Pneumologie 2004; 58(2): 69-70
DOI: 10.1055/s-2003-812447
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Lungentransplantation - der verlängerte Atem

Transplantation of the Lung - Prolonged SurvivalR.  Ragette1
  • 1Ruhrlandklinik, Essen
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Publication Date:
12 February 2004 (online)

Im letzten Jahrzehnt entwickelte sich die Lungentransplantation zur weltweit akzeptierten Behandlungsmethode bei Lungenerkrankungen im Endstadium. Dank potenter Immunsuppressiva und verbesserter operativ-anästhesiologischer Vorgehensweisen wurde die perioperative Mortalität auf 10 - 15 % gesenkt, die 1-Jahres-Überlebensrate auf etwa 80 % angehoben. Unglücklicherweise verbesserten sich Langzeitergebnisse nicht in gleichem Maße. Mit einer durchschnittlichen 3-Jahres-Überlebensrate von 58 % und einer 5-Jahres-Überlebensrate von 52 % [1] steht die Lungentransplantation, was Patienten- und Allograftüberleben betrifft, hinter anderen Organtransplantationen immer noch weit zurück. Hauptursache hierfür ist die obliterative Bronchiolitis, welche sich 2 - 3 Jahre nach Transplantation als chronische Abstoßungsreaktion in Form einer oft progressiven obstruktiven Ventilationsstörung manifestiert und nicht selten im Transplantatverlust endet. Für viele Patienten steht daher nicht der Überlebensvorteil, sondern die funktionelle Verbesserung und die Verbesserung der Lebensqualität im Vordergrund. Entsprechend werden physische Leistungsfähigkeit und Lebensqualität zunehmend Teil der Erfolgsbeurteilung nach Lungentransplantation.

Dass körperliche Leistungsfähigkeit und Lebensqualität durch die Lungentransplantation entscheidend verbessert werden können, wird durch eine Vielzahl internationaler Studien belegt [2] [3]. Die Verbesserung gilt für jede Krankheitsgruppe, ist unabhängig vom operativen Vorgehen, und am größten für Doppellungentransplantierte [2]. Dies gilt vor allem für Emphysempatienten, die aufgrund des extremen atemmechanischen Arbeitsaufwandes am meisten unter schwerster Atemnot zu leiden hatten, und die wegen des schleppenden Krankheitsverlaufs, der chronischen Hypoxämie und der langjährigen Kortisontherapie eine besonders starke muskuläre Dekonditionierung erfahren. Durch die Lungentransplantation werden praktisch über Nacht Atemnot und Sauerstoffmangel abgeschafft, die Lungenfunktion um mehrere 100 % gesteigert [4]. Die Mehrzahl der Patienten erlebt dadurch ein Befreiungsgefühl, dass bei erfolgreichem Verlauf in einen enormen Gewinn an Lebensqualität mündet. Dieser Gewinn an Lebensqualität zieht sich durch alle physischen, psychischen und sozialen Bereiche, und ist maximal zwischen dem 6. und 36. Posttransplantmonat, danach nehmen chronische Nebenerscheinungen an Bedeutung zu.

Trotz der vielbelegten Funktionsverbesserungen können funktionelle Leistungseinschränkungen verbleiben. Die Leistungseinschränkungen können physischer oder psychisch-emotionaler Natur sein, und einer vollen sozialen oder gar beruflichen Wiederintegration im Wege stehen. Aus physischer Sicht imponiert eine deutlich eingeschränkte maximale aerobe Muskelleistung von nur 50 - 60 % des Sollwertes. Die Limitierung entspricht einer peripher-muskulären, hervorgerufen durch eine dauerhafte muskuläre Strukturschädigung und gekennzeichnet durch eine reduzierte mitochondrial-oxidative Kapazität. Die Ursachen hierfür liegen in jahrelanger Hypoxämie, Kortisoneinnahme, und schwerer muskulärer Dekonditionierung begründet, wobei auch nach erfolgreicher Transplantation, infolge Immunsuppressiva wie Kortison und Calcineurininhibitoren, der Muskelschaden perpetuiert wird [4].

