Pneumologie 2003; 57(7): 361-362
DOI: 10.1055/s-2003-40560
Brennpunkt
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NETT bestätigt klare Überlebensvorteile durch Lungenvolumenreduktion beim apikal betonten Emphysem mit eingeschränkter Belastungskapazität

NETT Confirms Clear Survival Advantages by Lung Volume Reduction in Predominantly Apical Emphysema with Reduced Ability to Cope with StressH.  Teschler1 , G.  Stamatis1
  • 1Ruhrlandklinik · Das Lungenzentrum, Essen
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Publication Date:
15 July 2003 (online)

Bei der Volkskrankheit COPD (Chronic Obstructive Pulmonary Disease) findet sich eine Kombination aus chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem, das gekennzeichnet ist durch eine irreversible Erweiterung der Alveolen distal der terminalen Bronchiolen. Bis heute ist kein medikamentöses Behandlungskonzept bekannt, welches das Fortschreiten eines Lungenemphysems verhindern könnte [1]. 1995 wurde von Cooper u. Mitarb. als chirurgisches Verfahren zur Behandlung des schweren Lungenemphysems die operative Lungenvolumenreduktion (LVR) propagiert. Bereits ein Jahr später wurden von derselben Arbeitsgruppe die Einjahresresultate von 150 operierten Patienten mit schwerem Lungenemphysem publiziert [2]. Aufgrund exzellenter Kurzzeitergebnisse machte diese Methode unter Thoraxchirurgen in USA und Europa schnell Furore. Binnen weniger Monate wurde dieses Operationsverfahren bei mehr als eintausend Patienten durchgeführt. Während J. Cooper strenge Ein- und Ausschlusskriterien vorgab und bevorzugt Patienten mit apikalen Zielzonen operierte, die zudem eine Tabakentwöhnung und eine intensive Rehabilitation erfolgreich durchlaufen hatten, propagierten andere Gruppen die LVR auch beim basalen oder diffusen Emphysem und verzichteten zum Teil gänzlich auf eine vorausgehende Rehabilitation. Es häuften sich Berichte über steigende perioperative Mortalität, zunehmende postoperative Komplikationen und zweifelhafte mittelfristige Ergebnisse. In den USA drohte ein finanzieller Kollaps des nationalen Gesundheitssystems, da mehrere Millionen Menschen mit COPD bei Zugrundelegung der immer weniger stringenten Operationskriterien potenzielle Kandidaten für eine teure LVR mit ungewissem Ausgang gewesen wären.

In Zeiten einer evidenzbasierten Medizin (EBM) wurde in den USA konsequenterweise die Entscheidung getroffen, die Kosten der Behandlung nur noch für solche Patienten zu übernehmen, die sich im Rahmen einer breit angelegten multizentrischen Studie behandeln lassen. In dieser randomisierten Studie, dem „National Emphysema Treatment Trial” (NETT), sollten die Ergebnisse der LVR und der bestmöglichen medizinischen Behandlung miteinander verglichen werden. Auf dem Jahreskongress der American Thoracic Society wurden die Ergebnisse in diesem Jahr vorgestellt und mittlerweile in Auszügen publiziert [3] [4].

Ein wichtiges Ziel von NETT war die Identifizierung von Auswahlkriterien für Patienten mit Lungenemphysem, die am ehesten von einer LVR profitieren könnten. Deshalb wurden zunächst breite Einschlusskriterien gewählt und sowohl Patienten mit Betonung des Emphysems in den Oberlappen als auch in den Unterlappen sowie mit homogener Destruktion eingeschleust. Die beiden letztgenannten Gruppen wurden zum so genannten nicht Oberlappen-betonten Emphysem zusammengefasst. Die Beurteilung der Heterogenität basierte auf der visuellen Bewertung der Emphysemausprägung im HRCT des Thorax und dem Durchblutungsmuster im Lungenperfusionsszintigramm. Außerdem wurden neben den Standardtests der Lungenfunktion (FEV1, RV, TLC) der Transferfaktor für Kohlenmonoxid (TLCO) sowie zusätzlich ein 6-Minuten-Gehtest und eine Fahrradergometrie zur Bestimmung der maximalen Belastungskapazität durchgeführt. Dabei wurde der Patient sitzend auf dem Fahrradergometer belastet. Während der Ergometrie atmete der Patient 30 % Sauerstoff. Nach 3 Minuten Treten ohne Belastung (0 W) wurde mit einem Rampenprotokoll in Stufen von 5 bis 10 Watt bis zur maximal tolerierten Leistung belastet. Anhand dieses gut reproduzierbaren Belastungstests wurden im NETT Schwellenwerte für Patienten mit niedriger und hoher Belastungskapazität definiert. Eine niedrige Belastungskapazität lag bei Frauen vor, wenn ≤ 25 Watt geleistet wurden und bei Männern wenn ≤ 40 Watt erreicht wurden.

