Fortschr Neurol Psychiatr 2003; 71(7): 366-377
DOI: 10.1055/s-2003-40561
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Formalgenetische Befunde zur Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung

Formal Genetic Findings in Attention-Deficit/Hyperactivity-DisorderJ.  Smidt1 , P.  Heiser1 , A.  Dempfle2 , K.  Konrad3 , U.  Hemminger4 , A.  Kathöfer3 , A.  Halbach4 , J.  Strub5 , J.  Grabarkiewicz1 , H.  Kiefl5 , M.  Linder5 , U.  Knölker6 , A.  Warnke4 , H.  Remschmidt1 , B.  Herpertz-Dahlmann3 , J.  Hebebrand1
  • 1Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Philipps-Universität Marburg
  • 2Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie
  • 3Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, RWTH Aachen
  • 4Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität Würzburg
  • 5Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Regensburg
  • 6Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck
Wir bedanken uns bei den Familien, die an unseren Untersuchungen teilnehmen. Die Multizenterstudie wird finanziert im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes (NeuroNetz Marburg; 01GS0118).
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Publication History

Publication Date:
14 July 2003 (online)

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Abstract

Twin, family and adoption studies have led to a solid understanding of the contribution of both genetic and environmental factors to the development of attention deficit/hyperactivity disorder (ADHD). We review recent studies under consideration of both methodological aspects and relevant findings. Heritability estimates in the range of 0.6 - 0.8 surpass those for most other child and adolescent psychiatric disorders. First degree relatives have elevated rates for ADHD, affective disorders, conduct disorders and substance abuse and dependency. The ADHD subtype of the index patient does not predict the subtype of other family members affected with ADHD; hence non-genetic factors seemingly account for this intrafamilial variability. Because the familial rates for ADHD are not higher in families of female in comparison to male index patients, there is no indication that the genetic loading is higher in affected females. Recently, rater effects have been discussed broadly: Whereas the heritability estimates are uniformly high independent of the informant (mother, father, teacher), the correlations between quantitatively rated symptoms are low between different informants. Knowledge of the formal genetic aspects of ADHD is a prerequisite for understanding the results of recent molecular genetic studies.

Zusammenfassung

Zwillings-, Familien- und Adoptionsstudien haben zu einem fundierten Verständnis des Anteils genetischer und Umweltfaktoren an der Entstehung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) beigetragen. In diesem Übersichtsartikel sind die wichtigsten rezenten Studien zusammengefasst, wobei methodische Aspekte ebenso ausführlich wie die Ergebnisse formalgenetischer Studien dargestellt werden. Die Erblichkeitsschätzungen für ADHS übersteigen mit 0,6 bis 0,8 die der meisten anderen kinder- und jugendpsychiatrischen Störungen. Verwandte ersten Grades weisen neben ADHS gehäuft affektive Störungen, Störungen des Sozialverhaltens und Substanzmissbrauch und -abhängigkeit auf. Der ADHS-Subtyp des Indexpatienten prädiziert nicht den Subtyp von Verwandten mit ADHS; offenbar sind nicht-genetische Faktoren für die Subtypausbildung verantwortlich. Da in Familien von Mädchen mit ADHS nicht mehr Angehörige betroffen sind als in solchen von männlichen Indexpatienten, spricht dies gegen die Annahme einer höheren genetischen Belastung bei betroffenen weiblichen Individuen. In den letzten Jahren hat der so genannte Rater-Effekt viel Beachtung gefunden. Hiernach sind die hohen Heritabilitätsschätzungen relativ unabhängig davon, ob die Symptome über Mutter, Vater oder Lehrer(in) erhoben werden. Jedoch sind die Korrelationen zwischen quantitativen Angaben dieser Beobachter niedrig. Die Kenntnis der formalgenetischen Aspekte der ADHS stellt eine wichtige Voraussetzung für die Durchführung bzw. Interpretation molekulargenetischer Studien dar.