Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003; 38(3): 141-142
DOI: 10.1055/s-2003-37786
Gasteditorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zur Prognose des Brandverletzten

Predicting Outcomes of Burned PatientsR.  Klose1
  • 1BG Unfallklinik Ludwigshafen
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Publication Date:
12 March 2003 (online)

Wie in vielen Bereichen des Gesundheitswesens unseres Landes, mangelt es auch wegen fehlender Meldepflicht an statistisch zuverlässigen Daten zu thermischen Verletzungen. Wir sind auf Schätzungen angewiesen. Vermutlich versterben bei einem Brand bis zu 70 % der Betroffenen bereits an der Unfallstelle, sie werden Opfer einer Asphyxie infolge der sauerstoffverarmten Atmosphäre oder/und der systemtoxischen Gase, also von Kohlenmonoxyd und Zyanid. Schätzungsweise 8000-10 000 Verletzte/Jahr bedürfen einer stationären Behandlung. Für die schweren Verbrennungen haben wir aber - dank eines freiwilligen Meldesystems der Deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft für Verbrennungsmedizin (DAV) - einen guten Überblick über die in Spezialeinheiten behandelten Brandverletzten. In den zurückliegenden Jahren waren dies jährlich ca. 1300 Schwerbrandverletzte. Die Mortalität liegt im Mittel zwar „nur” bei 17 %, erreicht aber doch bei älteren Menschen (> 65 Jahre) und großflächigen Verbrennungen (> 40 % verbrannte Köperoberfläche) rasch 80 % und mehr.

Die Behandlung des Schwerbrandverletzten ist teuer: Die durchschnittlichen Tageskosten auf der Intensivstation liegen bei ca.3500 Euro, was bei einer mittleren Verweildauer von 15 Tagen beachtliche 52 500 Euro ausmacht, eine Summe, die im Einzelfall bei ausgedehnter Verbrennung mit notwendiger Hautzüchtung, septischen Komplikationen, langer Beatmungszeit rasch auf ein Mehrfaches ansteigen kann. Und dabei sind es gerade die Patienten, die schließlich versterben, die die meisten Ressourcen beanspruchen. Da scheint es berechtigt und nicht unethisch, die Frage nach der Prognose, nach dem Ausgang zu stellen. Immerhin ist die Prognose ein Kriterium bei der Festlegung des Therapieausmaßes und bei voraussichtlich infauster Prognose sogar das Kriterium für die Entscheidung zum Therapieverzicht. Bekanntlich ist aber die Prognosestellung eine der schwierigsten ärztlichen Aufgaben, arbeitet sie doch nur mit Wahrscheinlichkeiten. Scoring-Systeme zur Krankheitsschwere und zur Prognose sollen daher die Vorhersagegenauigkeit erhöhen und die Entscheidung des Arztes unterstützen.

Gerade beim Brandverletzten sind schon sehr früh derartige Score-Systeme zur Prognosebewertung entwickelt worden, ist doch die Schwere der primären Schädigung (Tiefe und Ausmaß der Verbrennung) sichtbar auf der Haut einer zuverlässigen Bewertung zugänglich. Und so begnügt sich der relativ einfache Verbrennungsindex nach BAUX mit der Summe von Lebensalter und Ausmaß der Verbrennung (% zweit- und drittgradig verbrannte Körperoberfläche). Eine Summe von unter 95 entspricht einer Überlebenswahrscheinlichkeit von mehr als 50 %, eine Summe von mehr als 100 einer Überlebenswahrscheinlichkeit von 10 % und weniger, bei einer Summe von mehr als 125 liegt die Überlebenswahrscheinlichkeit bei 0. Dies ist zugegebenermaßen eine außerordentlich grobe Zuordnung und eine Anpassung an die sich weiterentwickelnden Behandlungskonzepte des Brandverletzten ist notwendig. Dennoch - und das ist bemerkenswert wie die Arbeit von Hörbrand und Mitarbeitern in diesem Heft zeigt - kommt dieser simple BAUX-Index durchaus komplexeren und anspruchsvolleren Scoring-Systemen nahe. Damit wird belegt, dass das Lebensalter und das Ausmaß der verbrannten Körperoberfläche die nach wie vor ganz entscheidenden Kriterien für die Prognose „überleben” oder „nicht überleben” sind.