Die klinisch relevanten Ergebnisse des NETT können wie folgt zusammengefasst werden:

Klare Überlebensvorteile (p < 0.005) und funktionelle Verbesserungen über mindestens zwei Jahre mit Zunahme der Belastungskapazität um ≥ 10 Watt (p < 0.001) gegenüber dem rein medizinisch behandelten Kontrollkollektiv fanden sich in der Subgruppe von Patienten mit apikalen Defektzonen und geringer Belastungskapazität (≤ 25 W für Frauen, ≤ 40 Watt für Männer). Funktionelle Verbesserungen über mindestens zwei Jahre ohne Überlebensvorteile gegenüber der konservativen Gruppe wurden bei Patienten mit apikal betontem Emphysem und hoher Belastungskapazität sowie in der Gruppe mit nicht oberlappenbetontem Emphysem, aber hoher Belastungskapazität nachgewiesen. In der letztgenannten Gruppe war die Mortalität gegenüber der Kontrollgruppe sogar erhöht. Für die Gesamtgruppe aller operierten Patienten fand sich kein Überlebensvorteil, obwohl funktionelle Verbesserungen auch zwei Jahre nach der Operation noch nachgewiesen werden konnten, wenn auch mit großer Streubreite. Da sich bei Patienten mit schwerer Obstruktion (FEV1 < 20 % des Sollwertes) und entweder einem homogenen Emphysem oder einem stark erniedrigten Transferfaktor für Kohlenmonoxid (TLCO < 20 % des Sollwertes) eine extrem hohe 90-Tage-Mortalität fand, sind diese Patienten von der LVR definitiv auszuschließen 4.

Bei Verwendung dieser Selektionskriterien für klinische Entscheidungen muss unbedingt berücksichtigt werden, dass deren Anwendung streng genommen nur dann zulässig ist, wenn beim potenziellen Kandidaten die Rahmenbedingungen eingehalten werden, die im Studiendesign von NETT verwendet wurden. Es ist also zu fordern, dass der Erhebung der Basisdaten, die als Selektionskriterien für oder gegen die LVR verwendet werden, eine Tabakentwöhnung mit Abstinenz über 4 Monate, eine pulmonale Rekonditionierung (Rehabilitation) über 6 bis 10 Wochen und eine Optimierung der medikamentösen Therapie nach Leitlinien [1] vorausgehen.

