Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2002; 7(3): 161-165
DOI: 10.1055/s-2002-33127
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ermittlung von medizinischen Versorgungsdefiziten durch Analyse von Schlichtungsstellenverfahren

Investigation of Medical Errors by Analysing the Database of the Medical Conciliation Boards in GermanyA.  Garen1 , M.  Berndt1 , G. C.  Fischer1
  • 1Medizinische Hochschule Hannover, Abteilung Allgemeinmedizin
Die Studie wurde ausschließlich auf der Basis aggregierter anonymisierter Daten der Standarddokumentation der Schlichtungsstelle erstellt. Die entsprechenden Datensätze wurden nach Angabe der Autoren von einer Mitarbeiterin der Schlichtungsstelle zusammengestellt. Keiner der Autoren hatte im Zusammenhang mit der Studie Zugang zu Originaldaten oder Akten der Schlichtungsstelle.
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Publication Date:
05 August 2002 (online)

Zusammenfassung

Zielsetzung: Versorgungsdefizite in der Medizin sind ein viel diskutiertes Thema. Bisher konnte keine Untersuchungsmethode etabliert werden, die eine objektive, schnelle und regelmäßige Auswertung von Defiziten in der medizinischen Behandlung ermöglicht. Im Rahmen dieser Untersuchung sollte festgestellt werden, ob die Auswertung von vorhandenen Daten der Schlichtungsstellen geeignet ist, Versorgungsdefizite in der Medizin festzustellen. Methoden: Die standardisierten Statistikbogen der „Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammer” wurden am Beispiel der Allgemeinmedizin aus den Jahren 1990 bis 1998 ausgewertet. Die Häufigkeitsverteilung ärztlicher Maßnahmen und medizinischer Diagnosen bei den Anträgen der Schlichtungsstelle wurde ermittelt, um Erkenntnisse über häufig auftretende Komplikationen bei der Behandlung allgemeinmedizinischer Patienten zu erlangen. Ergebnisse: 590 Verfahren der Schlichtungsstelle wurden ausgewertet. Die Anzahl der Verfahren hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. Die Diagnostik, die Therapie und Injektionen verursachen 98 % aller beanstandeten ärztlichen Maßnahmen in der Allgemeinmedizin. Die vermeintlich unzureichenden ärztlichen Maßnahmen werden insbesondere durch die Behandlung des akuten Myokardinfarkts, der Dorsopathien, der Appendizitis und der Thrombosen/Embolien verursacht. Schlussfolgerungen: Die Daten der Schlichtungsstellen sind als Indikator für medizinische Versorgungsdefizite geeignet und könnten zu einem wichtigen Parameter in der Qualitätsförderung der Medizin weiterentwickelt werden.

Abstract

Aim: There are no established methods in Germany that allow an objective, fast, and regular analysis of medical errors. Aim of this investigation was, to find out if the records of the medical conciliation boards are suitable to get practical knowledge about medical mistakes. Methods: The medical conciliation board in Hannover registers every investigation on a standardised application form, which were analysed for the medical field of general medicine from the years 1990 till 1998. The number of malpractice claims registered at the conciliation board were analysed to get knowledge about the type of most common medical errors in gereral medicine. Results: 590 malpractice claims were investigated. The number of claims has multiplied in the last years. 98 % of all malpractice claims were caused by diagnosis, treatment and injections. The therapy of the acute myocardial infarction, vertebral problems, appendicitis, and thrombosis caused the highest number of malpractice claims. Conclusion: The database of the medical conciliation boards are a good indicator for malpractice in medicine and could be a useful resource to monitor trends in medical errors.

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A. Garen

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