Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(18): 979
DOI: 10.1055/s-2002-26733
Pro & Contra
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Brauchen wir neue zelltherapeutische und gentherapeutische Verfahren zur Behandlung von Diabetikern? - Contra

Do we need new ways of cell and gene treatment of diabetics? - Contra H.-J Lüddeke
  • Abteilung Stoffwechsel, Endokrinologie, Angiologie; Krankenhaus München Bogenhausen
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Publikationsverlauf

9.1.2002

22.2.2002

Publikationsdatum:
02. Mai 2002 (online)

Der Ansatz ist genial, und das Problem scheint schon gelöst. Am 11.1.1922, als Leonhard Thompson die erste Insulininjektion erhielt, war man nicht so zuversichtlich. Bis dahin war der Tod unvermeidliches Schicksal eines jeden Typ-1-Diabetikers. Der fatale Ausgang der Erkrankung war dann besiegt, aber es traten neue Langzeitkomplikationen auf. Für die Entwicklung ausgereifter und belegter Formen der Insulintherapie sind dann noch 70 Jahre vergangen. Unsere modernen subtilen Insulintherapien kommen der Physiologie nur grob nahe. Sie können aber diabetische Früh- und Spätkomplikationen eindrucksvoll reduzieren. Jedes andere Therapieverfahren muss sich daran messen lassen. Heute stehen wir nicht unter Zugzwang, weil weitgehend sichere Therapieformen existieren. Wir können also nachdenken und diskutieren.

Machbarkeit und Markt wollen ethische Fragen nicht wahrhaben. Die religiös motivierten Einwände gegen die Verwendung embryonaler Stammzellen müssen in einer pluralistischen Gesellschaft aber ernst genommen werden. Ich persönlich habe eher mit einem Therapieansatz Probleme, der letztlich auch die genetische Manipulierbarkeit des Menschen einschließt. Möglicherweise Gutes und möglicherweise Böses liegen hier eng beieinander.

Die in der öffentlichen Diskussion vorherrschende Überschätzung gentherapeutischer Möglichkeiten - im Sinne des omnipotent wirr klonenden Frankenstein-Wissenschaftlers - ist allerdings unrealistisch. Gefährlicher ist die Beschränktheit der Beteiligten. Wir verstehen den Inselzellapparat nur in Grundzügen und transplantieren ihn als „Black box“. Die β-Zelle ist aber ein metabolischer Minicomputer, der aus mindestens 30 Signalen ein einziges macht und deshalb viele Zwischenschritte vom ATP-abhängigen Kalium-Kanal bis zur Exozytose des Insulins kennt.

Das älteste gentechnologische Konzept, das unter dem Namen „metabolic engeneering“ - alle Strukturen des „glucose sensing“ einfach in einen anderen Zelltyp hineinbasteln wollte, ist an dieser Komplexität vorläufig und vielleicht endgültig gescheitert [1].

Die nach dem Edmonton-Protokoll transplantierten Inseln wiesen teilweise nach einiger Zeit einen Verlust der schnellen Insulinantwort auf. Möglicherweise ist dieser subtile Defekt Frühindikator eines Langzeitversagens. Ursache könnte die „cold ischemia“-Zeit sein, wie schnell also alles bis zur Transplantation geht.

Ob die in vitro proliferierende adulte [2] oder embryonale [3] Stammzelle diesen hochkomplizierten und sogar in vivo störungsanfälligen Inselzellapparat auf Dauer funktionstüchtig produzieren kann, wird sich zeigen. Die vorläufigen Publikationen zum Einsatz humaner Stammzellen sind spärlich und zeigen, dass man in vitro Insellzell-ähnliche Strukturen gewinnen kann, die Insulin produzieren. Man ahnt, dass auch dieser Weg ein weiter sein wird. Die restitutio ad integrum aber ist Illusion. Defekte wie beispielsweise die fehlende autonome Versorgung der Inseln werden bleiben.

Sicherheitsfragen werden vermutlich lösbar sein. Im Tierversuch haben allerdings Stammzellen auch ein onkogenes Potential.

Die Gentechnologie offeriert hoffnungsvolle Möglichkeiten, aber das gilt auch für andere Therapiesysteme: Mit der Weiterentwicklung von Sensoren wird beispielsweise das Ziel eines „closed loop“-Systems wieder greifbarer.

Die wichtigste Frage: Was bedeutet das alles für Menschen mit Diabetes?

Im Zeitalter des Internets werden ebenso schnell Hoffnungen und Illusionen geweckt, wie sie zerplatzen. Der Diabetes-Kongress der DDG in München 2000 war überschattet von der viel zu frühen Erfolgsmeldung der Bildzeitung aus Edmonton. Wichtiger als diese Diskussion wäre die Frage gewesen, ob es uns gelingt, unsere spärlichen relativ sicheren Erkenntnisse den Betroffenen nahezubringen.

Die gegenwärtige Generation von Diabetikern wird angesichts der Dimensionen des Problems kaum von zelltherapeutischen Neuentwicklungen profitieren. Wir tun gut daran, ihnen eine feste Orientierung auf das zur Zeit sicher Machbare - die intensivierte Insulintherapie - zu geben.

Literatur unter: www.thieme-connect.de

Literatur

  • 1 Halban. et al . Gene and cell replacement therapy in the treatment of type 1 diabetes.  Diabetes. 2001;  50 2181-2191
  • 2 Bonner-Weir. et al . In vitro cultivation of human islets from expanded ductal tissue.  Proc Natl Acad Sci. 2000;  97 7999-8004
  • 3 Assady. et al . Insulin production by human embryonic stem cells.  Diabetes. 2001;  50 691-697

Korrespondenzadresse

Dr. med. Hans-Joachim Lüddeke

Oberarzt der 3.Med.

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