Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 111
DOI: 10.1055/s-2003-816514

Zeitliche Dynamik von Aktivierung und Exzitabilität des ipsilateralen Motorkortex bei einfachen phasischen Fingerbewegungen

C Rau 1, C Plewnia 1, F Hummel 1, C Gerloff 1
  • 1Tübingen

Die funktionelle Rolle des ipsilateralen Motorkortex bei einfachen Fingerbewegungen ist unklar, unter anderem die grundlegende Frage, ob dem ipsilateralen Motorkortex eher eine exzitatorische oder inhibitorische Rolle zukommt. Eine exzitatorische Rolle würde den ipsilateralen Motorkortex qualifizieren, supportiv an der Generierung des kortikospinalen Volleys mitzuwirken. Alternativ wäre eine dominante inhibitorische Kontrolle ungewollter Mitbewegungen im ipsilateralen Motorkortex denkbar. Zur Untersuchung der ipsilateralen Motorkortex-Funktion bei einfachen, phasischen („ballistischen“) Fingerbewegungen wurde ein kombinierter methodischer Ansatz verwendet: Bei 28 Versuchspersonen wurde ein 28-Kanal-Oberflächen-EEG aufgezeichnet, während die Versuchspersonen phasische Extensionen der rechten Finger II-V ausführten. Anschließend wurden die Peak-Frequenzen der spektralen Poweränderungen relativ zum EMG-Beginn bestimmt (Alpha-Band: 10,5–11,5Hz, Beta-Band: 17,5–18,5Hz) und für den Zeitverlauf der spektralen Poweränderungen die ereigniskorrelierte Desynchronisation und ereigniskorrelierte Synchronisation berechnet. Anschließend wurden mittels Schmitt-Trigger und Pulsgenerator randomisiert bei 0 bis 1500 ms nach EMG-Beginn TMS-Einzelpulse (Intensität 130% der motorischen Schwelle) über dem ipsilateralen Motorkortex (rechter M1) appliziert und motorisch evozierte Potenziale vom linken M. extensor digitorum abgeleitet. Weiterhin wurden zum Zeitpunkt 100 ms nach EMG-Beginn die intrakortikale Inhibition und Fazilitation im ipsilateralen Motorkortex sowie die F-Wellen (N. radialis) am linken Unterarm gemessen. Hauptergebnis war eine Aktivierung (alpha-ereigniskorrelierte Desynchronisation von 1300 ms vor bis 1900 ms nach EMG-Beginn; beta-ereigniskorrelierte Desynchronisation von 1000 ms vor bis 800 ms nach EMG-Beginn) und eine kurz andauernde Exzitabilitätszunahme des ipsilateralen Motorkortex in Assoziation mit der phasischen Fingerbewegung (Zunahme der Amplituden der motorisch evozierten Potenziale bei 0–200 ms relativ zu EMG-Beginn). Dabei kam es zu einem isolierten Anstieg der intrakortikalen Fazilitation. Die Ergebnisse der F-Wellen- und intrakortikalen Inhibitions-Bestimmungen wiesen keine signifikanten Änderungen auf. Die Ergebnisse zeigen, dass es während einer einfachen, phasischen Fingerbewegung konkomitant zu kortikaler Aktivierung und Zunahme der intrakortikalen Fazilitation für etwa 200 ms kommt. Hinweise auf eine inhibitorische Modulation des ipsilateralen Motorkortex wurden bei diesem Paradigma nicht gefunden. Die Daten stützen das Modell einer aktiven (exzitatorischen) Rolle des ipsilateralen Motorkortex bei der Generierung von unilateralen Fingerbewegungen.