Suchttherapie 2003; 4 - 9
DOI: 10.1055/s-2003-822289

Standards und Leitlinien als Instrument für Qualifikation – Qualität – Qualitätssicherung

D Sonntag 1
  • 1Köln

Leitlinien sind international als Instrumente des Qualitätsmanagements akzeptiert [1]. Sie haben die Aufgabe, das vorhandene Wissen zu speziellen Versorgungsgebieten zu werten, gegensätzliche Standpunkte zu klären und unter Abwägung von Nutzen und Schaden das Vorgehen der Wahl zu definieren, wobei als relevante Zielgrößen (Outcome) nicht nur Morbidität und Mortalität, sondern auch Patientenzufriedenheit und Lebensqualität zu berücksichtigen sind [2]. Nach Vorstellung der ärztlichen Körperschaften und Fachgesellschaften dienen sie unter anderem der Minimierung von Handlungsrisiken und der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung. Nicht zuletzt sind sie ein integratives Mittel zur Vernetzung der verschiedenen Versorgungsbereiche [3].

Definitionen:

Leitlinien sind systematisch entwickelte Empfehlungen, mit dem Zweck, Ärzte und Patienten bei der Entscheidung über angemessene Maßnahmen der Krankenversorgung unter spezifischen klinischen Umständen zu unterstützen. Sie stellen somit Orientierungshilfen im Sinne von „Handlungs- und Entscheidungskorridoren“ dar, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder sogar muss. Von Leitlinien abzugrenzen ist dagegen der Begriff der „Richtlinien“. Er sollte Regelungen des Handelns oder Unterlassens vorbehalten bleiben, die im Rechtsraum einer legitimierten Institution verbindlich sind und deren Nichtbeachtung definierte Sanktionen nach sich zieht [4]. Der Begriff des „Standards“ wiederum beinhaltet die Beschreibung für den Prozess und das Ergebnis professioneller Normbildung in der Medizin. Kriterien des Standards sind das aktuelle systematische Wissen, die praktische Erfahrung und die Akzeptanz in der Profession [5]. Ähnlich dieser Begriffsbestimmung sind evidenzbasierte Leitlinien definiert. Sie zeichnen sich durch eine systematische Aufarbeitung und Zusammenstellung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz (z.B. systematische Reviews, Metaanalysen), eine exakte Dokumentation des Zusammenhangs zwischen der jeweiligen Empfehlung und der zugrunde gelegten Evidenz und durch die Auswahl der Schlüsselempfehlungen mithilfe formalisierter Konsentierungsverfahren aus [6].

Beurteilung der Qualität von Leitlinien:

Beim Einsatz von Leitlinien im Rahmen der Qualitätssicherung und des Qualitäts-managements stellt sich die Frage, wie deren Qualität ermittelt werden kann. Orientierend an bereits bestehenden Instrumenten [7,8] wurde 1999 die Checkliste „Methodische Qualität von Leitlinien“ entwickelt [9]. Mithilfe dieser Checkliste kann (1) die Qualität der Leitlinienentwicklung, (2) der Darstellung von Inhalt und Format und (3) der Anwendbarkeit der Leitlinie beurteilt werden. Mit dem Ziel einer umfassenden Qualitätsförderung von Leitlinien wurde darüber hinaus im gleichen Jahr ein Leitlinien-Clearingverfahren von der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen in Deutschland institutionalisiert. Dieses Leitlinien-Clearingverfahren dient der Information über Leitlinien sowie der Bewertung und der Unterstützung bei der Verbreitung von Leitlinien. Die drei Standbeine des Leitlinien-Clearingverfahrens sind die systematische Recherche nach deutsch- und englischsprachigen ärztlichen Therapieleitlinien eines konkreten, zuvor priorisierten Versorgungsproblems [10,11], die formale Bewertung mittels der o.g. Checkliste „Methodische Qualität von Leitlinien“ und eine inhaltliche Bewertung durch einen multidisziplinär zusammengesetzten Expertenkreis [12]. Bisher wurden mithilfe des Clearingverfahrens Leitlinien zu den Versorgungsproblemen Hypertonie, Tumorschmerz, akuter Rückenschmerz, Diabetes mellitus Typ 2, Asthma bronchiale, KHK und Depression beurteilt [13]. In Kürze werden die Clearingberichte zu Leitlinien zur Behandlung der COPD, des Diabetes mellitus Typ 1 und des Mammakarzinoms erscheinen.

