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DOI: 10.1055/s-2002-35781
DRGs: Strukturwandel nicht nur im stationären Bereich
DRGs: Structural Change Not Only in Stationary WardsPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
29. November 2002 (online)
Mit dem Gesundheitsreformgesetz 2000 wurde die Einführung eines neuen pauschalierenden Vergütungssystems für allgemeine voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen mit Behandlungsfallpauschalen auf der Grundlage eines international angewendeten Diagnosis Related Groups Systems (DRGs) beschlossen. Die mit der Umsetzung dieser Aufgabe beauftragte Selbstverwaltung hat sich daraufhin verständigt, das künftige Vergütungssystem auf der Grundlage der Australian Refined Diagnosis Related Groups (AR-DRGs), Version 4.1, zu entwickeln und dessen Bewertungsrelationen auf der Basis deutscher Ist-Kosten-Erhebungen festzulegen. Der mit dem Fallpauschalengesetz vom 29. 4. 2002 (FPG) vorgegebene Zeitpunkt für die abrechnungswirksame Einführung des neuen Vergütungssystems ab dem 1. 1. 2003 auf freiwilliger Basis wurde angesichts des Scheiterns der Verhandlungen über die Gestaltung des Optionsmodells 2003 am 24. 6. 2002 infrage gestellt. Ob die nach dem Scheitern der Selbstverwaltung vom Bundesministerium für Gesundheit per Ersatzvornahme angestrebte Umsetzung des Optionsmodells 2003 gelingen wird, kann nicht zuletzt wegen der Ankündigung der Oppositionsparteien, das FPG und den DRG-Einführungszeitplan im Falle eines Regierungswechsels infolge der Bundestagswahl zu revidieren, bei Redaktionsschluss (16. 8. 2002) nicht abgesehen werden. Eine für alle Krankenhäuser mit Ausnahme der Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapeutischen Medizin verbindliche Einführung des DRG-Systems sieht das FPG ab dem Jahr 2004 vor. Um den Systemumstieg für die Krankenhäuser möglichst risikoarm zu gestalten, sollen die DRGs für diese bis einschließlich 2004 budgetneutral zum Einsatz kommen.
Spätestens mit der ab dem Jahr 2005 beginnenden Konvergenzphase der Preisvereinheitlichung wird es, sofern der gesetzliche Zeitrahmen eingehalten werden kann, unter den Krankenhäusern zu DRG-Gewinnern und DRG-Verlierern kommen. Dabei werden nicht nur diejenigen belohnt oder bestraft, die wirtschaftlich bzw. unwirtschaftlich arbeiten, sondern auch alle, deren Leistungen durch die dann eingesetzte Fassung des künftigen deutschen G-DRG-Systems trotz wirtschaftlicher Erbringung nicht korrekt bewertet werden. Weil das den deutschen DRG-Entwicklungen zugrunde liegende AR-DRG-System in Australien in einem anderen ordnungspolitischen Rahmen und vor dem Hintergrund einer in vielen Details anders strukturierten Gesundheitsversorgung eingesetzt wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die G-DRGs während der Konvergenzphase noch einige solcher Unschärfen aufweisen werden. Der Anspruch an die Abbildungsgenauigkeit eines Fallpauschalensystems steigt linear mit dem darüber vergüteten Budgetanteil. Nachdem man nun zunehmend dieses Problem einer möglichst vollständig über Fallpauschalen abgewickelten Vergütung erkennt, wird die Kritik an einem solchen „100 %-Ansatz” gern als haltlose Stimmungsmache abgetan. Weil die Absicht, möglichst alle Krankenhausleistungen im DRG-Bereich über einheitliche Fallpauschalen abzurechnen u. a. jedoch als ausdrückliches Ziel in der Begründung zum mit nur wenigen Modifikationen Gesetz gewordenen Regierungsentwurf des FPG vom 20. 8. 2001 genannt wird, bestehen aber gute Gründe dafür, sich damit auseinander zu setzen. Im Fachgebiet der HNO muss beispielsweise geprüft werden, ob die Beschränkung vergütungswirksamer Schweregradsplits auf 5 von 23 Basis-DRGs in der hier maßgeblichen Hauptdiagnosenkategorie 3 der aus den AR-DRGs abgeleiteten deutschen G-DRG-Vorversion 0.9 unter einem solchen Anspruch aufrecht erhalten werden kann.
