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DOI: 10.1055/s-2002-36095
Mechanismen der Heiserkeit - Visualisierung und Interpretation durch nichtlineare Dynamik
Mechanisms of Hoarseness - Visualization and Interpretation by Means of Nonlinear DynamicsPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
17. Dezember 2002 (online)
Stimme entsteht im Kehlkopf durch die Schwingungen der Stimmlippen. Eine gesunde Stimme ist durch gleichmäßige Stimmlippenschwingungen gekennzeichnet. Erst durch das korrekte Zusammenspiel einer Vielzahl von Kehlkopfmuskeln und Nerven ist ein reguläres Schwingen der Stimmlippen möglich. Auch sehr kleine Störungen z. B. durch unterschiedliche Massen, unterschiedliche Muskelspannungen oder andere Gewebeveränderungen wirken sich unter Umständen auf die Qualität der Stimme aus. Der Mechanismus ist bis heute nicht verstanden, weil er einerseits nie beobachtet und andererseits nicht theoretisch beschrieben werden konnte. In dieser Arbeit werden Mechanismen von Heiserkeit aufgezeichnet und mit der Chaostheorie qualitativ erklärt.
Mit einer eigens dafür entwickelten digitalen Hochgeschwindigkeitsvideokamera wurden die Bewegungen der Stimmlippen aufgenommen. Mit einem selbst entwickelten „Laser-Zielgerät” kann die Glottis in metrischen Einheiten während der Phonation vermessen werden. Eine wissensbasierte Bildverarbeitungssoftware extrahiert aus den digitalen Hochgeschwindigkeitsaufnahmen die wesentlichen Schwingungsmuster.
Physikalisch lassen sich die Schwingungen der Glottis durch das so genannte Zwei-Massen-Modell beschreiben. Es ersetzt jede Stimmlippe durch zwei gekoppelte Massen, die gesamte Glottis somit durch vier symmetrisch angeordnete, gekoppelte Oszillatoren, die durch die Luftströmung in Schwingungen versetzt werden.
Die Luftströmung und die Schwingungen werden durch die Bernoulli'sche Gleichung beschrieben. Die zunächst lineare Oszillation der einzelnen Stimmlippen wird nichtlinear, weil sich die Stimmlippen (zumindest bei vollständigem Glottisschluss) in der Mitte berühren, wodurch sie sich verformen. Die adäquate Theorie zur Beschreibung dieses Vorgangs ist die nichtlineare Dynamik. Auf diese Weise entsteht die Hypothese, dass Symmetrie (sowohl der Massen als auch der Spannungen) eine wesentliche Voraussetzung für eine normale Stimme ist. Modellrechnungen belegen, wie sich Asymmetriefaktoren auf klinisch messbare Parameter der Phonation auswirken: Offenquotient, Glottisschlussinsuffizienz, Korrelation und Rauigkeitskomponente. Es werden Heiserkeitskarten berechnet, die diese Wechselbeziehung quantitativ ablesen lassen. Um die Methode für den klinischen Einsatz tauglich zu machen, muss in vertretbarer Zeit aus den gemessenen Kurven die Pathophysiologie abgeleitet werden. Mathematisch entspricht dieses Problem der inversen Lösung der Bernoulli-Gleichung: Aus den gemessenen Bewegungskurven werden die Anfangsbedingungen der Schwingung numerisch geschätzt. Eine Methode der Inversion wird hier vorgestellt.
Anhand von klinischen Fallbeispielen wird die Anwendbarkeit der quantitativen Schwingungsanalyse auf Stimmstörungen demonstriert. Insbesondere wird beschrieben, wie sich Art und Ausmaß von Kehlkopfasymmetrien durch die Anwendung des biomechanischen Modells bei Patienten mit Heiserkeit lokalisieren und quantifizieren lassen. Am Beispiel eines Stimmlippenpolypen werden z. B. die Auswirkungen einer einseitigen Massenveränderung demonstriert und diskutiert. Es wird gezeigt, dass die Massenveränderung nicht isoliert auftritt, sondern auch zu einer Reduktion der Muskelspannung führt.
Ausgehend von den Ergebnissen der klinischen Anwendung wird eine neue Klassifikation von Stimmstörungen beschrieben. Danach lassen sich Stimmstörungen durch asymmetrische Konstellationen der Masse und Spannungen im Kehlkopf beschreiben. Je nach Art und Ausprägung der Asymmetrie führen diese zu Stimmstörungen, die sich z. B. in behauchten oder rauen Stimmen manifestieren.
Die in dieser Arbeit beschriebene Untersuchungstechnik ermöglicht eine differenziertere Diagnose von Stimmstörungen und damit eine effizientere Behandlungsplanung. Sie lässt sich möglicherweise auch zur Objektivierung bzw. Validierung unterschiedlicher Therapiemethoden einsetzen.
Priv.-Doz. Dr. Dr. Ulrich Hoppe, Jahrgang 1966
Die Arbeit ist in Englisch verfasst und über den Shaker-Verlag, Aachen, zu beziehen.
Priv.-Doz. Dr.-Ing. Dr. rer. med. Ulrich Hoppe
Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie · Klinikum der Universität Erlangen-Nürnberg
Bohlenplatz 21 · 91054 Erlangen