Rehabilitation (Stuttg) 2002; 41(5): 348-350
DOI: 10.1055/s-2002-34572
Aus der Arbeit der DVfR
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sicherstellung der Frührehabilitation und Krankenhausbehandlung von Menschen mit Behinderungen bei der Umsetzung des Fallpauschalengesetzes - Stellungnahme der Deutschen Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter e.V.

Safeguarding Early Rehabilitation and Hospital Treatment of Persons with Disabilities on Implementation of Legislation Introducing a Prospective Payment System - Statement of Deutsche Vereinigung für die Rehabilitation BehinderterDeutsche Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter e. V.
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Publication Date:
08 October 2002 (online)

Nach dem Memorandum „DRGs und Rehabilitation” vom 30.10.2001 und der Stellungnahme zum „Gesetz zur Einführung des diagnoseorientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser (FPG)” vom 6.5.2002 nimmt die Deutsche Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter e. V. (DVfR) nachfolgend Stellung zu Umsetzungsfragen bei der Einführung der Fallpauschalen zur Vergütung der Krankenhausleistungen. Diese Stellungnahme ist Ergebnis vielfacher Anregungen aus dem Mitgliederkreis der DVfR, die in der Arbeitsgruppe „DRGs und Rehabilitation” diskutiert und analysiert wurden.

Die Ziele des FPG i. S. der Steigerung von Qualität und Wirtschaftlichkeit im Krankenhaus werden nachhaltig unterstützt, dürfen aber nicht zulasten der Menschen mit Behinderungen gehen.

Das Anliegen der DVfR ist, bei Einführung der diagnosebezogenen Vergütung mittels DRGs im Krankenhaus die mittelfristige Versorgung folgender drei Personengruppen sicherzustellen und wo erforderlich zu verbessern:

Patienten mit (schweren Gesundheitsstörungen und daraus resultierendem) Bedarf an Frührehabilitation, Patienten mit Akuterkrankungen bei vorbestehender schwerer und komplexer Behinderung und Patienten mit behinderungsassoziiertem speziellen Behandlungsbedarf.

Wenn das Ziel verfolgt werden soll, auch in Zukunft die Krankenhausbehandlung, Rehabilitation und ambulante Nachsorge dieser Personengruppen langfristig, nachhaltig, bedarfsgerecht und qualitätsgerecht abzusichern, entstehen bei der Umsetzung des Fallpauschalengesetzes (FPG) erhebliche Herausforderungen

bei der Erarbeitung einer angemessenen Klassifikation der die Vergütung begründenden Diagnosen, bei der Ermittlung angemessener und ausreichender Vergütungen der Krankenhausbehandlung in Form der Fallpauschalen und bei der Qualitätssicherung.

Werden diese Probleme nicht angemessen gelöst, können Leistungen für diese Personengruppen in speziell eingerichteten Krankenhäusern bzw. Abteilungen nicht weiter erbracht werden, und die Versorgung von Menschen mit schweren Behinderungen ist gefährdet.

Die DVfR benennt im Folgenden einige notwendige Konsequenzen für den Prozess der Einführung von Fallpauschalen. Sie geht davon aus, dass das FPG umgesetzt wird und stellt diese politische Vorgabe nicht grundsätzlich infrage. Auf einige bereits im Memorandum vom 30.10.2001 benannte Probleme, deren Lösung noch nicht in Sicht ist, wie z. B. die Bewältigung der Konsequenzen frühzeitiger Entlassung in die Nachsorge-Systeme der vertragsärztlichen und rehabilitativen Versorgung, wird in dieser Stellungnahme nicht im Einzelnen eingegangen.

Als Ergebnis der Beratungen warnt die DVfR vor der vorübergehenden Einführung des AR-DRG-Systems durch eine Ersatzvornahme und vor einer voreiligen flächendeckenden 100 %-Umsetzung des Fallpauschalenprinzips für alle Krankenhausfälle, da nicht zu erkennen ist, wie bei der z. Z. vorhandenen Datenlage und deren Bearbeitungsstand die Belange der drei genannten Personengruppen angemessen berücksichtigt werden können.

Die Expertenberatungen der DVfR haben konkrete Lösungsvorschläge für einzelne wichtige Probleme erbracht, die kurz-, mittel- und langfristig Perspektiven für die Qualitätsverbesserung und ökonomische Mittelverwendung eröffnen und Fehlanreize vermeiden helfen. Diese sollten bei der anstehenden Umsetzung des FPG und den künftigen Anpassungen unbedingt beachtet werden.

Ferner wurden Überprüfungskriterien für vom InEK im Spätsommer 2002 zu erwartende Berechnungsergebnisse der Fallpauschalen auf der Basis der Probekalkulation erarbeitet, siehe dazu Anlage 2: Beispielkalkulationen, die die Eingruppierungsprobleme der drei genannten Personengruppen illustrieren.