Was bietet das FPG für Öffnungsklauseln, um nicht DRG-gängige Leistungen separat zu finanzieren? Die Zusatzentgelte nach § 17b Absatz 1 Satz 12 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) sollen ausdrücklich nur „in eng begrenzten Ausnahmefällen” zum Tragen kommen. Die Möglichkeit, Leistungen, über „sonstige Entgelte” nach § 6 Absatz 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) losgelöst vom DRG-System zu finanzieren, ist lediglich auf die Jahre 2003 und 2004 begrenzt. Die betroffenen Fälle und Leistungsbereiche fallen ab 2005 automatisch in das DRG-System. Dies bedeutet, dass ab 2005 die Behandlungskosten aller dem neuen Vergütungssystem unterliegenden Fachbereiche weitgehend über DRGs abzubilden sind. Bis 2005 müssten auch diejenigen Bereiche, die nicht vollständig oder gar nicht Gegenstand des AR-DRG-Systems sind, wie zum Beispiel die Intensivmedizin, Onkologie, Geriatrie, Transplantationsmedizin sowie die in Deutschland auch im akutstationären Bereich erbrachte Frührehabilitation und Palliativmedizin auf der Grundlage deutscher Daten sachgerecht in das G-DRG-System eingepflegt worden sein. Dass dieses innerhalb von zwei Jahren nicht gelingen kann, ist schon jetzt absehbar. Es muss daher frühzeitig über eine sinnvolle Lockerung der in diesen Punkten zu eng gefassten FPG-Öffnungsklauseln entschieden werden, sofern ab 2005 eine generelle „Fluchtbewegung” aus den DRG-Vergütungen hinein in die inhaltlich auf Antrag des Krankenhauses durch die zuständige Landesbehörde ausweitbaren Sicherstellungszuschläge für die Leistungsvorhaltung vermieden werden soll.
Bei der Anpassung und Weiterentwicklung des DRG-Systems wird die Einbindung des ärztlichen Sachverstandes und die Berücksichtigung der kostenrelevanten Belange der Pflege und der übrigen Medizinalfachberufe unverzichtbar sein. Nur so kann das künftige Vergütungssystem auch langfristig auf die Akzeptanz der Betroffenen treffen. Dies kann nur über einen regelmäßigen Austausch der für die Pflege des DRG-Systems zuständigen Institutionen mit den jeweiligen Fachvertretern erzielt werden, deren Anregungen auf empirischer Datenbasis gegengeprüft und anhand transparenter Bemessungskriterien zu Entscheidungen über notwendige Modifikationen des Vergütungssystems führen müssen.
Angesichts der in Deutschland beabsichtigten maximalen Finanzierungswirksamkeit des DRG-Vergütungssystems, ist auch hierzulande mit weitreichenden Wechselwirkungen mit den angeschlossenen Versorgungsbereichen, insbesondere der ambulanten und rehabilitativen Versorgung sowie der Pflege zu rechnen. Das erfolgreiche Krankenhaus von morgen wird sich vom heutigen „Gemischtwarenladen” zum spezialisierten Profitcenter entwickeln. Der ausländische DRG-Trend des deutlichen Zuwachses der stationären Fallzahlen bei erheblicher Reduktion der Verweildauern gibt es vor: Anstelle der „Rundumbetreuung” mit dem Bestreben, möglichst sämtliche Gesundheitsprobleme des Patienten im Rahmen des aktuellen Krankenhausaufenthaltes anzugehen, tritt die gezielte fraktionierte Behandlung des spezifischen Einzelproblems. Im Falle der notwendigen interdisziplinären Zusammenarbeit zwingt der ökonomische Druck zur Aufgabe des bisherigen „Burgendenkens” der Fachabteilungen und zur schnellstmöglichen Klärung der Zuständigkeiten im Interesse eines ökonomisch effizienten Fallmanagements. Mit der Mindestmengenregelung sowie der Einweisungssteuerung auf Basis der künftig von den Krankenhäusern vorzulegenden Qualitätsberichte wird vor allen Dingen von den Kostenträgern ab dem Jahr 2004 massiv in die Auslastung der nach Landeskrankenhausplan aufgestellten Betten eingegriffen werden können. Dies wird insbesondere bei hoch spezialisierten und nicht zu den großen (Grund-)Versorgungsfächern gehörigen Fachgebieten zu einer Konzentration auf weniger Standorte führen.
