Laryngorhinootologie 2003; 82(5): 368-369
DOI: 10.1055/s-2003-39724
Rechtsprechung
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Infusion mittels Venenverweilkatheter bei Tinnitus

Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 27. 2. 2001 - 14 U 49/00Infusion via Venous Indwelling Catheter in Tinnitus TreatmentO.  Walter, A.  Wienke
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Publication Date:
11 June 2003 (online)

Sachverhalt

Die Klägerin begehrte vom Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einer angeblich fehlerhaften Infusionsbehandlung bei Tinnitus.

Die Klägerin suchte zunächst die ambulante Sprechstunde des Beklagten wegen eines Tinnitus auf beiden Ohren auf. Der Beklagte veranlasste eine ambulante Infusionstherapie mit Rheomacrodex und Novocain ab Mitte Dezember. Vor dem erstmaligen Legen der Infusion wurde der Klägerin erläutert, dass für die Infusion entweder täglich ein neuer Zugang in die Vene eingestochen oder aber eine Braunüle gelegt und für die Dauer der Infusionstherapie in der Vene belassen werden könnte. Die Klägerin entschied sich für einen Venenverweilkatheter, was ein Assistenzarzt in den Krankenakten dokumentierte. Dabei wurden die Risiken einer Braunüle, wie Infektionen, Blutungen, Wundheilstörungen, Abszesse und Sepsis, im Einzelnen aufgeführt.

Insgesamt erhielt die Klägerin über einen Zeitraum von fünf Tagen täglich jeweils eine Infusion, wobei das Verbindungsstück zwischen der Braunüle und dem Infusionsschlauch nicht jeweils gesondert desinfiziert wurde. Die Einstichstelle wurde täglich inspiziert und nach Infusionsende mit einem neuen Verband versorgt. Am Abend des fünften Tages der Infusionsbehandlung verspürte die Klägerin Schmerzen im rechten Arm, in dem der Venenverweilkatheter eingebracht war. Am darauffolgenden Tag beschrieb die Klägerin Kopfschmerzen und Übelkeit, woraufhin die Infusionstherapie abgebrochen wurde. Nach Entfernen der Venenverweilkanüle erhielt die Klägerin einen entzündungshemmenden Salbenverband.

Zwei Tage später suchte die Klägerin wegen starker Rückenschmerzen sowie Schmerzen im Bereich der linken Brust und der linken Schulter eine orthopädische Praxis auf. Dort wurden keine Auffälligkeiten am rechten Unterarm dokumentiert.

Fünf Tage später erlitt die Klägerin wegen zunehmender Schmerzen im Bereich des Sternoklavikulargelenkes links einen schmerzbedingten Kollaps und wurde zu einer Antibiotikabehandlung stationär aufgenommen. Wegen des Verdachts auf eine Plexusinfiltration erfolgte eine Verlegung in eine neurologische Klinik, wo eine Plexus brachialis-Läsion rechts sowie eine septische Arthritis des Sternoklavikulargelenkes links behandelt wurde. Ende Januar konnte die Klägerin nach Rückgang der Entzündungszeichen aus der stationären Behandlung entlassen werden. Die Beschwerden besserten sich in der Folgezeit, jedoch verblieben Schmerzen und Missempfindungen in der rechten Hand.

Die Klägerin behauptete, sie sei weder vor Beginn der Infusionsbehandlung noch später über die Risiken eines Venenverweilkatheters aufgeklärt worden. Darüber hinaus habe die Braunüle zu lange im Unterarm gelegen, da nach den Richtlinien des Bundesgesundheitsamtes ein Wechsel der Verweilkanüle spätestens nach 72 h hätte erfolgen müssen. Bei Entfernung der Kanüle sei entgegen den Regeln der ärztlichen Kunst eine Erregerbestimmung unterblieben, obwohl der rechte Unterarm von oberhalb des Handgelenkes bis zum Ende des Ellenbogens rot und geschwollen und die Haut überall gespannt gewesen sei. Diese Infektion sei mit dem einfachen Salbenverband nicht ausreichend behandelt worden. Die fortbestehenden Beschwerden im Bereich der linken Schulter seien auf die Infusionsbehandlungen zurückzuführen. Aufgrund der erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigung habe sie einen neurologischen Dauerschaden erlitten und könne ihren Beruf als Bauzeichnerin nicht mehr wie gewohnt ausüben. Die Klägerin beantragte vor dem Landgericht in erster Instanz ein Schmerzensgeld in Höhe von 80 000,00 DM sowie die Feststellung einer Schadensersatzpflicht des Beklagten für künftig entstehende weitere Beeinträchtigungen.

Der Beklagte erwiderte, die Klägerin sei über die Risiken eines Venenverweilkatheters aufgeklärt worden, was sich auch aus den Krankenunterlagen ergebe. Hygienevorschriften seien nicht verletzt worden. Bei der Entfernung des Verweilkatheters hätten keine Anhaltspunkte für eine Infektion bestanden. Dementsprechend sei auch eine Erregerbestimmung nicht erforderlich gewesen. Im Übrigen sei die Verweildauer der Braunüle im Arm auch nicht zu lange bemessen gewesen.

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, es könne weder ein Behandlungsfehler noch ein Aufklärungsdefizit nachgewiesen werden. Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin Berufung zum OLG Stuttgart ein und verwies dabei auch auf die Ausführungen des Sachverständigen der ersten Instanz, wonach eine katheterassoziierte Bakteriämie anzunehmen sei. Der Beklagte bestritt nach wie vor die von der Klägerin behaupteten lokalen Symptome am rechten Unterarm bei Abnahme der Braunüle. Bei der Liegedauer peripherer Venenkatheter sei eine maximale Verweildauer nicht zwingend einzuhalten, da die Liegedauer eines Katheters keinen eigenständigen Risikofaktor darstelle.

Rechtsanwalt O. Walter,
Rechtsanwalt Dr. A. Wienke

Wienke & Becker

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