Die DVfR ist sich bewusst, dass die Bewertung der entwickelten Fallpauschalen letztendlich erst nach Vorlage der Ergebnisse der Probekalkulation möglich ist. Dennoch sind die aufgeführten Probleme bereits absehbar, so dass jetzt überlegt werden muss, wie mit den Resultaten der Probekalkulation umzugehen ist.

Forderungen und Vorschläge:

Die DVfR fordert, dass für die genannten drei Patientengruppen nur solche Abteilungen von Krankenhäusern bei der DRG-Kalkulation berücksichtigt werden, deren Qualität nach den Kriterien der Fachgesellschaften gesichert ist und die ihre Patienten nach anerkannten Qualitätskriterien bzw. Leitlinien der Fachgesellschaften sachgerecht behandeln und die eine ausreichende Zahl dieser Patienten regelmäßig versorgen. Die DVfR lehnt die ersatzweise Anwendung der AR-DRGs als vorübergehende Lösung ab, da aus diesem Fallpauschalen-System eine sachgerechte Vergütung der Krankenhausleistungen für die drei Personengruppen nicht abzuleiten ist. Die DVfR fordert, dass bei den drei Patientengruppen mit Frührehabilitationsbedarf oder Behinderung die in der Probekalkulation ermittelten DRGs und ihre Relativgewichte einer Prüfung durch patientenbezogene Vergleiche zwischen DRG-kalkulierten und Ist-Kosten unterzogen werden. Bestätigt sich die Vermutung, dass aus systematischen Gründen die DRG-Entgelte zu niedrig kalkuliert werden, bedarf die Vergütung zumindest kurzfristig einer anderen Lösung im Rahmen des FPG. Dazu sollte § 6 Abs. 1 i. V. m. § 11 KHEntgG (Art. 5 FPG) zur Anwendung kommen. Die DVfR fordert, die Vergütung der Leistungen für die drei Personengruppen mittelfristig sachgerecht im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Qualitätssicherung innerhalb oder außerhalb des DRG-Systems zu ermitteln. Sie hält dabei die Einführung assessmentgestützter und prozedurgetriggerter DRGs für den Bereich der Frührehabilitation und für die Patienten mit behinderungsbedingtem Mehrbedarf für eine denkbare Lösungsoption innerhalb des DRG-Systems, die zudem langfristig positiv wirkt hinsichtlich Qualitätsverbesserung und sachgerechter Behandlungsteuerung. Kurzfristig erscheint diese Lösung aus praktischen Erwägungen und mangelnder Erfahrung allerdings nicht umsetzbar. Deshalb sollte zunächst Vorschlag 3 greifen. Die DVfR fordert, die extrem unterschiedlichen und teilweise sehr langen Verweildauern in der Frührehabilitation (insbes. aus dem Indikationsbereich Neurologie) und bei spezialisierten, behinderungsassoziierten Behandlungen in der Form zu berücksichtigen, dass ggf. in Abhängigkeit vom Ergebnis eines Assessments und/oder eines Konzils je Fall mehrere DRGs in Folge abgerechnet werden können oder eine andere spezielle Regelung gefunden wird. Im Interesse einer optimalen Fallsteuerung, Qualitätssicherung und der Verminderung der ökonomischen Risiken sollten die Verweildauern je DRG nicht zu lang bemessen werden. Die DVfR fordert Verlegungsregelungen, die die Frührehabilitation als Krankenhausleistung und die Rehabilitation fördern und nicht erschweren. Fehlanreize in Richtung einer zu frühen oder einer zu späten Verlegung sind zu vermeiden. Für Verlegungen sind Qualitätsmaßstäbe zu entwickeln, die den Aufgaben der Rehabilitation im gegliederten System entsprechen und der Leistungsfähigkeit der Rehabilitationseinrichtungen angemessen sind. Die Zusammenarbeit der Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen ist zu fördern. Es muss gewährleistet sein, dass die aufnehmende Reha-Einrichtung nicht völlig abhängig von den wirtschaftlichen Interessen des abgebenden Krankenhauses gemacht wird. Aus Sicht der DVfR ist es derzeit nicht möglich, für alle Sonder- und hochspezialisierten Einrichtungen und für die Behandlungen von Personen mit behinderungsassoziiertem speziellen Behandlungsbedarf (Gruppe 3) einheitliche DRGs zu bilden. Sie schlägt deshalb vor, auf der Ebene der Selbstverwaltung unter Beteiligung der Fachgesellschaften einen Katalog von Behandlungsfällen und spezialisierten Behandlungen, ggf. auch von spezialisierten Einrichtungen zu erarbeiten, bei denen nach § 6 Abs. 1 i. V. m. § 11 KHEntgG (Art. 5 FPG) auf Antrag des jeweiligen Krankenhauses die zuständigen Vertragspartner eine spezielle Vereinbarung über Leistungen und ihre Vergütungen treffen können. Die DVfR erwartet, dass die von ihr artikulierten Probleme Eingang in die Begleitforschung nach § 17 b Abs. 8 KHG finden und dabei die entsprechenden Fachgesellschaften angemessen beteiligt werden. Sie bittet das Bundesministerium für Gesundheit, den Anliegen der Personen mit Bedarf an Frührehabilitation, mit Akuterkrankung bei vorbestehender schwerer Behinderung und bei behinderungsassoziiertem besonderen Behandlungsbedarf besondere Bedeutung beizumessen. Die DVfR hält die Positionen der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Klinisch-Geriatrischen Einrichtungen im Positionspapier vom 3.5.2002 mit den vorstehenden Ausführungen für kompatibel und unterstützt nachdrücklich die Intention, dass ältere Menschen die Chance einer mit der Krankenhausbehandlung verknüpften Rehabilitation haben sollten. Dabei muss beachtet werden, dass für ältere Menschen ausreichende Zeit für die Rehabilitation vorgesehen werden muss. Die Formen der Rehabilitation und Nachsorge sind auch für den geriatrischen Patienten bedarfsgerecht flexibel auszugestalten und weiterzuentwickeln. Die DVfR geht davon aus, dass in vielen Fällen ein Mehrbedarf an Krankenhausleistungen und insofern an finanziellen Ressourcen bei der Krankenhausbehandlung von akut erkrankten Menschen mit vorbestehenden Behinderungen (Gruppe 2) besteht, als im Prozedurenschlüssel (OPS) zum Ausdruck kommt. Dies gilt nicht nur für therapeutische Leistungen, sondern ganz besonders für die Pflege (insbesondere für die Rehabilitationspflege), Unterstützung und/oder Überwachung und Begleitung. Sie regt an, diesen Mehrbedarf nicht über eine DRG, sondern über die Vereinbarung einer Assistenzpauschale entsprechend der Mitaufnahme einer Betreuungsperson sowie eines Zuschlags für besonderen Therapiebedarf (vgl. § 17 b KHFinG und § 11 KHEntgG) zu regeln, und die Abrechnung an den Nachweis entsprechend zusätzlich erbrachter Leistungen zu knüpfen. Die Krankenhäuser, die Frührehabilitation, Akutbehandlung von Menschen mit vorbestehenden schweren Behinderungen oder behinderungsassoziierte spezielle Behandlungen anbieten, sind aufgefordert, ihre Kosten exakt darzustellen (einschließlich vorhandener Querfinanzierungen). Dies ist gerade auch dann notwendig, wenn ggf. nur vorübergehend, Entgelte nach § 6 KHEntgG für das einzelne Krankenhaus vereinbart werden sollen und der Anteil dieser Entgelte am Gesamtkrankenhausbudget festgelegt werden soll.

