Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 52
DOI: 10.1055/s-2003-816455

Stehen, Gehen, Laufen: funktionelle MRI-Studie zu zerebralen Aktivierungen und Deaktivierungen während vorgestellter Lokomotion

K Jahn 1, A Deutschländer 1, T Stephan 1, H Brückmann 1, M Strupp 1, T Brandt 1
  • 1München

Gehen und Laufen sind komplexe motorische Leistungen, an denen Lokomotionsgeneratoren im Rückenmark und verschiedene Hirnareale beteiligt sind. Zwei Aspekte sind für die aktuelle Studie von Bedeutung. (1) Lokomotionszentren im Gehirn, bei deren elektrischer Stimulation sich bei Katzen ein Schrittmuster auslösen lässt, sind beim Menschen bisher nicht nachgewiesen worden. (2) Sensorische Systeme tragen zur Haltungskontrolle und Richtungsstabilität besonders beim langsamen Gehen bei. Bei stark automatisierten Laufmustern dagegen scheint die sensorische Kontrolle eine geringere Rolle zu spielen. Die Ziele dieser funktionellen MRI-Studie waren erstens die Identifizierung supra- und infratentorieller Hirnregionen, die an der Lokomotionssteuerung beteiligt sind und zweitens die Beurteilung der Aktivierungsmuster in den kortikalen Representationsarealen sensorischer Systeme. 13 gesunde Versuchspersonen wurden trainiert, sich Stehen, Gehen, Laufen und Liegen (als Kontrollbedingung) vorzustellen. Die Vorstellung wurde gewählt, weil tatsächliche Lokomotion im MRT nicht möglich ist. Jede Bedingung wurde 14mal für jeweils 20s getestet (Siemens 1,5-T-Scanner und Echo-planar imaging Sequenzen). Die Datenverarbeitung erfolgte unter Verwendung von SPM99. BOLD-Signal-Veränderungen wurden nur bei Erreichen eines Signifikanzniveaus von p<0,001 berücksichtigt. Während des vorgestellten Stehens wurden Aktivierungen im mittelliniennahen Kleinhirn sowie beidseits im Thalamus und in den Basalganglien beobachtet. Bei der Vorstellung langsamen Gehens fanden sich Aktivierungen im Kleinhirn, bilateral im Gyrus fusiformis, links in den Stammganglien und der vorderen Insel und rechts im supplementär motorischen Kortex. Deaktivierungen gab es beidseits im Gyrus postcentralis und rechts im Gyrus temporalis superior. Während des vorgestellten Laufens waren vor allem die Deaktivierungen (Gyrus postcentralis rechts, beidseits Gyrus temporalis superior und hintere Insel) ausgeprägter als beim Gehen. Unter den aktivierten Arealen kann die beim Gehen und Laufen nachgewiesene Kleinhirnaktivierung dem bei der Katze beschriebenen zerebellären Lokomotionszentrum entsprechen. Die geringe Aktivierung kortikaler motorischer Areale korrespondiert mit der Annahme einer subkortikal dominierten Lokomotionssteuerung. Die nachgewiesenen Deaktivierungen fanden sich in somatosensorischen und vestibulären kortikalen Arealen und unterstützen die Annahme einer Inhibition sensorischer Signale bei der Lokomotion.