Aus emotionaler Sicht stellt die Erfahrung, dass nach langersehnter Transplantation medizinische Probleme zwar aus dem Weg geschafft, aber durch neue ersetzt werden, eine für viele unerwartete Enttäuschung dar. Transplantierte bleiben Patienten, lebenslang angebunden an Arzt und Krankenhaus. Körperliche Fragilität und Sorge um Wundheilungsstörungen, Infektionen, Abstoßungsreaktionen und Medikamentenunverträglichkeiten führen nicht selten zu Verunsicherung, Angst und Mutlosigkeit. Akute reaktive Depressionen sind häufig und können, wenn nicht frühzeitig abgefangen durch individualisierte psychologische Aufarbeitung, eine erhebliche Behinderung der postoperativen Rekonvaleszenz darstellen. Selbst nach Transfer in eine stabilere Phase persistiert nicht selten eine tiefsitzende Sorge um die Zukunft, mit wiederkehrenden Angstzuständen, Schlafstörungen, Abgeschlagenheit, und sexueller Dysfunktion. Viele behelfen sich mit Selbsthilfegruppen, autogenem Training, Gebet oder eigeninitiativ angesetzten Antidepressiva. Eine fachspezifische, an das Tranplantzentrum angebundene pychologisch-psychiatrische Betreuung bleibt im Regelfall nur wenigen zugänglich.

Die Studie von Tegtbur u. Mitarb. in diesem Heft [5] verdeutlicht in diesem Zusammenhang, wie weit gerade im ersten Jahr subjektiv gewonnene Lebensqualität und objektiv gemessene physische Leistungsparameter auseinanderklaffen können. Dass bei selbst problemlosem postoperativen Verlauf ein halbes Jahr nach Lungentransplantation eine maximal aerobe Leistungsfähigkeit von nur 40 - 50 % des altersentsprechenden Solls erreicht wurde, illustriert zwei Problempunkte: erstens die extreme Dekonditionierung vor der Transplantation (die maximale aerobe Leistung ist bei terminal Lungenkranken im Regelfall nicht mehr zu messen) und zweitens die immer noch suboptimale Rekonditionierung nach Transplantation. Der trotzdem hohe Gewinn an Lebensqualität wiederum illustriert die grundsätzlich subjektive Natur dieses Gesichtspunktes. Im Falle der Lungentransplantation ist Lebensqualität nur vor dem Hintergrund des prätransplantativen Zustandes zu verstehen. Wer nach jahre- oder gar lebenslanger Beschränkung sprunghaft von Null auf 40 % Leistungsfähigkeit ansteigt, frei vom bisher allgegenwärtig niederdrückenden Gefühl der Luftnot, wird seine Gesundheit als enorm verbessert und die Transplantation als Erfolg werten und sich mit dem Gewonnenen zufrieden geben. Trotzdem ist aus medizinisch-gesundheitspolitischer Sicht mehr als ein nur sedativer Lebensstil zu fordern. Immerhin stellt die Lungentransplantation eine gewissermaßen elitär-medizinische Intervention dar, die ausgewählten Patienten von jungem Alter oder sehr gutem extrapulmonalem Funktionszustand zukommt. Eine maximal-erfolgreiche physische Rehabilitierung mit der Möglichkeit der vollen sozialen und beruflichen Reintegration sollte, wie die Überlebensverbesserung, deklariertes Ziel der Lungentransplantation sein. Umso mehr, als eine gute körperliche Kondition bekanntermaßen auch die psychische Widerstandsfähigkeit stärkt und eine Bewältigung unvorhergesehener Früh- oder Spätkomplikationen erleichtert.

Leider gehören Einrichtungen für Kraft- und Ausdauertraining ebensowenig zur Routineausstattung eines Transplantationszentrums wie die integrierte psychologische Mitbetreuung. Beide sind jedoch von unschätzbarem und letztendlich auch unverzichtbarem Wert, will man den Erfolg der Lungentransplantation optimieren, die physische Leistungsfähigkeit des Transplantierten voll wiederherstellen, und die Reintegration in das soziale und berufliche Netz unsere Gesellschaft gewährleisten. Hier bedarf es eines entscheidenden Umdenkens bei Leistungsträgern, Kostenträgern und nicht zuletzt beim Patient.

Literatur

  • 1 ISHLT . J Heart Lung Transplant. 2003;  22 610-72
  • 2 Anyanwu A C, McGuire A, Rogers C A. et al . Assessment of quality of life in lung transplantation using a simple generic tool.  Thorax. 2001;  56 218-222
  • 3 Lanuza D M, Lefaiver C, Cabe M MC. et al . Prospective Study of functional status and quality of life before and after lung transplantation.  Chest. 2000;  118 115-122
  • 4 Williams T J, Snell G I. Early and long-term functional outcomes in unilateral, bilateral and living-related transplant recipients.  Clin Chest Med. 1997;  18 (2) 245-259
  • 5 Tegtbur U, Sievers C, Busse M W. et al . Lebensqualität und körperliche Leistungsfähigkeit bei Patienten nach Lungentransplantation.  Pneumologie. 2004;  58 72-78

Dr. med. Regine Ragette

Ruhrlandklinik

Tüschener Weg 40

45239 Essen

Email: regine.ragette@uni-essen.de

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