Sollten sich bei der Probekalkulation keine kostendeckenden Preise in Form von Fallpauschalen finden lassen (vgl. oben Nr. 1 und 3), ist der gesetzliche Rahmen auszuschöpfen, um solche Vergütungen zu finden, die die Leistungen der genannten Abteilungen abdecken und die somit deren Weiterbestand und die Versorgung von akuterkrankten Patienten mit vorbestehenden schweren Behinderungen sichern.

In diesem Fall spricht sich die DVfR zusammenfassend für folgende kurzfristige Lösungen aus:

Gruppe 1 - Patienten mit Bedarf an Frührehabilitation:
Regelung nach § 6 Abs. 1 KHEntgG (Art. 5 FPG): krankenhausbezogene Vereinbarung entsprechender Entgelte (§ 11 KHEntgG)

Gruppe 2 - Patienten mit Akuterkrankungen bei vorbestehender schwerer und komplexer Behinderung:
krankenhausbezogene Vereinbarung von Zuschlägen, die sowohl die Mitaufnahme einer Begleitperson wie bisher als auch die Bereitstellung persönlicher Assistenz, Reha-Pflege und/oder spezieller therapeutischer Betreuung umfassen (§ 17 b KHFinG und § 11 KHEntgG)

Gruppe 3 - Patienten mit behinderungsassoziiertem speziellen Behandlungsbedarf:
Regelung nach § 6 Abs. 1 i. V. m. § 11 KHEntgG: krankenhausbezogene Vereinbarung spezieller Entgelte

Mittel- und langfristig sollen die Vorschläge greifen, die in den Anlagen[1] näher ausgeführt sind. Die Deutsche Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter e. V. ist bereit, bei der Umsetzung der kurzfristigen Lösungen und der Erarbeitung der mittel- und langfristigen Lösungen mitzuwirken.

im August 2002

1 Die Anlagen zu dieser Stellungnahme - Anlage 1: Begründungen zu den Forderungen und Vorschlägen, Anlage 2: Fallbeispiele (Kostenvergleich DRG zu Ist-Kosten) und Anlage 3: Überblick zu Finanzierungsmöglichkeiten von Krankenhausleistungen (FPG, Krankenhausfinanzierungsgesetz, Krankenhausentgeltgesetz) - können bei der Geschäftsstelle der DVfR angefordert werden.

Deutsche Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter (DVfR)

Friedrich-Ebert-Anlage 9

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