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DOI: 10.1055/s-2002-35767
Prognosebestimmende Kriterien bei Patienten mit fortgeschrittenen Plattenepithelkarzinomen der Mundhöhle, des Pharynx und der Supraglottis
Criteria Influencing Prognosis in Patients Suffering from Advanced Squamous Cell Carcinoma of the Oropharynx and SupraglottisPublication History
Publication Date:
29 November 2002 (online)
Weltweit nehmen die Karzinome des Pharynx und der Mundhöhle mit etwa 6-8 % den 6. Platz in der Häufigkeit aller Malignome ein. Trotz multimodaler diagnostischer und therapeutischer Verfahren ist die Prognose von Plattenepithelkarzinomen der Mundhöhle und des Pharynx inklusive Supraglottis nahezu unverändert ungünstig geblieben. Diese Kopf-Hals-Tumoren zeigen trotz gleicher Morphologie ein sehr unterschiedliches biologisches Verhalten. Selbst innerhalb gleicher Tumorstadien und Histologie ist die Prognose heterogen. Ein Prognosefaktor ist eine Variable, die unabhängig von anderen den Krankheitsverlauf beeinflusst. Man unterscheidet patientenabhängige (Alter, Immunstatus, BMI) und tumorabhängige Prognosefaktoren. Analog zu den meisten Organtumoren sind die anatomische Ausbreitung des Tumors zum Zeitpunkt der Diagnose (TNM, pTNM - definiertes Stadium) und im Falle einer Operation die Residualtumor-Klassifikation bei Mundhöhlen-, Pharynx- und Larynxkarzinomen die wesentlichsten gesicherten, prognostischen Parameter. Während das histopathologische Grading als wahrscheinlicher Faktor eingeordnet wird, diskutiert man Tumorzellkinetik und genetische Veränderungen derzeit noch kontrovers.
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, bei Patienten mit im Verlauf von zwei Jahrzehnten diagnostizierten und therapierten Plattenepithelkarzinomen der Mundhöhle, des Pharynx und der Supraglottis, die entsprechend der TNM-Klassifikation ein homogenes Krankengut mit schlechter Ausgangssituation darstellten, retrospektiv weitere unabhängige tumorbezogene und patientenbezogene Prognosekriterien zu identifizieren. Parallel dazu sollte das biologische Verhalten von fortgeschrittenen Plattenepithelkarzinomen der Mundhöhle, des Pharynx und der Supraglottis durch ausgewählte kernanalytische (Kernfläche pro Tumorzelle, AgNOR-Fläche pro Tumorzellkern), immunhistochemische (Ki67-Proliferationsindex) und molekularbiologische Untersuchungen (p53-Mutationen und Reaktivierung der Telomerase im Tumorgewebe) validiert werden. Die Untersuchungen bezogen sich auf 196 Patienten (Patientengruppe A) mit einem von 1979 -1993 diagnostizierten supraglottischen Larynxkarzinom und auf 222 Patienten mit einem von 1994 -1999 diagnostizierten Karzinom der Mundhöhle bzw. des Pharynx (Patientengruppe B). Während die chirurgische Behandlung in der Patientengruppe A nur die Laryngektomie sowie die Sanierung der zervikalen Lymphabflusswege umfasste, war die operative Therapie in der Patientengruppe B neben der ablativen Chirurgie in Abhängigkeit von der Tumorlokalisation und der Neck dissection mit einem Verschluss des oropharyngealen Weichteildefektes durch einen mikrochirurgisch revaskularisierten Gewebetransfer verbunden. Bei den operativ behandelten Patienten der Gruppe A wurden 41 % im Stadium III und 46 % im Stadium IV diagnostiziert. In der Patientengruppe B erfolgten 19 % der Erstdiagnosen im Stadium III und 74 % im Stadium IV. Die kombiniert radio-chirurgische Therapie überwog mit 73 % gegenüber der alleinigen Radiatio. Nach alleiniger Radiatio war die Prognose in beiden Patientengruppen mit einer 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von 10 -18 % unbefriedigend. Nach kombiniert radio-chirurgischer Therapie des supraglottischen Larynxkarzinoms überlebten 42 % der Patienten mindestens 5 Jahre rezidivfrei. Nach kombiniert radio-chirurgischer Therapie betrug die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit bei Patienten mit fortgeschrittenen Karzinomen der Mundhöhle, des Pharynx und der Supraglottis 63 %. Die plastisch-rekonstruktive Chirurgie, insbesondere mit der Anwendung des freien mikrochirurgisch revaskularisierten Gewebetransfers ermöglichte den Patienten mit fortgeschrittenen Karzinomen im oropharyngealen Bereich neben neuen Chancen der lokalen Tumorkontrolle auch bessere Wege zur funktionellen Rehabilitation.