Implementierung:

Die Entwicklung einer Leitlinie – und sei diese noch so gut – ist eine Verschwendung von Ressourcen, wenn nicht auch Verbreitung, Implementierung und Evaluation geplant und abgesichert werden [14]. Bei der Erstellung von Leitlinien verdienen ihre Anwendung aus Patientensicht, die Beteiligung der künftigen Anwender am Entstehungsprozess sowie die ständige Anerkennung des ärztlichen Urteilsvermögens und der ärztlichen Autonomie besondere Aufmerksamkeit. Die Implementierung von Leitlinien gelingt am ehesten mit einem multifaktoriellen Ansatz aus z.B. edukativen und organisatorischen Elementen, „Marketingstrategien“, wie der einfache und kostenlose Zugriff auf Leitlinien, Patienteninformationen, Dokumentationshilfen sowie Reminder oder andere Praxishilfen. Auch positive (oder negative) Anreize können erwogen werden [15].

Schlussfolgerung:

Leitlinien können wirksame Instrumente zur Verbesserung der Qualität der medizinischen Versorgung sein, sofern sie gewissen methodischen und inhaltlichen Qualitätsstandards genügen und die Implementierung und Disseminierung in den klinischen Alltag gelingt.

Literatur:

1Europarat. The development and implementation for quality improvement systems (QIS) in health care – Recommendation No.R(97)17. Straßburg: Europarat, Eigenverlag, 1998

2Ollenschläger G, Helou A, Lorenz W. Kritische Bewertung von Leitlinien. In: Kunze R, Ollenschläger G, Raspe HH, Jonitz G, Kolkmann FW (Hrsg). Lehrbuch Evidenzbasierte Medizin in Klinik und Praxis. Köln: Deutscher Ärzteverlag, 2000: 156–176

3AWMF, ÄZQ. Das Leitlinien-Manual. Z ärztl Fortbild Qualsich 2001; 95 (Suppl. I): 1–84

4Ärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung. Beurteilungskriterien für Leitlinien in der medizinischen Versorgung. Dtsch Ärztebl 1997; 94: A-2154–A-2155

5Hart D. Normierungen ärztlichen Handelns: Von Standards über Leitlinien zu Richtlinien. Medizinische Genetik 2001; 13: 63–70

6Helou A, Lorenz W et al. Methodische Standards der Entwicklungen evidenz-basierter Leitlinien in Deutschland. Z ärztl Fortbild Qualsich 2000; 94: 330–339

7Lohr KN, Field MJ. A provisional instrument for assessing clinical practice guidelines. In: Field MJ, Lohr KN (Hrsg.). Guidelines for clinical practice. From development to use. Washington DC: National Academy Press, 1992

8Cluzeau F, Littlejohns P et al. Development and application of a generic methodology to assess the quality of clinical guidelines. Int Journ Qual Health Care 1999; 11: 21–28

9Checkliste „Methodische Qualität von Leitlinien“. 2. Version. Dtsch Ärztebl 2000; 97: A-1170–A-1172, abrufbar unter:

10http://www.leitlinien.de/leitlinienqualitaet/index/leitlinie/pdf/llcheck99.pdf (Zugriff 11. August 2003)

11Helou A, Perleth M, Schwartz FW. Prioritätensetzung bei der Entwicklung von Leitlinien. Z ärztl Fortbild Qualsich 2000; 94: 53–60

12Ärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung. Priorisierung von Gesundheits- oder Versorgungsproblemen als Themen des Leitlininen-Clearingverfahrens. Z ärztl Fortbild Qualsich 2002; 96 (Dokument 2): 16–24

13Das Leitlinien-Clearingverfahren. Dtsch Ärztebl 1999; 96: A-2105–A-2106 abrufbar unter: http://www.leitlinien.de (Zugriff 11. August 2003)

14Europarat. Entwicklung einer Methodik für die Ausarbeitung von Leitlinien für die optimale medizinische Praxis. Empfehlung Rec (2001) 13 des Europarates und erläuterndes Memorandum. Deutschsprachige Ausgabe. Z ärztl Fortbild Qualsich 2002; 96 (Suppl. III): 1–60

15Gross PA, Greenfield S et al. Optimal methods for guideline implementation. Medical Care 2001; 39 (8, Suppl. 2): II-85–II-92