Zentralbl Chir 2004; 129(1): 1-3
DOI: 10.1055/s-2004-44876
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Was kann und muss eine Arbeitsgemeinschaft für Qualität im Auftrag einer wissenschaftlichen Fachgesellschaft leisten?

What are the Expectations in a Working Group for Quality on Behalf of a Scientific Society?M. Ziegler
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Publikationsdatum:
10. März 2004 (online)

Mehrere wissenschaftliche Fachgesellschaften haben Arbeitsgruppen gegründet, die sich mit Fragen der Qualität und deren Verbesserung befassen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie verfügt mit der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung (CAQ), die bereits auf über 10 Jahre Tätigkeit zurückblicken kann, über eine solche Arbeitsgruppe.

In diesen Jahren haben sich die Themen und Bedingungen für diese Arbeitsgemeinschaften gewandelt. Was sind heute deren vordringlichste Aufgaben? Wie kann dem Anliegen zur Qualitätsverbesserung in der Medizin gedient werden in der Weise, dass Einsicht und Anreize die Motoren des Handelns sind und nicht äußere Zwänge?

Am Beispiel der CAQ kann das dargestellt werden, was aber zweifelsohne auch für verwandte Arbeitskreise anderer Fachgesellschaften gilt.

Das in Deutschland wohl meistverwendete Wort für qualitätsverbessernde Maßnahmen oder Elemente derselben ist „Qualitätssicherung”. Er wurde in der Medizin von Schega, Selbmann und Flöhl als freundlicher Ersatz der Bezeichnung „Qualitätskontrolle” eingeführt - das kann man anhand des Archivs der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachvollziehen, wo er mit der Berichterstattung über den Chirurgenkongress 1977 erstmals auftauchte. Dieser Kongress war der Erste, der sich direkt mit dem Thema „Qualität in der Chirurgie” auseinander setzte.

Diese Begriffsbesetzung war nicht ohne Folgen: Es gab eine Reihe von Personen in der Chirurgie, die sich vehement gegen eine „Qualitätskontrolle” aussprachen, aber gegen eine „Qualitätssicherung” nichts einwenden konnten. Denn wie sollte man auch eine Ablehnung der „Qualitätssicherung” begründen? Dass man für eine „Qualitätsverunsicherung” sei oder für die Gewährleistung von schlechter Qualität?

Den Wortbestandteilen „Qualität” und „Sicherung” war sprachlich nichts entgegenzusetzen, der offene Widerstand war gebrochen. Es kann aber bezweifelt werden, dass dieser semantische Kunstgriff tatsächlich auf breiter Linie dazu geführt hat, dass Qualitätsverbesserungsmechanismen eingeführt bzw. intensiviert wurden (Abb. [1]).

Abb. 1 Deutschsprachige Publikationen mit den Key words…

Nach anfänglichem Zögern setzte übrigens ein Boom in der Verwendung des Begriffs „Qualitätssicherung” ein: Wenn man die Anzahl der deutschsprachigen Artikel mit den Stichworten „quality assurance” und „quality management” in der National Library of Medicine ermittelt, dann ergibt sich ein zunehmender Anstieg der Häufigkeit von Anfang der 80er-Jahre bis 1997, gefolgt von einem Absinken auf knapp über 50 % des Spitzenwertes.

Es gibt übrigens nur wenige Publikationen mit dem Stichwort „quality assurance” außerhalb von Deutschland. Das hängt mit der vorhin skizzierten speziellen deutschen Verwendung des Begriffs zusammen.

Im internationalen und industriellen Bereich versteht man unter Qualitätssicherung etwas anderes: In der ISO 8402 von 1995 wurde sie definiert mit: „Alle geplanten und systematischen Tätigkeiten, die innerhalb des QM-Systems verwirklicht sind, und die wie erforderlich dargelegt werden, um ausreichendes Vertrauen zu schaffen, dass eine Einheit die Qualitätsforderung erfüllen wird.” Das ist also die Kontrolle (= Messung) der Güte des Produkts während seiner Entstehung und die Darlegung der Messergebnisse gegenüber dem Kunden, um sein Vertrauen zu gewinnen, dass seine Anforderungen erfüllt sind.

In der neuen ISO 9000 vom Dezember 2000 heißt es: „Qualitätssicherung (quality assurance): Teil des Qualitätsmanagements, der auf das Erzeugen von Vertrauen darauf gerichtet ist, dass Qualitätsanforderungen erfüllt werden.”