An der ambulant-stationären Schnittstelle werden die Zuständigkeiten neu definiert: Nicht zwangsläufig an den stationären Aufenthalt gebundene Leistungen werden unter Rationalisierungsaspekten in den ambulanten vertragsärztlichen und pflegerischen Bereich verlagert. Dies wird sich vor allem durch eine Erweiterung der prästationären, insbesondere der präoperativen ambulanten Diagnostik und ambulanten poststationären Nachsorge bemerkbar machen. Von entscheidender strategischer Bedeutung für die Neuordnung der Kompetenzen an der ambulant-stationären Schnittstelle wird insbesondere der noch festzulegende DRG-unabhängige Leistungskatalog für ambulante Operationen und stationsersetzende Eingriffe nach § 115b SGB V sein. Bei der Neuordnung der ambulant-stationären Schnittstelle kann eines schnell zum Problem werden: Obwohl das FPG Regelungen enthält, welche im Falle der vom Gesetzgeber im Krankenhausbereich erwarteten Kosteneinsparungen zu Kürzungen bei der Bemessung der Krankenhausausgaben führen, sind keinerlei konkrete Regelungen zur Gegenfinanzierung des durch eine Leistungsverlagerung aus dem Krankenhaus in anderen Versorgungssektoren entstehenden Mehraufwandes vorgesehen. Vor diesem Hintergrund drohen Zuständigkeitskonflikte, welche im schlimmsten Fall auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden. In eine besondere Zwickmühle könnten die auch im HNO-Bereich stark vertretenen Belegärzte geraten: Einerseits erwartet der Krankenhausträger, dass der Belegarzt durch eine Verkürzung der Verweildauern und Erhöhung der Fallzahl ebenso wie die Hauptabteilungen seinen Beitrag zum Erhalt des Budgets leistet. Andererseits werden die vertragsärztlichen Kollegen es ungern sehen, wenn die damit sowohl im stationären als auch ambulanten Bereich resultierende belegärztliche Leistungsverdichtung ohne zusätzliche Mittel aus dem vertragsärztlichen Gesamtbudget gegenfinanziert werden muss.
Den mit den DRG-Systemen vergesellschafteten positiven Anreizen zu einer stärkeren Spezialisierung und höheren Professionalisierung der Abläufe steht stets ein Risiko gegenüber: Je höher der ökonomische Druck in einem solchen System wird, desto mehr treten kurzfristige und versorgungsbereichsabhängige wirtschaftliche Beweggründe in den Vordergrund, während das eigentliche Ziel, den Patienten ihre Beschwerden ganzheitlich über alle Versorgungsbereiche hinweg möglichst kurzfristig zu nehmen und die Heilung bzw. bestmögliche Linderung möglichst langfristig ohne nochmalige Intervention zu erhalten, droht, in den Hintergrund zu geraten. Es bedarf daher einer umfassenden Begleitung der DRG-Einführung in Deutschland, um Fehlwirkungen zu Lasten der Patientenversorgung frühzeitig zu erkennen und zu verhindern sowie sachgerechte Schnittstellenlösungen für den Übergang zwischen den verschiedenen Versorgungsbereichen zu finden. Die mit dem FPG vorgesehene Begleitforschung zur DRG-Einführung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit der Umstand, dass die mit der Umsetzung der DRG-Einführung beauftragten Vertragsparteien nun auch die Begleitforschung im Sinne der „Selbstkontrolle” eigenverantwortlich durchführen sollen, dieser Begleitforschung auch tatsächlich zu aussagekräftigen Ergebnissen verhelfen wird.
Dr. Bernhard Rochell
Bundesärztekammer, Köln
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