Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 130
DOI: 10.1055/s-2003-816533

Zerebraler Glukosemechanismus des vestibulären und visuellen Kortex bei akuter Neuritis vestibularis: PET-Studie

P Schlindwein 1, S Bense 1, K Prange 1, M Lochmann 1, T Brandt 1, P Bartenstein 1, M Dieterich 1
  • 1Mainz

Die Neuritis vestibularis ist ein akuter einseitiger Labyrinthausfall, der zu einer Tonusdifferenz mit heftigem Dauerdrehschwindel, Fallneigung, horizontal rotatorischem Spontannystagmus und Erbrechen führt. Die Symptome bilden sich innerhalb von 2–6 Wochen zurück. Frühere Untersuchungen in der Positronenemissionstomographie (H215O-PET) an Gesunden während kalorischer vestibulärer Stimulation zeigten einen Anstieg des regionalen zerebralen Blutflusses in verschiedenen vestibulären Hirnarealen und einen gleichzeitigen signifikanten Abfall des Blutflusses im visuellen Kortex. Dieses Ergebnis führte zum Konzept einer reziprok hemmenden Interaktion zwischen dem visuellen und dem vestibulären System. Ziel der aktuellen Fluordeoxyglukose-PET-Studie war, festzustellen, ob und wie der Glukosemetabolismus in den vestibulären und visuellen Arealen durch den einseitigen Labyrinthausfall verändert wird. Sechs Patienten wurden (A) im akuten Stadium der Neuritis vestibularis (im Mittel nach 5,8 Tagen) und nochmals (B) nach 3 Monaten im Stadium der zentralen Kompensation mit Fluordeoxyglukose-PET untersucht. Die Patienten lagen in Rückenlage mit geschlossenen Augen ohne irgendeine Stimulation. Es wurde ein kategorischer Vergleich zwischen den beiden Bedingungen mit SPM99b berechnet. Der Kontrast A vs. B zeigte signifikante Unterschiede entsprechend einem Anstieg des Glukosemetabolismus in der akuten Phase der Neuritis vestibularis bilateral im Bereich der hinteren Inselregion (parieto-insulärer vestibulärer Kortex) und angrenzendem superioren temporalen Gyrus (BA 22), der vorderen Insel, dem paramedianen und dorsolateralen Thalamus, dem Hippokampus, dem mittleren oder superioren frontalen Gyrus (BA 9/6, okulomotorische Zentren) und dem vorderen Zingulum (BA 32/24). Unterschiede entsprechend einem Abfall des Glukosemetabolismus (B vs. A) fanden sich im visuellen Kortex (BA 17/18/19/7) und in der Zentralregion im Bereich des somatosensorischen Kortex beidseits. Zusammenfassend zeigte sich in der Akutphase mit Drehschwindel und Nystagmus ein Anstieg des Glukosemetabolismus in vestibulären (parieto-insulärer vestibulärer Kortex, Thalamus) und okulomotorischen Kortexarealen, während ein Abfall des Metabolismus im visuellen und somatosensorischen Kortex auftrat. Diese passagere Hochregulation des vestibulären und Niederregulation des visuellen und somatosensorischen Kortex ist gut vereinbar mit dem Konzept der reziprok hemmenden intersensorischen Interaktion und entspricht den Befunden bei Gesunden während vestibulärer Stimulation.