Hier wird also offen gelassen, mit welchen konkreten Methoden das Vertrauen erworben wird.

Eine „externe Qualitätssicherung” in der Medizin entspricht international am ehesten dem Begriff „Benchmark”.

Von der ISO wird - wegen des Bedeutungswandels und der damit verbundenen Unklarheiten - übrigens empfohlen, den Begriff „Qualitätssicherung” überhaupt nicht mehr zu verwenden.

Allen Qualitätsverbesserungsmaßnahmen, die zu stetigen und fortschreitenden Verbesserungen führen sollen, muss ein Regelkreis zugrunde liegen, wie er Bestandteil aller etablierten Qualitätsverbesserungsmodelle ist.

In unserem Kulturkreis wurde das zuerst 1924 formuliert durch Walther Andrew Shewhart (1891-1967), der die wiederholte Anwendung der Elemente Specification, Production, Inspection als notwendig beschrieb. Neu war, für das Element Inspektion die Zuhilfenahme statistischer Methoden zu fordern (Abb. [2]).

Abb. 2

Von seinem Schüler Williams Edward Deming (1900-1993) wurde der Shewhart-Kreis zur Klarstellung um das Element des Handelns (Act) erweitert und wurde an seiner Wirkungsstätte in Japan als Deming-Kreis oder PDCA-Zyklus (Plan-Do-Check-Act) bekannt (Abb. [3]).

Abb. 3

Später fand Deming, dass das Wort „Check” einen falschen Beigeschmack hatte (eine Parallele zur Ablehnung der „Qualitätskontrolle”) und änderte es in „Study” (Abb. [4]).

Abb. 4

Diese Idee einer kontinuierlichen Verbesserungsstrategie ist auch Kernidee des „kontinuierlichen Verbesserungsprozesses” (KVP) oder „continuous quality improvement” (CQI).

Eine ähnliche Bedeutung hat auch der japanische Begriff „Kaizen”. Er entspringt dem japanischen Wunsch nach langsamem evolutionären Fortschritt ohne revolutionäre Sprünge.

Es bleibt aber die Tatsache, dass das Element „Kontrolle” im Qualitätskreis vorkommt und vorkommen muss und dass jede „Qualitätssicherung”, wie sie immer auch beschaffen sein soll, nicht ohne eine regelmäßige Darlegung der erzielten Ergebnisse auskommt.

Wenn man die Publikationen mit dem Schlagwort „quality assurance” daraufhin untersucht, ob sie sich überhaupt im engeren Sinne mit der Qualitätsverbesserung an sich befassen, dann muss man feststellen, dass es sich nur um einen kleinen Teil davon handelt.

Ansonsten kann man eine verbale Aufrüstung konstatieren - auf viele medizinische Erkenntnisse wird nun zusätzlich das Etikett „Qualitätssicherung” geklebt, obwohl es sich nicht um Erkenntnisse über die Methodik der systematischen Qualitätssteigerung handelt.

Ein wünschenswerter Beitrag der sich mit Qualität befassenden Arbeitsgruppen der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften wäre hier die Definition von Begriffen. Dabei muss man das Rad nicht neu erfinden, es würde ausreichen, sich auf vorhandene Definitionen zu beziehen. Unverzichtbar ist aber die Klarstellung, dass systematische und dauerhafte Qualitätsverbesserungen immer mit der Anwendung zyklischer Verbesserungsverfahren verbunden sein müssen.

So sind die Erhebungen der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS) oder Überprüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Elemente des Qualitätskreises (= Check), stellen aber keinen gesamten zyklischen Verbesserungsprozess dar. Hier muss die Öffentlichkeit und die Politik darauf hingewiesen werden, dass nicht die Menge der durch die BQS erfassten Diagnosen/Therapien das Ausmaß der Qualitätsverbesserung repräsentiert, sondern die Frage, ob die gewonnenen Daten zur Anwendung in zyklischen Qualitätsverbesserungsprozessen geeignet sind und dafür tatsächlich genutzt werden.

Das derzeitige Gesundheitssystem in Deutschland ist nicht besonders qualitätsfördernd. Das gilt insbesondere für die eingebauten oder, besser gesagt, nicht eingebauten Qualitätsregelmechanismen.

Wenn sich ein Chirurg fragt, welche Rezidivquote die von ihm operierten Leistenhernien aufweisen, ob er damit über oder unter dem Durchschnitt liegt, was diejenigen anders machen, die bessere Ergebnisse aufweisen, wird er keine Antwort finden.

