Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 58
DOI: 10.1055/s-2003-816461

Die Wellen der Botulinumtoxin-Therapie

WH Jost 1
  • 1Wiesbaden

Botulinumtoxin ist seit über 20 Jahren im klinischen Einsatz. Bei etlichen Indikationen ist es zur Therapie der Wahl geworden, bei anderen Indikationen haben sich die großen Erwartungen nicht erfüllt. Fasst man die Entwicklung zusammen, kann man vier Wellen erkennen. Zuerst wurde das Toxin vor allem bei „orphan diseases“ eingesetzt. Einen wirklichen Durchbruch erlangte das Toxin in der Therapie des Torticollis, des Blepharospasmus und des Spasmus hemifacialis. Die zweite Welle betraf den Einsatz bei der Spastik. Hier hat sich das Toxin vor allem bei der Beugespastik des Arms, der Spitzfußstellung und der Adduktorenspastik etabliert. Die Dosis pro Patient lag hier deutlich über den zuvor etablierten Indikationen. Die dritte Welle betraf den Einsatz des Toxins bei Hyperhidrosis und Falten. Die Umsatzzahlen übertrafen die vorherigen beiden Wellen deutlich. Die Erfolge bei der Hyperhidrosis sind hervorragend, wobei darauf geachtet werden sollte, dass das Toxin nur bei Patienten eingesetzt werden sollte, bei denen die Hyperhidrosis auch Krankheitswert hat. Von den meisten Anwendern wird der Einsatz bei Falten sehr ambivalent gesehen. Zweifellos lassen sich z.B. Stirnfalten hervorragend behandeln, das öffentliche Interesse und insbesondere die Ausschlachtung durch die Medien hat aber der Seriosität des Toxins geschadet. Insbesondere, da plötzlich auch etliche unseriöse Anwender in Erscheinung traten. Aktuell stehen wir vor der vierten Welle. Dem Einsatz des Toxins bei Schmerz. Hier sind die vorliegenden Ergebnisse noch nicht ausreichend, um eine Prognose bezüglich des Stellenwerts treffen zu können. Sollten sich die guten Ergebnisse etlicher Untersucher bestätigen, würde diese Welle wahrscheinlich die bisherigen in den Schatten stellen. Gleichgültig des Ausgangs, dürfte der Einsatz von Botulinumtoxin in der Schmerztherapie einer der interessantesten Ansätze der letzten Jahre sein. Sollte sich eine Wirksamkeit bestätigen, müssten auch etliche Hypothesen innerhalb der Ursachen und Therapie des Schmerzes überdacht werden.