Gesundheitswesen 2003; 65(7): 425-431
DOI: 10.1055/s-2003-40808
Festvortrag
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gesundheitssystemforschung: Inhalt und Ziele eines Faches am Schnittpunkt von Ökonomie, Medizin, Politik und Ethik

Health Services Research: Subject Matter and Objectives of a Field at the Intersection of Economics, Medicine and EthicsM. Arnold1
  • 1WPI e. V. AG Gesundheitssystemforschung
Festvortrag aus Anlass der Jubiläumsveranstaltung: „10 Jahre IPG”, Linz, 4.10.2002
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Publication Date:
31 July 2003 (online)

Zusammenfassung

In Analogie zu der bekannten Aussage, der Krieg sei eine zu ernste Sache, als dass man ihn den Generälen überlassen könnte, ließe sich sagen, die medizinische Versorgung sei eine zu ernste und auch eine zu kostenträchtige Sache, als dass man sie nur den Ärzten überlassen könnte. Dies würde jedoch den Eindruck eines Gegensatzes entstehen lassen, der so weder in der Sache noch als Haltung in der Gesundheitssystemforschung besteht. Hingegen gibt es Unterschiede in den Beobachtungsansätzen:

  • Die Ärzte gehen grundsätzlich von den Erfahrungen aus, die sie auf der Arzt-Patienten-Ebene machen. Sie stehen dort unter dem therapeutischen Imperativ des Helfenwollens und können in dieser Situation nach ihrer Überzeugung weder konkurrierende Anforderungen berücksichtigen noch sich von den übergeordneten Bedingungen abhängig fühlen.

  • Die Gesundheitssystemforschung geht cum grano salis von Erkenntnissen aus, die durch die Analyse oft hoch aggregierter Daten gewonnen wurden, seien sie nun medizinischer, ökonomischer oder epidemiologischer Art. Auch wenn die auf der Makroebene gewonnenen Einsichten am Ende auf die Mikroebene der Arzt-Patienten-Beziehung angewandt werden müssen, bleibt eine innere Distanz zu den Versorgungsproblemen, die einem sachgerechten Urteil förderlich ist.

Die Gesundheitssystemforschung bemüht sich aus dieser Distanz u. a. darum, die Zusammenhänge von Aufwand und Ertrag nachzuweisen, Schwachstellen aufzuzeigen, die der einzelne Arzt nicht erkennen kann, und Rahmenbedingungen bezüglich Kapazitäten, Strukturen und Anreizen zu definieren, die eine möglichst hohe Versorgungsqualität gewährleisten.

So lassen sich erstaunliche Abhängigkeiten des Leistungsgeschehens von den Anreizen für die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte, für den Verbrauch an Arzneimitteln, für Operationsfrequenzen, für Diagnosevolumina nachweisen.

Auf der Grundlage solcher Nachweise können Empfehlungen für die Selbstverwaltung und Politik formuliert werden, wie das Versorgungssystem weiter entwickelt werden könnte, um eine hohe Effizienz und Qualität zu erzielen.

Abstract

In analogy to the famous saying that war is too serious to leave it to the generals, one could say that the provision of medical care is too serious and too costly to leave it to doctors. This, however, would give the impression of an incongruity which does not exist as an actual factor or as a standpoint in research on the health care system. Having said that, there are differences in the methods of observation used:

  • doctors always base their observations on their experiences at the doctor/patient level. In these situations, they are influenced by the therapeutic imperative of wanting to help and their convictions do not allow them to take into account competing requirements or to feel dependent on the higher-level conditions; and

  • the realm of research on the health care system bases its observations more or less on findings derived by means of analysing what is often highly aggregated data, be it of a medical, economic or epidemiological nature. Even though the insights gained at the macrolevel ultimately have to be applied at the microlevel of the doctor/patient relationship, there remains an internal distance from the problems of care which is conducive to proper judgement.

From this distant vantage point, researchers attempt to prove the relationship between effort and yield, to indicate weak spots which individual doctors cannot recognise and to define capacity, structure and incentive conditions which guarantee maximum medical care quality.

There is, for instance, evidence of astonishing dependence between the medical care provided and incentives for the number of doctor/patient contacts, use of medicines, surgery rates and number of diagnoses.

This evidence can be used to draw up recommendations for self-governing bodies in the health care sector and for the political sphere as to how the health care system could be enhanced to achieve a high level of efficiency and quality.

em. Professor Dr. med. Dr. h. c. Michael Arnold

WPI e. V. AG Gesundheitssystemforschung

Im Tannengrund 1

72072 Tübingen