Stattdessen werden Daten gesammelt, die nur ersatzweise die Qualität der Krankenversorgung beschreiben, wie die durchschnittlich erforderlichen Liegetage im Krankenhaus oder die Anzahl der in einem Krankenhaus durchgeführten Eingriffe.

Wenn man aber Ersatzparameter als Qualitätsindikatoren nimmt, dann wird der Qualitätskreis dazu genutzt werden, diese Parameter zu verbessern und nicht die Qualität.

Die Einführung der DRG wird den Druck auf die Krankenhäuser erhöhen, sich Regelkreise zu bedienen, um bestimmte Parameter den wirtschaftlichen Erfordernissen anzupassen. Insofern ist die Aussage richtig, dass sich die Einführung von „Qualitätsmanagement” lohnt.

Welche Parameter werden aber im Mittelpunkt der Bemühung stehen? Neben der Optimierung der Abläufe im Krankenhaus (das wäre ein wünschenswertes Ergebnis) werden es z. B. auch die schnelle Entlassung des Patienten und die Vermeidung von „überflüssigen” Leistungen sein (z. B. nicht unmittelbar mit dem Behandlungsauftrag verbundene Diagnostik).

Durch die sektorale Aufteilung des Gesundheitswesens werden die erforderlichen Leistungen nicht unbedingt da erbracht, wo sie sinnvollerweise am Besten angesiedelt sind, sondern es besteht der Druck, sie in einen anderen Sektor zu verlagern.

Diesen unerwünschten Wirkungen gesundheitspolitischer Maßnahmen wird entgegengewirkt mit Kontrollmechanismen wie Diagnosestatistik, Prozedurenstatistik, BQS-Erhebungen und MDK-Überprüfungen.

Das Vorhandensein lediglich einer externen Kontrolle für das Element „Check” ergibt noch keinen Qualitäts-Regelkreis. Solche Regelmechanismen müssen bei demjenigen angesiedelt sein, der eine Leistung erbringt. Transparenz für die Kunden ist ein geeignetes externes Steuerinstrument. Die Kontrolle durch Dritte kann nur eine Notlösung sein, man wird mit ihr allein keine Verbesserung erzielen, sondern höchstens qualitativ unzureichende Leistungsanbieter vom Markt ausschließen können. Allerdings wird eine solche Notlösung nur dann zu vermeiden sein, wenn aufseiten der Leistungserbringer tatsächlich Qualitätsverbesserungsverfahren etabliert sind.

Hier können und müssen die qualitätsorientierten Arbeitsgemeinschaften der Fachgesellschaften noch mehr als in der Vergangenheit Sachverstand und Impulse einbringen. Dazu sind erforderlich:

Sektorübergreifende Rückmeldung von Behandlungsergebnissen, damit Qualitätsregelkreise funktionieren können. Überwindung der sektoralen Trennung im Gesundheitswesen. Aufbau interner Qualitätsverbesserungsverfahren statt externer Kontrolle von Surrogatparametern.

Die CAQ ist eine der größeren Arbeitsgemeinschaften der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Das ist erfreulich. Leider muss man aber auch konstatieren, dass ca. 400 Mitglieder keine für die politische Einflussnahme relevante Größenordnung darstellen. Selbst die ca. 6 000 Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie sind da noch eine bescheidene Größe.

Ohne eine Vernetzung der thematisch auf dem gleichen Feld tätigen Arbeitsgruppen der verschiedenen Fachgesellschaften wird es kaum gelingen, politischen Einfluss geltend zu machen. Außerdem ist die Zahl der mitwirkungswilligen Personen und ihre Leistungskapazität begrenzt. Parallelarbeiten, die womöglich noch Reibungsverluste nach sich ziehen, sind da nicht zeitgemäß.

Ein beispielhafter Schritt ist die Zusammenarbeit der CAQ mit dem Arbeitskreis Chirurgie der Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS). Diesem Anfang sollen noch weitere Kooperationen folgen.

Es steht außer Zweifel, dass die diversen im medizinischen Umfeld tätigen Arbeitsgemeinschaften zu qualitätsorientierten Themen ihre Arbeit koordinieren müssen, wenn sie die Chance auf Mitgestaltung im Gesundheitswesen wahrnehmen und nicht anderen überlassen wollen.

Priv.-Doz. Dr. med. Markus Ziegler

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