Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 33
DOI: 10.1055/s-2003-816436

Reziproke Hemmung unmittelbar nach Schlaganfall: ein Prädiktor für die Entwicklung der Spastik?

M Faist 1, G Dichtl 1, C Klisch 1, W Berger 1, T Els 1
  • 1Freiburg

Reziproke disynaptische Ia-Hemmung an Soleus-Motoneuronen ist bei spastischer Hemiparese mit schlechter funktioneller Erholung und ausgeprägter Spitzfußstellung vermindert. Bei guter funktioneller Erholung nach Schlaganfall ist die reziproke Hemmung hingegen verstärkt. Es ist bislang nicht bekannt, ob diese Veränderungen vor Entwicklung der spastischen Tonuserhöhung auftreten oder ein Epiphänomen der Spastik darstellen. Wir untersuchten reziproke Hemmung vom N. peronaeus zum M. soleus bei 28 Patienten innerhalb der ersten 48h nach Schlaganfall und bei 16 altersentsprechenden Kontrollpersonen. Die Messungen wurden an mehreren Zeitpunkten zwischen 4 Tagen und 12 Monaten nach dem Schlaganfall wiederholt. Reziproke Hemmung wurde anhand der Amplitudenveränderungen des Soleus H-Reflexes auf einen konditionierenden Reiz des N. peronaeus bestimmt, zusätzlich wurde der Verlauf klinischer Scores erfasst. Bei Gesunden wurde der Soleus H-Reflex auf 92,5±3,5% seines unkonditionierten Wertes vermindert. Innerhalb der ersten 48h nach Schlaganfall zeigte sich keinerlei Hemmung (100,4±1,8%). Ähnliche Werte zeigten sich bis etwa eine Woche nach Schlaganfall. Danach entwickelte sich eine Tendenz zu bahnenden Effekten bevor klinische Skalen irgendwelche Anzeichen eines erhöhten Muskeltonus zeigten. Einen Monat nach Schlaganfall zeigte sich eine Bahnung von 103,5±3,8%. Ein Jahr nach dem Schlaganfall war nur bei Patienten mit einem guten funktionellem Ergebnis wieder eine Hemmung, während bei schlechter klinischer Erholung noch immer bahnende Effekte nachweisbar waren. Reziproke disynaptische Ia-Hemmung ist bereits unmittelbar nach dem Schlaganfall ausgefallen und erholt sich nach Wochen bis Monaten, wenn ein gutes funktionelles Ergebnis des Beines eintritt. Da diese Veränderungen der spastischen Tonuserhöhung um Wochen vorausgehen, stellen sie kein Epiphänomen der Spastik dar. Vielmehr könnte dieser Ausfall der Antagonistenhemmung eine Rolle für die Entwicklung der Spastik spielen.