Eine Verbesserung der Vorhersagegenauigkeit sollte durch die Berücksichtigung weiterer Kriterien möglich sein. Der von Tobiasen entwickelte „Abbreviated Burn Severity Index” (ABSI) hat als Aufnahmescore inzwischen eine weite Verbreitung gefunden. Er berücksichtigt neben Alter und Verbrennungsausmaß auch die drittgradige Verbrennung, das Geschlecht (umstritten) und das Inhalationstrauma. Nun wissen wir, dass das Inhalationstrauma ganz erheblich - um ca. 30 % - die Mortalität des Brandverletzten steigert und daher in jedem Prognose-Score ein entsprechendes Gewicht haben sollte. Dies setzt aber bei einem Aufnahme-Score voraus, dass die Diagnose „Inhalationstrauma” - möglichst noch unterteilt in leichtes und schweres - stimmt. Und das ist initial, d. h. in den ersten 12-24 Std. in der Regel nur eingeschränkt bis gar nicht möglich. Das Inhalationstrauma benötigt zu seiner Entwicklung Zeit.

Weitere für die Prognose des Brandverletzten als wesentlich erkannte Co-Krankheiten und Risikofaktoren werden sicherlich noch nicht gebührend beachtet, doch sie sind anfangs nicht selten unbekannt oder teilweise wie das Inhalationstrauma zunächst nicht im ganzen Ausmaß diagnostizierbar: Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen (Raucher), Stoffwechselstörung (Diabetes mellitus u. a.), gastrointestinale Erkrankungen, Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch, neurologisch-psychiatrische Erkrankung (Demenz, Suizidverhalten), Übergewicht und anderes mehr. Auf diese Faktoren ist immer wieder hingewiesen worden und es ist wie in der Arbeit von Hörbrand u. Mitarb. versucht worden, den ABSI modifizierend zu erweitern.

Aber es gibt noch weitere Faktoren von denen wir wissen, dass sie den Krankheitsverlauf durchaus beim Brandverletzten entscheiden können: Die Zeitspanne bis zur ersten Therapie, die Qualität der Erstversorgung am Unfallort und auf dem Transport. Diese und noch andere Faktoren müssten auf ihre Wertigkeit für die Prognose geprüft und validiert werden, um Eingang in einen Aufnahme-Score wie den ABSI zu finden. Ob aber diese Erweiterungen und Komplizierungen die Aussagekraft des ABSI wirklich verbessern und vor allem die aktuelle Entscheidungsfindung signifikant beeinflussen, mag infrage gestellt werden. Prognoseindizes haben allenfalls für eine definierte Patienteneinheit Gültigkeit, kaum aber für den individuellen Einzelfall. Dies gilt ganz besonders für Aufnahme-Scores, die in der Regel noch vor dem Behandlungsbeginn stehen. Man wird wie sooft die Behandlung zunächst beginnen, um dann zu einem späteren Zeitpunkt mit mehr Informationen und Kenntnissen, eben auch anhand des Krankheitsverlaufes über die Ausweitung oder Einstellung der Therapie zu entscheiden. Damit verlieren Bemühungen, den ABSI modifizierend zu verbessern, nicht ihren Wert, geht es doch auch um eine präzisere Beschreibung der Ausgangssituation, um dann Vergleichbarkeit zwischen Behandlungszentren herstellen und Therapieverfahren sowie Ergebnisse besser bewerten zu können, also um wesentliche Grundlagen einer Qualitätskontrolle.

Wenn die Überlebenschancen des Brandverletzten in den letzten 2-3 Dezennien weiter gestiegen sind, dann nicht zuletzt durch die kompetente und umfassende Gesamtversorgung in Spezialeinrichtungen für Brandverletzte, wo sich Patienten und interdisziplinäre Erfahrung konzentrieren. Dabei ist „outcome” nicht nur auf das Kriterium „Leben vs. Tod” zu reduzieren, sondern es ist auch nach dem „Wie”, also der Lebensqualität, zu fragen. Es besteht kein Zweifel, dass die Fortschritte der plastischen Rekonstruktionschirurgie die Prognose auch im Hinblick auf die funktionelle und ästhetische Wiederherstellung des Brandverletzten - wenn auch statistisch schwer messbar - entscheidend verbessert haben. Die Erfolge der Verbrennungsmedizin sind natürlich nicht zum „Null-Tarif” zu bekommen. Wie bereits betont, die Behandlung ist kostenintensiv und sie wird es bleiben. Die tiefgreifenden Veränderungen in unserem Gesundheitswesen werden auch diese zugegebenermaßen kleine Patientengruppe treffen und die erreichten Fortschritte im Behandlungsergebnis möglicherweise wieder zunichte machen.

Prof. Dr. med. R. Klose

BG Unfallklinik

Ludwig-Guttmann-Straße 13

67071 Ludwigshafen