Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 116
DOI: 10.1055/s-2003-816519

Generalisierte muskuläre Schwäche nach Botulinumtoxin-Injektionen

M von Rhein 1, S Lubik 1, W Merkle 1, WH Jost 1
  • 1Wiesbaden

Um die urologischen Beschwerden tetraplegischer Patienten zu mildern, werden bei Versagen anderer Therapien intravesikale Botulinumtoxin-A-Injektionen durchgeführt, die eine Parese des Detrusors bewirken und die ungehemmten Blasenkontraktionen verringern. Dies stellt eine neue, effektive und nebenwirkungsarme Therapieoption dar. Über das Auftreten von generalisierten Nebenwirkungen im Sinne einer Botulismus-Symptomatik wurde bisher nicht berichtet. Bei einem 34-jährigen Patienten mit Tetraplegie und neurogener Blasenfunktionsstörung (Detrusorhyperreflexie und Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie) sowie Reflexinkontinenz nach einer C5/C6-Fraktur erfolgte nach erfolgloser medikamentöser Therapie der Blasenstörung, Selbstkatheterismus und operativer Blasenaugmentation über ein Jahr zunächst eine nebenwirkungsfreie Therapie mit Botulinumtoxin (300 E. Botox® auf 30 Injektions-Stellen verteilt alle 2–4 Monate), bevor das Präparat gewechselt wurde (1000 E. Dysport® an 25 Stellen, damit vergleichbare Dosis). Nach der ersten Injektion mit dem zweiten Präparat traten systemische Nebenwirkungen in Form von generalisierter Schwäche der Muskulatur, insbesondere eine Kopfhalteschwäche, muskelkaterähnliche Schmerzen, Mattigkeit, Kreislaufbeschwerden, Sehstörungen und für kurze Zeit Atembeschwerden und Schwierigkeiten beim Abhusten auf. Innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nahmen die Beschwerden ab und der ursprüngliche Zustand wurde wieder erreicht. Im beschriebenen Fall handelt es sich vermutlich um eine unerwünschte systemische Wirkung des Präparates Dysport®. Als Ursache des systemischen Effekts ist die akzidentelle Injektion von Dysport® in den venösen Kreislauf möglich. Da jedoch im vorliegenden Fall die Darstellung der Muskeltrabekel bei allen vorgenommenen Injektionen gleichermassen problemlos gelang, ist eine Fehlinjektion in muskelfreie Areale der vorhandenen Pseudotrabekel daher wenig wahrscheinlich. Zudem wäre in diesem Fall zu erwarten gewesen, dass die Schwäche nach einer kürzeren Latenz auftritt. Am ehesten ist daher eine stärkere Diffusion von Dysport® als Ursache der unerwünschten Wirkung zu vermuten.