Rehabilitation (Stuttg) 2004; 43(2): 116-117
DOI: 10.1055/s-2003-814928
Bericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rehabilitation junger Körperbehinderter

Wissenschaftliche Tagung am 26. April 2003 in GladenbachRehabilitation of Young People with Physical DisablementScientific Meeting, April 26, 2003 in GladenbachG.  Huffmann
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Publication Date:
21 April 2004 (online)

Zum ersten Mal fand im Zentrum für junge Körperbehinderte in Gladenbach eine wissenschaftliche Tagung zum Thema Rehabilitation statt. Das Haus ist seit sieben Jahren in Betrieb, und es werden dort 24 schwer behinderte Menschen mit Folgen erworbener Hirn- und Rückenmarksschäden betreut. Das Aufnahmealter ist auf unter 40 Jahre festgelegt, die Bewohner haben freie Arzt- und Therapeutenwahl. Außerdem gibt es drei Plätze für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege und sechs Möglichkeiten zum betreuten Wohnen. Neben notwendiger Pflege stehen rehabilitative Maßnahmen im Vordergrund mit dem Ziel, vom Langzeitbereich ins betreute Wohnen im Haus und von hier in betreute Einrichtungen außerhalb in Gladenbach oder sogar in die Familie zurückzukehren. Das Zentrum bietet ein Rehabilitationsprogramm an, einige Bewohner arbeiten in einer Werkstatt für behinderte Menschen.

Die Einrichtung entspricht den im SGB IX nochmals aktualisierten Zielen der Rehabilitation, indem sie mit pflegerischen und therapeutischen Leistungen an der Rückgewinnung der Aktivitäten bei den Bewohner mitwirkt und so das entscheidende Endziel der Rehabilitation, die soziale Integration in gesellschaftliche und familiäre Strukturen unterstützt. Dies erfordert die sorgfältige Suche nach individuellen Entfaltungsmöglichkeiten, und dies lässt sich nur in einer wohnortnahen Einrichtung in überschaubarer Größe erreichen.

Mit dieser Gründung und ihrer weiteren Entwicklung bietet Gladenbach wiederum ein Modell in der Nähe von Marburg, nachdem in der Philipps-Universität ja bereits vor Jahrzehnten unter Professor Exner die Möglichkeit zum Hochschulstudium für Querschnittgelähmte als erfolgreiches Integrationsmodell entstanden war.

Im gläsern überdachten, hellen Forum des Zentrums trafen sich Leiter und Mitarbeiter von Rehabilitationskliniken mit Vorträgen über die physiotherapeutische und ergotherapeutische Behandlung sowie Methoden der physikalischen und medikamentösen Therapie, besonders der Spastik. Dabei wurden neue, aber auch altbekannte Hilfsmittel wertend verglichen, sodass sich in der Diskussion ein lebhafter Erfahrungsaustausch ergab. Die intrathekale Baclophen-Therapie der schweren Spastik weist deutliche Erfolge auf, wenn es dem Erfahrenen gelingt, die wirkungsvollste Dosis zu ermitteln. Der Einsatz von Botulinum-Toxin wird wegen der hohen Kosten unterschiedlich beurteilt. Eine gesicherte Indikation stellt offensichtlich die schmerzhafte Spastik dar, aber wohl auch die oft günstige Beeinflussung von Dysfunktionen der distalen Extremitätenabschnitte.

Die Beschränkung in der Thematik, aber auch in der Belegung des Zentrums wurde in einem klinischen Referat über Ursachen und Folgen des Schlaganfalls im jungen Erwachsenenalter verdeutlicht. Eine große Zahl von Gefäßerkrankungen und -anomalien bewirkt, dass 10 % der zerebralen Durchblutungsstörungen bei unter 40-jährigen Menschen auftreten. Das fordert geradezu rehabilitative Bemühungen heraus. Ihr Gelingen hängt, was alle Erfahrenen wissen, entscheidend vom psychischen Befund des Betroffenen ab. Dazu kommen neuropsychologische Störungen, die, oft noch unerkannt, ein Misslingen ergotherapeutischer und rehabilitativer Anstrengungen bewirken. Entsprechende diagnostische Untersuchungen sind daher von großer Wichtigkeit.

Eine sorgfältige Planung der einzelnen Schritte der Rehabilitation ist für ihren Erfolg von entscheidender Bedeutung. Hierzu sind arbeitstherapeutische Kenntnisse und das Wissen um mögliche Berufsförderungsmaßnahmen Voraussetzung. Ist der Behinderte von einer Familie oder einer anderen ihn begleitenden Gemeinschaft umgeben, wird der Verlauf oft günstiger sein. Die behandelnden Allgemeinmediziner oder Fachärzte sind oft überfordert, weil ihnen eine entsprechende Ausbildung, die notwendige Erfahrung oder auch einfach die Zeit fehlen, um die erforderlichen Anträge zu stellen.

Die über 50 Tagungsteilnehmer erlebten mit Prof. Dr. Kurt-Alphons Jochheim den wahrscheinlich erfahrensten Streiter für die Rehabilitation in Deutschland. Er berichtete über ihre Geschichte und beantwortete die eingangs gestellte Frage „Was ist Rehabilitation?” mit: Eingliederung oder Wiedereingliederung von Menschen mit Behinderungen in Arbeit und Gesellschaft. Der Zuhörerkreis war sich mit den Referenten einig, dass die Lebensqualität des behinderten Menschen ohne Zweifel durch Rehabilitation deutlich gewinnt. Außerdem dürfte die gewonnene Selbständigkeit auch, wie sich durch zahlreiche Einzelfälle belegen lässt, zu einer Minderung der Betreuungskosten beitragen.

Referenten der Tagung waren: PD Dr. med. Ralf Becker, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie, Asklepios Kliniken Schildautal, Seesen; Dr. med. Klaus-Dieter Böhm, Ärztl. Direktor der Neurologischen Klinik Braunfels; PD Dr. med. Hans-Joachim Braune, Chefarzt des Klinikbereichs Neurologie, Remscheid-Lüttringhausen; Prof. Dr. med. Bernd Griewing, Chefarzt der Neurologischen Klinik Bad Neustadt/Saale; Karin Hain, Leiterin der Ergotherapie, Neurologische Klinik Braunfels; Prof. Dr. med. Gert Huffmann, ehem. Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Marburg; Prof. Dr. med. Dr. phil. h. c. Kurt-Alphons Jochheim, Erftstadt-Lechenich; Dr. med. Wolfgang Rössy, Chefarzt der Abt. Neurologie, Ärztl. Direktor der St. Rochus Klinik, Bad Schönborn-Mingolsheim; Dr. med. Hans-Martin Schian, Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation (GmbH) an der Deutschen Sporthochschule Köln; Dr. rer. nat. Karin Schoof-Tams, Psychologische Psychotherapeutin und Ltd. Klinische Neuropsychologin GNP, Neurologische Klinik Westend, Bad Wildungen; Dr. med. Carsten Schröter, Chefarzt der Neurologischen Abt., Klinik Hoher Meissner, Bad Sooden-Allendorf.

Prof. Dr. med. Gert Huffmann

ehem. Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Marburg

Pommernweg 14

35039 Marburg