Im Rahmen der Cox-Regressionsanalyse wurden alle in Patientengruppe A und B eruierten Variablen, die sich in der univariaten Überlebensanalyse als signifikant erwiesen haben, auf ihre Prognoserelevanz als unabhängiger Vorhersageparameter geprüft. Als Zielkriterium fungierte die Überlebenszeit nach Diagnosestellung. Demzufolge hatte der Proliferationsindex Ki67 in der Patientengruppe A den höchsten prädiktiven Wert. Die Kombination T-Kategorie (p = 0,0098) und Proliferationsindex Ki67 (p = 0,0076) aus dem Pool aller Variablen erbrachte statistisch den höchsten Informationsgewinn bei der Prognoseeinschätzung des supraglottischen Larynxkarzinoms, wobei beide Parameter als voneinander unabhängig gelten. In der Patientengruppe B kam der Beurteilung von Seiten des Operateurs der höchste prädiktive Wert zu. Fast gleichwertig war die pN-Kategorie als prognoserelevanter Faktor zu sehen. Zu berücksichtigen ist, dass in der Parameter-Beurteilung von Seiten des Operateurs neben der Erfahrung des Operateurs in diesen Parameter das dem Arzt bekannte prätherapeutische Grading und Staging einflossen. Als von TNM-, G- und R-Klassifikation unabhängiger Parameter mit prädiktivem Wert, mit zusätzlichem Informationsgewinn erwies sich eindeutig die periphere Blutlymphozytenzahl. Bei Patienten, deren totale Lymphozytenzahl im peripheren Blut mit > 2000/mm3 im Normbereich lag, konnte eine 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit nach Kaplan-Meier von 80 % ermittelt werden. Bei einer darunter liegenden Lymphozytenzahl im peripheren Blut fiel die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit bis auf 40 %.
Neben der etablierten TNM-, G- und R-Klassifikation konnte am vorliegenden Patientengut die periphere Blutlymphozytenzahl als neuer patientenabhängiger und der Ki67-Proliferationsindex als neuer tumorabhängiger Prognosefaktor herausgearbeitet werden. Das Fehlen bzw. das Auftreten von p53-Mutationen oder Telomeraseaktivität im Tumorgewebe hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Prognose. Wie von der UICC als „New and promising factors” formuliert, sind neue Prognosefaktoren Verdachtsmomente, die derzeit keine Änderungen gegenüber etablierten klinischen Therapieprinzipien rechtfertigen. Während die Tragweite, die biologischen Parametern u. a. p53-Mutationen, Aktivierung der Telomerase in der Onkogenese von Kopf-Hals-Tumoren zukommt, zunehmend besser verstanden wird, ist ihr prädiktiver Wert für die betroffenen Patienten zur Zeit nicht sicher einzuschätzen.
Priv.-Doz. Dr. Christiane Motsch
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg · Univ.-HNO-Klinik
Leipziger Straße 44 · 39120 Magedeburg
Email: christiane.motsch@medizin.uni-magdeburg.de