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DOI: 10.1055/s-2003-42177
Empirisch validierte Psychotherapeuten statt empirisch validierte Psychotherapie?
Empirically Validated Therapists Instead of Empirically Validated Psychotherapy?Publication History
Publication Date:
11 September 2003 (online)
Die Psychotherapieforschung ist seit vielen Jahren so produktiv, dass es für Psychotherapeuten kaum möglich ist, auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Das „Handbook of Psychotherapy and Behavior Change”, erstmalig 1971 von Bergin u. Garfield herausgegeben, manchmal als die „Bibel” der Psychotherapieforschung bezeichnet, versucht in regelmäßigen Abständen die aktuellsten Forschungsergebnisse zusammenzufassen. Soeben ist die 5. Auflage des Handbook erschienen [1]. Es enthält eine ganze Reihe neu verfasster Kapitel über Detailthemen der Psychotherapieforschung, die forschungs- und berufspolitisch sehr relevant sind.
Die Überprüfung der Effektivität und Effizienz von Psychotherapien ist naturgemäß ein Kernthema in dem Handbuch. Das entsprechende Kapitel wurde von Lambert u. Ogles verfasst und enthält Informationen, die auch hierzulande eine besondere Aktualität erhalten angesichts der anhaltenden Diskussion um die wissenschaftliche Anerkennung von spezifischen Psychotherapieverfahren und der Pläne, Psychotherapieforschung in Zukunft angemessener zu fördern (vgl. das Editorial von Hoffmann in Heft 7/2003).
Die Autoren stützen sich bei der Zusammenfassung von Forschungsbefunden fast ausschließlich auf Metaanalysen, von denen mittlerweile mehrere 100 zu unterschiedlichen Fragestellungen vorliegen (alleine > 20 zur Wirksamkeit von Psychotherapie bei Depression/Angststörungen).
Hier einige Kernaussagen des Kapitels:
Psychotherapie ist fraglos wirksam. Die Evidenz hierfür ist so eindeutig, dass es eigentlich nicht nachvollziehbar ist, dass die Wirksamkeit von Psychotherapie in den Medien oder von populärwissenschaftlichen Autoren regelmäßig angezweifelt wird. Psychotherapeutische Interventionen sind vielen medizinischen Behandlungsmaßnahmen (einschließlich Psychopharmakotherapie) in ihrer Effektivität vergleichbar, oft sogar überlegen.
Dosis-Wirksamkeits-Studien zeigen, dass mindestens 50 Sitzungen benötigt werden, um bei einer hinreichend großen Zahl von Patienten (75 %) klinisch relevante Veränderungen zu erzielen.
Während Metaanalysen über längere Zeit relativ konsistent die Überlegenheit kognitiv-behavioraler Therapien nachzuweisen schienen, wird durch neuere Befunde der in der Psychotherapieforschung so viel zitierte Spruch des Dodo-Vogels „Jeder hat gewonnen, jeder muss einen Preis bekommen” untermauert. Unterschiede in den Effekten von Psychotherapien verschwinden nämlich fast gänzlich, wenn die theoretische Ausrichtung der Forscher („allegiance”) kontrolliert wird.
Die Befunde zum Einfluss der Person des Therapeuten sind zwar noch spärlich, aber relativ eindeutig: Auch in den vermeintlich gut kontrollierten Studien, wie der NIMH-Untersuchung zur Depressionstherapie, ist ein beträchtlicher Teil der Ergebnisvarianz auf Einflüsse der Therapeuten zurückführbar, die unabhängig sind von der theoretischen Orientierung, der Manualtreue etc. Es sind eher interpersonale Fertigkeiten und Kompetenzen der Therapeuten (und damit verknüpft allgemeine Wirkfaktoren der Behandlung), die ein positives Ergebnis von psychologischen Interventionen vorhersagen und viel weniger die Methode oder spezifische Interventionen. Die bestätigt sich auch in Studien, die ausgebildete Psychotherapeuten und therapeutische Laien vergleichen und zeigen, dass letztere - vorausgesetzt sie sind „interpersonal kompetent” - durchaus vergleichbare Resultate erzielen können. Wie schon andere zuvor, regen die Autoren des Kapitels an, darüber nachzudenken, ob es nicht besser wäre, Psychotherapeuten „empirisch zu validieren” als über Zertifizierungswege für spezifische Behandlungsverfahren zu diskutieren.