Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(45): 2389-2390
DOI: 10.1055/s-2003-43438
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Biventrikuläre Thrombenauflösung und Antikörper-Bildung unter Lepirudin-Therapie

Zum Beitrag aus DMW 28-29/2003
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
29. April 2004 (online)

Hirudin ist der stärkste bisher bekannte direkte Thrombininhibitor, naturidentisch als Lepirudin (Refludan®) oder Desirudin (Revasc®) rekombinant exprimiert und zur Thromboseprophylaxe bei artikulärer Replacementtherapie oder zur Therapie thromboembolischer Komplikationen bei heparininduzierter Thrombozytopenie Typ II seit Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Europa zugelassen. Neben möglichen Blutungskomplikationen bei Überdosierung des Hirudins sind weitere Nebenwirkungen eher rar. In jüngster Zeit wurde mehrfach berichtet, dass auch immunologisch bedingte unerwünschte Nebenwirkungen bei der Hirudinanwendung aufgetreten sind [1] [2]. In einer firmenseitigen wichtigen Mitteilung von Oktober 2002 wies die Firma Schering auf mehrere Fälle schwerer anaphylaktischer Reaktionen nach Verabreichung bzw. Reexposition von Refludan außerhalb Europas hin. Fünf dieser Fälle endeten mit dem Exitus. Gleichzeitig wurden erweiterte Sicherheitsanweisungen beim Umgang mit Refludan in dieser Mitteilung veröffentlicht.

Im Fallbericht von Skowasch D. et al. [3] wird über einen ähnlich gelagerten Fall berichtet, dessen tödlicher Ausgang mit einer Antikörperbildung gegen Lepirudin in Zusammenhang gebracht wurde. Die Autoren beschreiben die gute Wirksamkeit von sehr hoch dosiertem Hirudin über nahezu 3 Wochen (Infusionstherapie von etwa 150 mg Refludan pro Tag), die mit dem Verschwinden von biventrikulären Thromben bei einem schwer herzinsuffizienten Patienten gezeigt wurde. Durch das beruhigende Ergebnis einer konstanten Verlängerung der aPTT in den ersten zweieinhalb Wochen auf den 2,5 - 3fachen Ausgangswert wurde dem auffälligen Quickwert, der 14 Tage konstant vermindert blieb, dann aber sehr stark abnahm, keine weitere Beachtung geschenkt. Aus gerinnungsphysiologischer Sicht war auch auffällig, dass der Fibrinogenspiegel auf das 2 - 3fache der Norm permanent anstieg, bis hin zum 18. Tag, an dem dann petechiale Blutungen auftraten. Zu diesem Zeitpunkt stellte sich plötzlich eine Überdosierung des Lepirudins mit toxischen Plasmaspiegeln ein, die zum sofortigen Absetzen des Lepirudins führten. Innerhalb von ganz kurzer Zeit normalisierten sich die aPTT und die Thrombinzeit, sodass davon ausgegangen werden muss, dass sich zu diesem Zeitpunkt kein Hirudin mehr im Patienten befand. Ein Hirudin bindender Antikörper, der diese Überdosierung verursacht haben könnte, wie es die Autoren vermuteten, kann ausgeschlossen werden, da diese Antikörper sehr lange im Blut nachweisbar sind. Umso erstaunlicher war der Befund, dass erst am 21. Tag eine Makrohämaturie und Hämoptysen auftraten und Fibrinogen nicht mehr nachweisbar war bei nun wiederum verlängerter Thrombinzeit. Der Patient hatte dabei eine Hypoprothrombinämie. Damit wäre ja die verlängerte Thrombinzeit erklärbar, aber es ist nicht möglich, eine Thrombinzeit zu bestimmen, wenn kein Fibrinogen mehr vorhanden ist. Durch Gerinnungsfaktorpräparate gelang es anscheinend, F II und F VII ausreichend zu substituieren, und die klinische Symptomatik besserte sich.

