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DOI: 10.1055/s-2003-42174
Die Bedeutung des Zen-Buddhismus für die Dialektisch-behaviorale Therapie
The Relevance of Zen-Buddhism for Dialectic-Behavioral TherapyPublikationsverlauf
Eingegangen: 30. Oktober 2002
Angenommen: 24. April 2003
Publikationsdatum:
11. September 2003 (online)
Zusammenfassung
Die Dialektisch-behaviorale Therapie ist ein störungsspezifisches Verfahren zur Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen. Sie verwendet vor allem Konzepte und Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie und der humanistischen Psychotherapien. Zu einem tieferen Verständnis ist es aber notwendig, auch ihren zen-buddhistischen Hintergrund einzubeziehen. Es wird zunächst versucht, die spezifische Erfahrung der Zen-Meditation und den philosophischen Grundgedanken des Zen-Buddhismus plausibel zu machen. Im Rahmen einer Skizze der historischen Beziehung von Zen-Buddhismus und Psychotherapie wird die spezifische Position der DBT in dieser Tradition dargestellt. Schließlich wird gezeigt, inwieweit der Zen-Buddhismus die DBT geprägt hat und welche Probleme sich für die DBT stellen, wenn sie als moderne Psychotherapie eine vormoderne Weltanschauung beerbt.
Abstract
Dialectic-Behavioral Therapy is a specific psychotherapeutic approach to answer the needs of patients with Borderline Personality Disorder. It uses concepts and techniques of Cognitive Behavioral Therapy and of Humanistic Psychotherapies. For a deeper understanding, it is necessary to include also its Zen-Buddhistic background. The experience of Zen-meditation and the basic philosophy of Zen-Buddhism will be explained. In the context of the historical relation between Zen-Buddhism and Psychotherapy, the position of the DBT will be specified. Finally it will be demonstrated how Zen-Buddhism inspired the practice of DBT and what kinds of problems arise when a modern psychotherapy uses the concept of a premodern conception of the world and human existence.
Key words
Zen-Buddhism - psychotherapy - dialectic-behavioral therapy
Literatur
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1 Za (jap.) = Sitz, Platz, Zen (jap.) von Chan (chin.) = Versenkung, Meditation.
2 Siehe vor allem Jon Kabat-Zinns Buch von 1990 mit dem schönen Originaltitel „Full Catastrophe Living” [1], das auf einer langjährigen praktischen Arbeit mit Meditation im Rahmen eines Programms zur Stressreduktion beruht. Ein manualisiertes Behandlunskonzept zur Prophylaxe von Depressionen auf der Basis der Zen-Meditation wurde in den letzten Jahren von Segal Z, Williams M und Teasdale J entwickelt [2].
3 Eine kurze Bemerkung zu den verschiedenen Zen-Schulen folgt weiter unten.
4 Neben dem meditierenden Buddha gibt es eine zweite Urszene, auf die sich der Zen-Buddhismus beruft. Sie stellt genau diese Kommunikationsform dar: Der Legende nach hielt Buddha eines Tages am Ende einer Rede schweigend eine Lotosblüte in die Luft. Von seinen Schülern verstand nur einer diese Geste, ein Mönch namens Mahâkâshyapa. Er lächelte. Nach zen-buddhistischer Auslegung wurde er damit zum Nachfolger Buddhas bestimmt.
5 Der Begriff des präsentativen Symbolismus stammt von S. Langer [9], S. 103.
7 Dass die Erleuchtung unterschiedlich aufgefasst wird, ist kein Zufall. Sie ist ein schwieriges Problem im Zen. Sie wird in Dauer, Wiederholbarkeit, Intensität und in ihren Konsequenzen als sehr unterschiedlich beschrieben. Viele Zen-Anekdoten beschäftigen sich damit, dass Erleuchtung weder angestrebt, noch in irgendeiner Weise festgehalten werden kann. In der Meditation stört der Gedanke an die Erleuchtung nicht weniger als jeder andere. Manchmal wird Erleuchtung aber auch von Zen-Meistern attestiert. Man muss sehen, dass auch der Zen-Buddhismus als Institution überleben will. In diesem Falle muss sich die Erleuchtung als kommunikativer Akt zeigen, meist auf der Grundlage eines langen dialogischen Prozesses, der ihm seine Glaubwürdigkeit verleiht.
8 Elsa Gindler und Mary Wigman waren in der Lebensreformbewegung engagiert, der es darum ging, Natürlichkeit, Spontaneität und Erlebnisfähigkeit den sichtbar destruktiven Folgen der Industrialisierung entgegenzusetzen. In dieser Bewegung wurde auch auf Schopenhauer, Nietzsche und den Buddhismus zurückgegriffen (H. Hesses „Siddharta” erschien 1922). Übrigens besuchte auch Wilhelm Reich Seminare bei Elsa Gindler und ihre Arbeit war auch für die Entstehung der konzentrativen Bewegungstherapie von Bedeutung [18].
9 „Nichts von heilig” ist ein Zitat aus dem ersten Beispiel der Koan-Sammlung: „Bi-Yän-Lu, Meister Yüan-wu's Niederschrift von der Smaragdenen Felswand” aus dem 12. Jh. Der Kontext ist folgender: „Wu-Di von Liang fragte den Grossmeister Bodhidharma: Welches ist der höchste Sinn der Heiligen Wahrheit? Bodhidharma sagte: Offene Weite - nichts von heilig” [28].
Dr. phil. Dipl.-Soz. Michael Huppertz,Arzt für Psychiatrie/Psychotherapie
Heidelberger Landstraße 171
64297 Darmstadt
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