Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 136
DOI: 10.1055/s-2003-816539

Die Rolle des Frontalkortex beim „set-shifting“: eine Läsionsstudie

S Spengler 1, A Quiske 1, P Zimmermann 1
  • 1Freiburg

An der Fähigkeit zum Wechsel des Aufmerksamkeitsfokus zwischen verschiedenen kognitiven Aufgaben oder Anforderungen sollen vorrangig Regionen des frontalen Kortex involviert sein. Die Untersuchung solcher „set-shifting“-Prozesse wird aber häufig mit komplexen neuropsychologischen Tests, wie dem Wisconsin Card Sorting-Test, durchgeführt und leidet an Problemen bei der Interpretation. Die beteiligten Funktionsareale bei der Ausführung von „set-shifting“-Aufgaben, wie z.B. die Involvierung von posterioren Regionen oder von linkshemisphärischen Arealen, konnte unter anderem deswegen noch nicht abschließend geklärt werden. Um der Frage nach den involvierten zerebralen Arealen beim Konzeptwechsel nachzugehen, wurde in der vorliegenden Studie eine neu entwickelte „set-shifting“-Aufgabe mit 10 frontalhirn- und 17 posterior geschädigten Patienten, sowie 24 gesunden Kontrollpersonen durchgeführt. Das neue computerisierte Verfahren verlangt einen flexiblen Wechsel zwischen zwei visuellen Wahlreaktionsaufgaben, wobei die Reaktionszeiten und die Fehlreaktionen in Abhängigkeit von Lateralisation und Lokalisation der Läsion analysiert wurden. Verglichen mit der nach Schulbildung, Alter und Geschlecht parallelisierten Kontrollstichprobe, zeigten die frontalhirngeschädigten Patienten die größten Auffälligkeiten bei den Fehlreaktionen (p<0,001). Aber auch die Patienten mit posterioren Läsionen wiesen im Vergleich mit der Kontrollgruppe teilweise Beeinträchtigungen auf (p=0,032), wobei die frontale Gruppe im Vergleich mit der posterioren stärker beeinträchtigt war (p=0,001). Zwischen links- und rechtshemisphärisch geschädigten Patienten konnte kein eindeutiger Seitenunterschied beim Aufmerksamkeitswechsel gefunden werden (p>0,05). Die Ergebnisse sprechen für die zentrale Rolle des Frontalkortex am „set-shifting“. Darüber hinaus ergeben sich deutliche Hinweise, dass beim Wechsel des Aufmerksamkeitsfokus insgesamt ein komplexes Netzwerk aktiv ist, an dem auch posteriore Arealen beteiligt sind. Des Weiteren konnte eine unterschiedliche Bearbeitungsstrategie der frontalhirn- und der posterior geschädigten Patienten bei einer zusätzlich durchgeführten „set-shifting“-Aufgabe aufgedeckt werden, die möglicherweise auf unterschiedliche funktionelle Rollen des frontalen und posterioren Kortex bei der Vermittlung von Flexibilitätsleistungen hinweisen könnte.