Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 51
DOI: 10.1055/s-2003-816454

Bilaterale axonale Läsion des N. facialis nach sagittaler Splitosteotomie: Eine Patientenbeschreibung

AM Humm 1, WJ Z'Graggen 1, L Remonda 1, KM Rösler 1
  • 1Bern

Die sagittale Splitosteotomie nach Obwegeser ist ein kieferchirurgischer Standardeingriff, welcher nach Durchführung einer bilateralen sagittalen retromolaren Spaltung des Unterkiefers eine korrekte Positionierung desselben erlaubt. Postoperativ sind permanente sensible Defizite im Unterkieferbereich häufig (Inzidenz bis 40%). Eine Fazialisparese hingegen gilt als seltene (Inzidenz 0,1–1%), in der Regel unilaterale und transiente Komplikation und wird gemeinhin auf eine Neurapraxie zurückgeführt. Konklusive neurologische und neurophysiologische Evaluationen fehlen jedoch. Eine 42-jährige Patientin entwickelte unmittelbar nach sagittaler Splitosteotomie zur Korrektur einer Retrognathie eine initial komplette, bilaterale Fazialisparese. Bei begleitend ausgedehntem Gesichtsödem wurde die fehlende Beweglichkeit der Gesichtsmuskulatur durch die behandelnden Chirurgen als mechanisch bedingt beurteilt. Klinisch-neurologisch fand sich einen Monat postoperativ eine schwere Fazialisschwäche links bei normaler Funktion rechts. Die Fazialisneurographie (elektrische Stimulation in der Fossa stylomastoidea, Ableitung über dem M. nasalis mittels Oberflächenelektroden) zeigte eine beidseitige, linksbetonte Amplitudenminderung des Muskelsummenpotenzials. Nadelmyographisch liess sich eine bilaterale axonale Schädigung des N. facialis nachweisen. Fünf Monate postoperativ persistierte eine leichte bis mässige Gesichtslähmung links und es fanden sich bilaterale Synkinesien. Neurographisch stellte sich rechts ein Normalbefund dar, während die Amplitude des Muskelsummenpotenzials links immer noch knapp unterhalb des Normbereiches lag. Bei insgesamt rascher und deutlicher Erholung der Fazialisparese, vor allem rechts, ist eine neurapraktische Komponente anzunehmen. Es konnte jedoch bilateral eine begleitende axonale Schädigung nachgewiesen werden, was prognostisch ungünstiger ist und mit störenden Synkinesien oder hemifazialem Spasmus verbunden sein kann. Nicht nur die Art der Nervenschädigung, sondern auch die Häufigkeit dürfte bisher in den durch Nicht-Neurologen und ohne konsequente neurophysiologische Evaluation durchgeführten Studien unterschätzt worden sein. Eine künftige Zusammenarbeit zwischen Chirurgen und Neurologen sollte genauere Aussagen über Art und Häufigkeit von Fazialisparesen nach sagittaler Splitosteotomie erlauben.