Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 101
DOI: 10.1055/s-2003-816504

Die Kontrolle der Griffkraft beim Gilles de la Tourette-Syndrom

DA Nowak 1, M Orth 1, MM Robertson 1, JC Rothwell 1
  • 1London

Das Gilles de la Tourette-Syndrom als neuropsychiatrische Entwicklungsstörung ist charakterisiert durch mehrere motorische und ein oder mehrere phonische Tics über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr. Das Spektrum von Tics reicht von einfachen kurzen Muskelkontraktionen bis hin zu komplexen koordinierten Bewegungen. Es ist unklar, ob Tics rein unwillkürliche Bewegungen sind, oder ob sie eine Mischung aus absichtsvollen und unwillkürlichen Bewegungen darstellen, über die die Patienten ein gewisses Mass an Kontrolle ausüben. Antizipatorische Kontrollmechanismen, wie die präzise Modulation der Griffkraft mit bewegungsinduzierten Lasten, sind beim Tourette-Syndrom bisher kaum untersucht. Eine erhaltene Prädiktion von bewegungsinduzierten Lasten während Tics könnte auf eine subkortikal physiologisch geplante und koordinatierte, wenn auch dem Bewußtsein unzureichend zugängliche, Bewegung hindeuten. Ziel der Studie war die Untersuchung der Griffkraft während willkürlicher Armbewegungen und während Tics mit einem gehaltenen Testobjekt bei Patienten mit Tourette-Syndrom. Patienten und gesunde Kontrollpersonen bewegten ein mit Griffkraft- und Beschleunigungssensoren ausgestattetes Objekt auf und ab. Zwischen den einzelnen Bewegungen wurde das Objekt ruhig gehalten. Patienten sollten das Objekt auch in Reaktion auf ein zeitlich variables „GO“-Signal entweder auf oder ab bewegen. Während der unterschiedlich langen Wartephase auf das „GO“-Signal konnten bei allen Patienten Tics in die vorgegebene Richtung ausgelöst werden. Alle Patienten mit Tourette-Syndrom zeigten während willkürlichen Bewegungen und während Tics eine normale antizipatorische Kontrolle der Griffkraft. Verglichen mit Kontrollpersonen produzierten sie ähnliche Griffkräfte während der Armbewegungen und der Haltephasen dazwischen. Auch die zeitlichen Aspekte einer prädiktiven Griffkraftkontrolle waren während willkürlicher Bewegungen und Tics ungestört. Die Griffkraft wurde für willkürliche Bewegungen und Tics ohne erkennbare Phasenverschiebung mit dem Profil der Last moduliert. Die Ergebnisse legen nahe, dass das Tourette-Syndrom die Antizipation der physikalischen Konsequenzen einer Bewegung zur präzisen Abstimmung der Griffkräfte nicht beeinträchtigt. Die erhaltene antizipatorische Kontrolle der Griffkraft während Tics stützt die Hypothese, dass Tics unter der Schwelle des Bewußtseins präzise geplante und koordinierte Bewegungen sind, die nur teilweise einer willkürlichen Kontrolle unterliegen.