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DOI: 10.1055/s-2002-34626
Editorial
EditorialPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
16. Oktober 2002 (online)
Kollagenosen sind im Kindesalter seltener als die juvenile chronische bzw. idiopathische Arthritis (JCA/JIA): Auf 100 Kinder mit JCA kommen 5-10 Patienten mit einer Kollagenose. Dementsprechend werden sie noch seltener als die JCA in Publikationen, Vorträgen oder Fortbildungen für Betroffene oder deren Eltern gewürdigt. Dies ist insofern problematisch, als es sich, verglichen mit der JCA, überwiegend um schwerere, teils lebensbedrohliche Erkrankungen handelt. Umso dankbarer bin ich dem Herausgeber, Herrn Dr. Miehle, und dem Thieme-Verlag, dass sie uns Gelegenheit geben, die aktuellen Probleme dieser Erkrankungsgruppe zusammenhängend in einem Themenheft darzustellen. Grundlage der Beiträge sind entsprechende Vorträge, die auf dem 28. Garmischer Kinderrheumatologischen Symposium (11.-12. Januar 2002) gehalten wurden.
Die klassische Kollagenose ist auch im Kindesalter der systemische Lupus erythematodes (SLE). Erfreulicherweise ist es uns gelungen, einen der derzeit profundesten Kenner dieses Krankheitsbildes, Herrn Prof. Dr. Earl Silverman, Hospital of Sick Children, Toronto, Kanada, zu gewinnen. Herr Dr. Silverman versteht es hervorragend, in einer problemorientierten Darstellung die relevanten Schwerpunkte präzise und praxisbezogen herauszuarbeiten und die jeweiligen therapeutischen Optionen mit der Autorität seiner großen Erfahrung klar zu benennen. Dabei werden auch die spezifisch pädiatrischen Probleme wie Beeinträchtigung von Wachstum und Sexualentwicklung herausgearbeitet.
Der neonatale Lupus beschäftigt nicht nur Erwachsenen- und Kinderrheumatologen, sondern auch die Geburtshelfer. Darüber hinaus geht es unsere jugendlichen Patientinnen mit SS-A- und SS-B-Antikörpern, also vor allem junge Frauen und Mädchen mit SLE oder Sjögren-Syndrom an. Diese Patientinnengruppe muss entsprechend aufgeklärt werden. Es handelt sich um ein potenziell lebensbedrohliches Krankheitsbild mit Manifestation im Neugeborenenalter. Das Hauptproblem stellen die Herzrhythmusstörungen dar, die in den meisten Fällen zu einer lebenslangen Schrittmacherbehandlung führen. Etwa 10-15 % der betroffenen Kinder erreichen nicht das zweite Trimenon. Frau Oberärztin Dr. Vogel, Kinderärztin und Kinderkardiologin, Rheumakinderklinik Garmisch-Partenkirchen, die sich über viele Jahre mit kardiologischen Problemen rheumakranker Kinder beschäftigt hat, stellt den aktuellen Stand dieses Krankheitsbildes kompetent und kompakt mit Epidemiologie, Pathophysiologie, Klinik und Hinweisen zur Therapie dar.
In ihrem Beitrag „Dermatomyositis - von der Frühdiagnose zur Frühtherapie und guten Prognose” behandelt Frau Oberärztin Dr. Häfner, Rheumakinderklinik Garmisch-Partenkirchen, die Probleme der juvenilen Dermatomyositis und deren Unterschiede zur Dermatomyositis des Erwachsenen. Da Frau Dr. Häfner sich seit vielen Jahren mit diesem Krankheitsbild beschäftigt und bereits mehrfach darüber publiziert und Vorträge gehalten hat, gelang ihr eine sehr praxisnahe und präzise Darstellung. Besonders bemerkenswert ist die Perspektive einer günstige(re)n Prognose bei Frühdiagnose und kompetenter Frühtherapie. Dies beinhaltet eine große Verantwortung für alle an der Versorgung dieser Kinder Beteiligten.
Die Sklerodermie wird von Herrn Dr. J. Malleikat, Herrn Prof. Dr. P. Altmeyer und Frau Prof. Dr. Bacharach-Buhles aus der Dermatologischen Universitätsklinik Bochum, die einen Schwerpunkt „Sklerodermie im Kindesalter” eingerichtet hat, dargestellt. So verfügen die Autoren über große diagnostische und therapeutische Erfahrungen bei Kindern mit Sklerodermie, insbesondere zirkumskripter Sklerodermie. Die etwas andere Sichtweise der Dermatologen im Vergleich zu der der Rheumatologen macht ihren Beitrag für uns außerordentlich bereichernd, nicht zuletzt in therapeutischer Hinsicht, wo alles andere als therapeutischer Nihilismus empfohlen, sondern vielmehr eine ganze Palette von Möglichkeiten ausgebreitet wird.
Die Mischkollagenosen und undifferenzierten Kollagenosen werden seit Jahren, ja seit Jahrzehnten heftig und kontrovers diskutiert. Zum 30. Geburtstag des schon vielfach abgeschriebenen, aber doch längerlebigen Sharp-Syndroms (Mixed Connective Tissue Disease, MCTD) stellt Dr. Michels, Chefarzt der Rheumakinderklinik Garmisch-Partenkirchen, die Problematik anhand eigener Fälle aus kinderrheumatologischer Sichtweise dar.
