Klinische Neurophysiologie 2003; 34 - 9
DOI: 10.1055/s-2003-816412

Mitochondriale DNA-Deletionen bei einer Patientin mit Koinzidenz einer myotonen Dystrophie Typ 2 (PROMM) und einer Myasthenia gravis

C Bamberg 1, M Deschauer 1, S Tews 1, D Claus 1
  • 1Darmstadt, Halle/S., Frankfurt/M.

Wir berichten über eine 68-jährige Patientin, bei der 1975 erstmalig myotone Symptome auftraten. Es wurde die Diagnose einer Myotonia dystrophica gestellt. 1993 erfolgte eine Katarakt-Operation beidseits. Die Aufnahme erfolgte im Mai 2001 mit Schluckstörungen, Schwäche der Extremitäten, Ptosis beidseits, Doppelbildern, Dysarthrie. Der klinische Befund zeigte eine Facies myopathica. Neben einer Atrophie der Schläfenmuskulatur zeigte sich eine Ptosis beidseits, ein eingemauerter rechter Bulbus, der linke Bulbus wies eine ausgeprägte Adduktionsschwäche auf. Im Bereich der Extremitäten fand sich eine generalisierte Myatrophie mit Absinken im Arm- und Beinhalteversuch, an den unteren Extremitäten proximal betonte Paresen KG 4, an den oberen Extremitäten proximal betonte Paresen KG 3–4, zusätzlich eine myotone Reaktion beim Faustöffnen. Laborchemisch zeigte sich eine erhöhte GGT von 87 U/l, die Azetylcholinrezeptor-Antikörper waren mit 31 nmol/l, die Titin-Antikörper mit 1: 51.200 erhöht. Das MRT (Schädel) zeigte einen unauffälligen Befund, das Thorax-MRT/CT ergab keinen Anhalt für ein Thymom. Im EMG (M. abductor pollicis brevis) fanden sich neben pathologischer Spontanaktivität (Fibrillationen, positive Wellen) myotone Entladungsserien. Die Serienstimulation des N. accessorius wies ein patholgisches Dekrement von 17% nach. Die Muskelbiopsie (M. biceps brachii links) zeigte Cytochromoxidase-negative Muskelfasern, sowie ragged red fibers. Die humangenetische Untersuchung zeigte für die Allele des CTG-Repeats des DMPK-Locus unauffällige Befunde ohne Hinweis auf eine myotone Dystrophie Typ 1. Die Untersuchung des Locus für die proximale Myopathie mit Myotonie auf Chromosom 3q zeigte eine typische CCTG-Expansion. Der enzymatische Untersuchungsbefund wies eine Verminderung des Komplex I: 0,4 (N: 0,7–2,0 U/g Gewebe), des Komplex II + III: 1,1 (N: 1,4–3,2 U/g Gewebe) der Atmungskette sowie eine verminderte Cytochromoxidase: 1,6 (N: 6,4–10 U/g Gewebe) nach. Molekulargenetisch ließen sich multiple Deletionen der mitochondrialen DNA nachweisen. Der positive Nachweis von Azetylcholinrezeptor-Antikörper bestätigte die Diagnose einer Myasthenia gravis bei gleichzeitig bestehender, humangenetisch nachgewiesener proximaler Myopathie mit Myotonie (Myotonia dystrophica Typ 2); eine Koinzidenz, die bislang noch nicht beschrieben wurde. Zusätzlich sprachen die histopathologischen, molekulargenetischen und enzymatischen Befunde für das Vorliegen einer mitochondrialen Erkrankung.