Nach weiteren 4 Tagen erlitt der Patient eine letztendlich tödliche Subarachidalblutung. Zu diesem Zeitpunkt wurde ein hochtitriger Antihirudin-Antikörper im Serum bestimmt. Die Autoren sehen einen möglichen Zusammenhang der tödlichen Subarachnoidalblutung mit diesem gegen Hirudin gerichteten hochtitrigen Antikörper und dessen eventuellen Prothrombin aktivierenden Eigenschaften. Völlig offen ist in diesem Beitrag der Zusammenhang Blutung - Blutplättchenfunktion. Natürlich kann durch Fibrinogenmangel eine Blutungskomplikation auftreten, aber weit häufiger ist sie bei einer Plättchenfunktionsstörung mit hohen Thrombininhibitorspiegeln zu finden, bei denen die endogene Thrombingenerierung an aktivierten Plättchen nicht mehr stattfindet und damit dann die zunehmende Blutungstendenz erklärbar wird. In diesem Kontext ist von Interesse, dass bei tierexperimentellen Untersuchungen an Ratten, aber auch an Hunden und Schweinen gezeigt werden konnte, dass die ersten Zeichen einer Blutungstendenz bei toxischen Hirudinblutspiegeln und anderer direkter Thrombininhibitoren Schleimhautblutungen und zerebrale Oberflächenblutungen waren.

Der Beitrag eines Hirudinantikörpers an der Pathologie dieses Falls ist eher fragwürdig. In der auch in diesem Fallbericht zitierten Publikation von Eichler et al. [1] wurde nicht nur die prozentuale Häufigkeit von Hirudinantikörpern gezeigt, sondern auch weitere bedeutsame Befunde beschrieben, wie z. B. dass Hirudin-AK-positive Patienten weit seltener verstarben als AK-negative Patienten unter der Hirudintherapie und auch die Blutungsneigung und andere unerwünschte Wirkungen bei Hirudin-AK-positiven Patienten nicht häufiger auftraten. Der aus nicht nachvollziehbaren In-vitro-Untersuchungen postulierte „Prothrombin aktivierende Hirudin-AK“ kann m. E. nicht durch Zugabe von Prothrombin zum Serum bzw. fraktionierten Seren mit Hirudinantikörpern bewiesen werden, da im Serum bzw. Serumasservaten eine große Menge von aktiviertem F X zu finden ist, der dann entweder strukturgebunden oder auch in freier Form Prothrombin natürlich aktivieren kann. Ein Mechanismus am AK, der hochspezifisch gegen zwei bzw. drei Epitope des Hirudins sowohl in der Knäuelregion als auch am C-terminalen Ende des Hirudins gerichtet ist und Prothrombin aktiviert und dadurch Fibrinogen verbraucht, ist m. E. für diesen Fall nicht von Bedeutung.

Leider fehlen in der Fallbeschreibung Hinweise auf die Art und Weise der Messung des Hirudinspiegels, eine Darstellung des zeitlichen Verlaufs des Hirudinspiegels sowie weiterer Laborparameter (Differentialblutblut u. a.). Die der Unterbrechung der Hirudintherapie nachfolgende rasche Normalisierung der Gerinnungsparameter spricht am ehesten dafür, dass der Patient in der weiteren Folge aufgrund seiner Grunderkrankung eher eine schwere Verbrauchskoagulopathie entwickelt hatte, die sich dann letztendlich als therapieresistent, zumindest mit den von den Autoren beschriebenen Mitteln, erwiesen hat. Die zunächst durch toxische Plasmaspiegel von 4 µg/ml Refludan ausgelöste Blutungstendenz wurde in der Posthirudinphase durch Faktorenverbrauch bedingte Komplikationen perpetuiert und führte m. E. dann zu dem infausten zerebralen Ereignis.

Literatur

  • 1 Eichler P, Friesen H J, Lubenow N, Jaeger B, Greinacher A. Antihirudin antibodies in patients with heparin-induced thrombocytopenia treated with lepirudin: incidence, effects on aPTT, and clinical relevance. .  Blood. 2000;  96 2373-2378
  • 2 Song X, Huhle G, Wang L, Hoffmann U, Harenberg J. Generation of anti-hirudin antibodies in heparin-induced thrombocytopenic patients treated with r-hirudin.  Circulation. 1999;  100 1528-1532
  • 3 Skowasch D, Pötzsch B, Kuntz-Hehner S. et al . Biventrikuläre Thrombenauflösung und Antikörper-Bildung unter Lepirudin-Therapie.  Dtsch Med Wochenschr. 2003;  128 1531-1534

Prof. Dr. Götz Nowak

Friedrich-Schiller-Universität Jena, Medizinische Fakultät, Arbeitsgruppe „Pharmakologische Hämostaseologie“

Drackendorfer Straße 1

07747 Jena

    >