In Fortbildungen haben sich uns praxisorientierte Falldarstellungen zur Abrundung des Überblicks über die verschiedenen Krankheitsbilder sehr bewährt. Was wird tatsächlich im konkreten Fall an diagnostischen Maßnahmen veranlasst, mit welchen Konsequenzen für das therapeutische Vorgehen und mit welchem Erfolg für den Patienten? So bin ich Frau Dr. A. Kropp, Rheumakinderklinik Garmisch-Partenkirchen, Herrn Dr. Morhart, Chefarzt der Allgemeinpädiatrischen Abteilung der Kinder- und Rheumakinderklinik Garmisch-Partenkirchen, und Herrn Dr. Zurmühl, ebenfalls Garmisch-Partenkirchen, sehr dankbar für ihre Beiträge über MCTD, SLE und Dermatomyositis. Die Falldarstellungen, insbesondere die des SLE, spiegeln die Dynamik und auch Dramatik dieser Erkrankungen wider mit der Notwendigkeit, schnell, zum Teil mit aggressiven therapeutischen Maßnahmen auch im Kindesalter handeln zu müssen.
Die besten Langzeitergebnisse werden auch bei Kollagenosen durch einen multidisziplinären Therapieansatz erzielt. Dennoch bleibt die medikamentöse Therapie, vor allem beim SLE, die wichtigste Säule in der Behandlung dieser Erkrankungen. Herr Dr. Fedlmeier, Oberarzt an der Kinder- und Rheumakinderklinik Garmisch-Partenkirchen, gibt einen umfassenden und prägnanten Überblick über die „Medikamentöse Therapie juveniler Kollagenosen - pharmakologische Aspekte” und schildert die Eigenschaften und Bedeutung der einzelnen Arzneimittelgruppen. Dabei geht er auch auf neuere Entwicklungen ein.
Dass die Physiotherapie bei der JCA einen großen Stellenwert besitzt, ist bekannt und akzeptiert. Vielleicht ist weniger bekannt, dass auch Kollagenosen intensiver Physiotherapie bedürfen. Frau M. Spamer, Leiterin der Physiotherapeutischen Abteilung der Kinder- und Rheumakinderklinik Garmisch-Partenkirchen, gibt auf der Grundlage ihrer großen eigenen Erfahrung klare und praxisorientierte Hinweise zur klinischen Diagnostik und entwickelt daraus das therapeutische Vorgehen am Beispiel der juvenilen Dermatomyositis.
Aber auch weitere physikalische Maßnahmen haben wichtige Indikationen bei rheumatischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Herr Dr. G. Ganser, Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendrheumatologie, St. Josefsstift Sendenhorst, der selbst über große diesbezügliche Erfahrungen verfügt, gibt eine umfassende Darstellung der für das Kindes- und Jugendalter relevanten physikalischen Maßnahmen. Für diesen Beitrag bin ich Herrn Dr. Ganser besonders dankbar, weil solch zusammenfassende Darstellungen dieses Themas sonst kaum verfügbar sind.
Wenn es bei juveniler Dermatomyositis zu den gefürchteten Beugekontrakturen der großen Gelenke gekommen ist, helfen konservative Maßnahmen nur noch in sehr begrenztem Umfang. Ähnlich verhält es sich mit den Wachstumsstörungen der Extremitäten bei linearer Sklerodermie. Wo es bislang praktisch keine erfolgversprechenden therapeutischen Optionen gab, eröffnen sich orthopädisch-chirurgisch durch die Ilisarov-Methode in der Hand des Erfahrenen neue Möglichkeiten. In ihrem Beitrag „Chirurgisch-orthopädische Interventionsmöglichkeiten bei juveniler Dermatomyositis und linearer zirkumskripter Sklerodermie” stellen Herr Dr. Correll, Chefarzt der Kinderorthopädischen Klinik Aschau/Chiemsee, und Frau Dr. Häfner, Oberärztin der Rheumakinderklinik Garmisch-Partenkirchen, neun Patienten mit außerordentlich bemerkenswerten, hoffnungsvollen Therapieergebnissen vor.
Mit einem wichtigen, sehr oft vernachlässigten Aspekt rundet Herr Diakon Bernhard Fauser, Diplom-Sozialpädagoge und Leiter des Sozialdienstes der Kinder- und Rheumakinderklinik Garmisch-Partenkirchen, die Darstellungen über Kollagenosen im Kindesalter ab. Eindrücklich stellt er dar, dass wir es mit im Leben stehenden Kindern, nicht mit „Fällen von …” zu tun haben. In unserem täglichen Umgang mit ihnen prägen wir sie mit und vermitteln ihnen unser Bild, das wir von ihnen haben. Sehen wir sie als gleichberechtigte Partner mit prinzipiell ähnlichen Bedürfnissen, wie wir selbst sie haben? Oder behandeln wir sie zwar kompetent nach den Regeln der „evidenced-based medicine”, aber vernachlässigen ihre Persönlichkeit, nicht unbedingt aus Gleichgültigkeit, sondern oft aus Zeitmangel? Unser Umgang mit unseren Patienten kann wesentliche Impulse für deren weitere psychosoziale Entwicklung geben.
Dr. med. Hartmut Michels
Klinik für Kinder- und Jugendrheumatologie
Gehfeldstraße 24 · 82467 Garmisch-Partenkirchen