Kritisch anzumerken bleibt, dass im NETT eine extrem hohe 90-Tage-Mortalität von 7,9 % in der LVR-Gruppe versus 1,3 % in der Kontrollgruppe berichtet wurde. Im eigenen Krankengut haben wir bei den letzten 100 LVR-Operationen in den ersten 3 Monaten hingegen keinen Todesfall registriert. Dies deutet darauf hin, dass in einigen NETT-Zentren weniger erfahrene Teams operiert haben und möglicherweise die in Amerika unter dem Kostendruck von Fallpauschalen wesentlich frühzeitigere Entlassung sich negativ ausgewirkt hat. Zudem lassen diese Daten den Schluss zu, dass die LVR nur in hochspezialisierten pneumologisch-thoraxchirurgischen Zentren mit erfahrenem Team und hoher Operationsfrequenz durchgeführt werden sollte. Aus unserer Sicht ist eine 90-Tage-Mortalität über 2 % nicht vertretbar. Potenzielle Patienten oder einweisende Ärzte sollten den Thoraxchirurgen deshalb nach der Zahl der durchgeführten LVR-Operationen und der 90-Tage-Mortalität in dieser Gruppe fragen. Bei der anstehenden Zertifizierung und Offenlegung der Qualität anhand von entsprechenden Statistiken wird dieser Faktor zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Abschließend soll die Frage diskutiert werden, ob, und wenn ja, welchen, Patienten mit schwerem Lungenemphysem eine operative Lungenvolumenreduktion auf der Basis von NETT empfohlen werden kann. Zunächst sollten alle Patienten von einer LVR ausgeschlossen werden, die nach Ausschöpfung aller medikamentösen, physikalischen und apparativen Behandlungsmöglichkeiten und nach ausreichend lange andauernder Tabakabstinenz die im NETT definierten Kriterien des Hochrisikokollektivs (FEV1 < 20 % Soll plus TLCO <20 % Soll oder homogenes Emphysem) erfüllen. Auch Patienten mit einer Belastungskapazität >40 Watt sollten nach heutigem Kenntnisstand insbesondere dann ausgeschlossen werden, wenn ein nicht oberlappenbetontes Emphysem vorliegt. Unter anderem bedeutet dies im Regelfall, dass Patienten mit typischem Alpha-1-PI-Mangelemphysem keine geeigneten Kandidaten für eine LVR sind, selbst wenn für kurze Zeit ein funktioneller Vorteil erzielbar wäre [5]. Gute Kandidaten für eine operative Lungenvolumenreduktion scheinen hingegen Patienten zu sein, bei denen sich ein stark apikal betontes Emphysem findet, deren 6-Minuten-Gehstrecke über 140 Meter liegt (Gehstrecke ≤ 140 m Ausschlusskriterium in NETT!) und deren Belastungskapazität bei Frauen ≤ 25 Watt und bei Männern ≤ 40 Watt beträgt. Diesen Patienten sollte man nur dann zu einer LVR raten, wenn keine sonstigen gravierenden Erkrankungen vorliegen und von einer guten Langzeitcompliance in der Zeit nach der Operation auszugehen ist. Denn für die langfristige Stabilisierung des Behandlungserfolges nach erfolgter LVR ist eine konsequente Fortsetzung der medikamentösen Behandlung, der Physiotherapie und der Tabakabstinenz von zentraler Bedeutung.

NETT ist die erste große randomisierte Multizenterstudie, die den Stellenwert eines neuen pneumologisch-thoraxchirurgischen Behandlungskonzeptes für das schwere Emphysem (COPD) mit den modernen Werkzeugen einer EBM prospektiv analysiert hat. EBM kann zwischen dem, wovon wir glauben, dass es wirkt und dem, was tatsächlich wirkt, trennen. Geeigneten Patienten sollten wir eine wirksame Therapie nicht vorenthalten; allerdings müssen die Selektionskriterien streng beachtet werden. In diesem Sinne hat NETT einen Meilenstein in der klinischen Erforschung von medizinischen und chirurgischen Behandlungskonzepten für Patienten mit schwerem Lungenemphysem gesetzt. NETT kann allerdings nur der erste Schritt sein. Es müssen Studien folgen, in denen die Zuverlässigkeit der Selektionskriterien aus NETT in einem prospektiven Ansatz geprüft und eine Langzeitbeobachtung der Patienten über 5 bis 10 Jahre sichergestellt ist. Warum sollte eine gesundheitsökonomisch so bedeutsame Studie nicht auch in Deutschland möglich sein?

Literatur

  • 1 Worth H, Buhl R, Cegla U. et al . Leitlinie der Deutschen Atemwegsliga zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem (COPD).  Pneumologie. 2002;  56 704-738
  • 2 Cooper J D, Patterson G A, Sundaresan R S. et al . J Results of 150 consecutive bilateral lung volume reduction procedures in patients with severe emphysema.  J Thorac Cardiovasc Surg. 1996;1;  123 119-133
  • 3 Fishman A, Martinez F, Naunheim K. et al . A randomized trial comparing lung-volume-reduction surgery with medical therapy for severe emphysema.  N Engl J Med. 2003;  348 2059-2073
  • 4 National Emphysema Treatment Trial Research Group . Patients at high risk of death after lung-volume-reduction surgery.  N Engl J Med. 2001;  345 1075-1083
  • 5 Cassina P C, Teschler H, Konietzko N. et al . Two-year results after lung volume reduction surgery in alpha1-antitrypsin deficiency versus smoker's emphysema.  Eur Respir J. 1998;  12 1028-1032

Prof. Dr. H. Teschler

Ruhrlandklinik

45239 Essen