückblick. Vor genau 10 Jahren hat der Vorstand der DGSMP an alle Fakultäten in den neuen Bundesländern nach dem Stand des Faches Sozialmedizin gefragt. Die C-3-Planstelle für Sozialmedizin in Greifswald war unbesetzt. Im Antwortschreiben wurde mitgeteilt, dass von der Abteilung „Epidemiologie, Medizinische Soziologie und Gesundheitsförderung” im Institut für Hygiene und Umweltmedizin wichtige Beiträge für die Hinwendung zur „Community Medicine”, die das zukünftige Profil der Medizinischen Fakultät prägen soll, erwartet werden (Dr. Dr. Krethlow).

Diese Prognose hat sich offenbar erfüllt. Heute wird das Profil der Medizinischen Fakultät Greifswald vom Forschungsverbund Community Medicine geprägt. Das Institut für „Epidemiologie und Sozialmedizin” und das Institut für Community Medicine mit den Professuren für „Methoden der Community Medicine” sowie für „Versorgungsepidemiologie und Community Health” bilden eine in Deutschland bisher einmalige Forschungsplattform für bevölkerungsrelevante medizinische Fragestellungen. An diese Plattform werden hohe Erwartungen geknüpft. Bereits laufende Projekte befassen sich mit der Intervention bei süchtigem Verhalten, insbesondere bei Nikotin- und Alkoholkonsum in Bevölkerungsgruppen.

Forschungsgegenstand der Community Medicine ist offenbar die epidemiologische Evaluation der Beziehungen zwischen der gesundheitlichen Situation der Bevölkerung und ambulanten und stationären Versorgungseinrichtungen in einer Kommune, in einer Region. Besteht eine Abgrenzung zur Sozialmedizin, die sich mit sich mit den Wechselwirkungen zwischen Medizin und Gesellschaft befasst? Community Medicine erscheint mir als Teil der Sozialmedizin, sicher bin ich aber dahingehend, dass Community Medicine in die Tradition der sozialen Medizin in Deutschland im Sinne von Salomon Neumann, Rudolf Virchow, Adolf Gottstein u. a. gestellt werden kann. Daran ändert auch die Entstehung des Begriffs „Community Medicine” und seine Begründung aus dem Kommunitarismus in den USA als Gegenreaktion auf einen ungehemmten Liberalismus nichts.

Karl Popper (1902 - 1994), bekannt durch seine Philosophie des „kritischen Rationalismus” und sein Konzept der „offenen Gesellschaft”, schrieb in seinem Aufsatz Die öffentliche Meinung im Lichte der Grundsätze des Liberalismus: „Bloße Institutionen genügen nie, wenn sie nicht in der Tradition wurzeln … Traditionen sind notwendig, um eine Art Bindeglied zu schaffen zwischen Institutionen und den Intentionen und Wertbegriffen der Individuen.”

Die deutsche Geschichte der letzten 70 Jahre, bei kritischer Würdigung auch die der Universitäten und speziell der medizinischen Fakultäten, bestätigen die Popper’schen Thesen. Für die hier konkret angesprochene Entwicklung ist meiner Meinung nach noch zu prüfen, welche importierten Begriffe der Bevölkerung vermittelbar sind, wenn sie versorgungsrelevant werden sollen. Ich verweise dabei auch auf unsere Podiumsdiskussion zu Public Health auf diesem Kongress.

Der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, bei der wir zu Gast sind, dem lokalen Organisationskomitee, für das ich stellvertretend Herrn Prof. John und Herrn Prof. Kohlmann nenne, sowie den vielen ungenannten Helfern bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung gilt unser herzlicher Dank für ihre Mühe und Arbeit.

Unserer Tagung wünsche ich ein gutes Gelingen, gute Gespräche und einen interessanten Aufenthalt in der so schön restaurierten Stadt Greifswald.

Prof. Dr. med. J. G. Gostomzyk

Gesundheitsamt

Hoher Weg 8

86152 Augsburg

Email: johannes.gostomzyk@a-city.de

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