Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 83
DOI: 10.1055/s-2003-816486

Kardiovaskuläre autonome Modulation während Bolus-Sondenernährung bei Patienten mit familiärer Dysautonomie

H Marthol 1, M Brys 1, M Tutaj 1, D Berlin 1, FB Axelrod 1, MJ Hilz 1
  • 1New York, Krakau, Erlangen

Bei Patienten mit familiärer Dysautonomie kann Nahrungsaufnahme zu autonomer Dysregulation mit hypertensiven Krisen führen. Die Pathophysiologie der Krisen ist bislang nicht bekannt. In dieser Studie sollten die kardiovaskulär-autonome Modulation und die Baroreflexempfindlichkeit bei Patienten mit familiärer Dysautonomie vor und nach Bolusernährung untersucht werden. Bei neun Kindern mit familiärer Dysautonomie (11,6±3,1 Jahre, 4 Mädchen) zeichneten wir RR-Intervall, systolischen Blutdruck (Colin Pilot®) und Atemfrequenz in Ruhe vor und 20 Minuten nach Bolusernährung über Gastrostomie-Sonde mit 7,4ml/kg Isomil®, einem sojaproteinhaltigen, laktosefreiem Gemisch aus Kornsirup, Sukrose und essenziellen Fettsäuren, auf. Mit autoregressiver Analyse von 90s Signalsegmenten berechneten wir die spektralen Leistungen der RR-Intervalle – und systolische Blutdruck-Oszillationen im sympathisch vermittelten LF-Bereich (0,04–0,15Hz) und im – für RR-Intervall parasympathisch vermittelten – HF-Bereich (0,15–0,5Hz). Als Maß der Baroreflexempfindlichkeit berechneten wir den alpha-Index als Wurzel aus dem Quotienten der LF-RR-Intervall- und LF-systolischen Blutdruck-Leistungen sofern die Signal-Kohärenz >0,5 war. Bolusernährung führte zur Abnahme von RR-Intervallen (623,3±85,2 ms vs. 707,7±68,8 ms, p<0,05) und der HF-Leistung der RR-Intervalle (35,8±31,3 ms2 vs. 225,5±131,6 ms2, p<0,05). Unverändert blieben dagegen Atemfrequenz, systolischer Blutdruck, die LF-Leistungen von systolischem Blutdruck und RR-Intervalle sowie die Baroreflexempfindlichkeit. Bolusernährung verursacht Blutpooling im Splanchnikus-Gefäßgebiet. Der Blutdruck blieb bei den Patienten mit familiärer Dysautonomie nach Bolusgabe dennoch stabil, vermutlich infolge des kompensatorischen Herzfrequenz-Anstieges. Dagegen stieg die sympathische LF-Modulation von RR-Intervall und systolischem Blutdruck nach Bolusernährung nicht an, vermutlich aufgrund der bei familiärer Dysautonomie eingeschränkten sympathischen Innervation. Der Abfall der parasympathischen HF-Modulation von RR-Intervallen nach Bolusgabe weist darauf hin, dass die Herzfrequenz infolge Vagus-Zügelung anstieg. Die fehlende Änderung der Baroreflexempfindlichkeit belegt eine eingeschränkte Fähigkeit der Patienten mit familiärer Dysautonomie, einen exzessiven Anstieg von Herzfrequenz oder Blutdruck nach Sondenernährung über den Baroreflex zu zügeln.