Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(41 Schwerpunkt Kardiol.): 2133-2138
DOI: 10.1055/s-2002-34645
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Werden Herzglykoside zur Therapie der Herzinsuffizienz noch benötigt?

Do we still need cardiac glycosides?M. Böhm
  • 1Med. Universitätsklinik und Poliklinik, Innere Medizin III, Homburg/Saar
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eingereicht: 14.6.2002

akzeptiert: 28.8.2002

Publication Date:
11 October 2002 (online)

Herzglykoside waren die ersten Therapeutika, die für die chronische Herzinsuffizienz eingesetzt wurden [3] [38]. Bereits früh wurde beschrieben, dass bei Vorhofflimmern Digitalis eine besondere Bedeutung hat. In den nächsten 130 Jahren wurde allerdings auch erkannt, dass Digitalis im normalen Sinusrhythmus bei chronischer Herzinsuffizienz wirksam sein könnte [3] [20] . In den 80er Jahren wurde eine ganze Reihe von klinischen Untersuchungen durchgeführt, die auch im Sinusrhythmus die Wirkung von Digitalisglykosiden bei Patienten mit Herzinsuffizienz belegen sollten [7] . Surrogatendpunkte wie Belastbarkeit, Katecholaminkonzentrationen und die Häufigkeit kardialer Rekompensationen wurden untersucht und in der Regel positive Effekte beobachtet [13] [14] [18] . Da es sich allerdings nur um Surrogatparameter handelte, galt die Wirkung auf die Überlebenszeit und andere harte Endpunkte insbesondere der Morbidität (Krankenhausaufnahmen, kardiovaskulärer Tod) für lange Zeit als nicht belegt. Kritisch stimmten große Studien, bei denen positiv inotrope Substanzen mit Milrinon und Amrinon [5] [23] zu einer Übersterblichkeit führten. Abb. [1] zeigt die Differenzen der jeweiligen Studiengruppe zur Kontrollgruppe bei Vasodilatation und neuroendokrinem Antagonismus mit Enalapril (CONSENSUS, 34), der kombinierten Vasodilatation mit inotroper Stimulation durch Milrinon aus der PROMISE-Studie [23] und der intermittierenden reinen inotropen Stimulation mit Dobutamin.

Abb. 1 Positiv inotrope Substanzen in der Herzinsuffizienztherapie. Zusammenfassung der Wirkungen einer Vasodilatation (CONSENSUS), einer Vasodilatation und inotropen Wirkung (PROMISE) sowie einer rein inotropen Stimulation mit Dobutamin auf die Überlebenszeit von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz. Angegeben ist jeweils die Differenz zur Kontrollgruppe in den individuellen Studien. Es ist zu sehen, dass jede inotrope Stimulation zu einer Verschlechterung der Prognose führt.

Es ist zu sehen, dass es bei der inotropen Stimulation des Herzens bei chronischer Herzinsuffizienz zu einer raschen Übersterblichkeit der betroffenen Patienten kommt. Dies gilt auch für die inotrope Stimulation mit Vasodilatation und PDE-Hemmung (Phosphodiesterase). Darüber hinaus zeigte sich in einer retrospektiven Subgruppenanalyse der AIRE-Studie, in der die Wirkung des ACE-Hemmers Ramipril bei Patienten nach Myokardinfarkt bei dem intermittierenden Auftreten einer Herzinsuffizienzsymptomatik untersucht wurde [32], dass Patienten, die in dieser Situation mit Digoxin behandelt wurden, eine deutlich schlechtere Prognose hatten [29]. Dieser Effekt war auch nachweisbar, wenn in einer multivariaten Analyse die Begleitbehandlung, die Ausprägung der Herzinsuffizienz in beiden Gruppen, die Myokardinfarktlokalisation und die Vorerkrankungen analysiert und statistisch berücksichtigt wurden. Gerade bei der Herzinsuffizienz infolge eines Myokardinfarktes ist zu bedenken, dass Herzglykoside die Anfälligkeit auf ventrikuläre Arrhythmien bei akuter Ischämie erhöhen können [17] und es Hinweise gibt, dass sie nach Myokardinfarkten die CPK (Creatinphosphokinase) erhöhen und somit die myokardiale Schädigung verstärken können [37]. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass für Patienten, die einen Myokardinfarkt überlebten, der strengste Prädiktor für ein lebensbedrohliches, aber überlebtes Rhythmusereignis die Gabe von Herzglykosiden war [21]. Letztere Beobachtungen haben dazu geführt, dass in Großbritannien ein Register erhoben wurde, bei dem Patienten mit Herzinsuffizienz im Sinusrhythmus beobachtet wurden [19]. Die Subanalyse der UK-Heart-Study [22] zeigte ebenfalls eine Übersterblichkeit bei Gabe von Herzglykosiden mit einem relativen Risiko von 2,2. Dementsprechend besteht eine kritische Haltung zur Gabe von Herz-glykosiden bei Patienten mit Herzinsuffizienz im Sinusrhythmus, insbesondere nach Myokardinfarkt. Bereits die von Withering [38] beobachtete enge therapeutische Breite, die pharmakokinetischen Eigenschaften, die zur Kumulation führen können, sowie ein relativ ausgeprägtes Interaktionspotenzial mit anderen pharmakologischen Substanzen mag zu dieser kritischen Haltung bis hin zur Frage der Verzichtbarkeit von Digitalis bei der Herzinsuffizienz beigetragen haben.

kurzgefasst: Herzglykoside wurden über viele Jahre in der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz angewandt. Negative Studien zu positiv inotropen Substanzen bei chronischer Herzinsuffizienz haben Zweifel aufkommen lassen, ob auch bei Herzglykosiden eine fehlende oder neutrale Wirkung auf die Prognose vorliegen könnte. Studien an Patienten nach Myokardinfarkt haben die Bedenken gegenüber Herzglykosiden gestärkt.

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Prof. Dr. med. M. Böhm

Direktor der Med. Univ.-Klinik und Poliklinik, Innere Medizin III

Kirrberger Straße

66421 Homburg/Saar

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