Gesundheitswesen 2002; 64(4): 198-202
DOI: 10.1055/s-2002-25199
Plenarvortrag
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das Netzwerk „Regionen für Gesundheit” der WHO und die regionale Dimension europäischer Gesundheitspolitik

The Network “Regions of Health” of WHO and the Regional Dimensions of European Health PolicyB. Weihrauch
  • 1Leitende Medizinalrätin, Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes NRW
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Publication Date:
19 April 2002 (online)

Die regionale Dimension europäischer Gesundheitspolitik

Herzlichen Dank für die Einladung zur gemeinsamen wissenschaftlichen Jahrestagung von DGSMP und DGMS zum Schwerpunktthema „Gesundheit in der Region”.

Ich freue mich, in diesem Zusammenhang das Netzwerk „Regionen für Gesundheit” der Weltgesundheitsorganisation vorstellen zu können, das u. a. auf Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen entstanden ist. Ich möchte das Thema meines Referates aber zugleich auf eine breitere Basis stellen und die regionale Gesundheitspolitik in einem zusammenwachsenden Europa und damit auch die regionale Dimension europäischer Gesundheitspolitik einbeziehen.

Das Zusammenwachsen Europas ist derzeit eine der bedeutendsten politischen Herausforderungen. In den Bereichen des Waren-, Kapital-, Personen- und Dienstleistungstransfers sind die Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten der EU bereits weitgehend aufgehoben. Zwar sahen und sehen sowohl der Maastrichter als auch der Amsterdamer Vertrag eine Harmonisierung der Gesundheitssysteme nicht vor; die Organisation und Finanzierung von Leistungen der gesundheitlichen Versorgung sind danach ausdrücklich den Mitgliedstaaten vorbehalten. Der Stellenwert von Gesundheit erlangt im europäischen Einigungsprozess gleichwohl wachsende Bedeutung und wird sich weiter verstärken. Hier sind z. B. zu nennen:

das neue Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Gesundheit (2001-2006) das wachsende Interesse der Bürgerinnen und Bürger in Europa an Gesundheit die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs im Bereich der ambulanten (1998) und stationären Versorgung (2001) die Initiativen des Europaparlaments und des Ausschusses der Regionen (AdR) in Gesundheitsfragen der Markt als Motor der Integration auch im Bereich der Sozial- und Gesundheitspolitik

Dabei verändert sich derzeit die Rolle der Regionen und ihre Bedeutung hat in der jüngeren Vergangenheit erheblich zugenommen. Dies hat ohne Zweifel mit dem europäischen Integrationsprozess, aber auch mit den politischen und sozioökonomischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa zu tun. In verschiedenen europäischen Ländern findet derzeit eine Dezentralisierung der politischen Entscheidungsstrukturen statt, z. B. in Großbritannien, Spanien und Italien, aber auch in den Ländern Mittel- und Osteuropas. Eine ganze Reihe von Ländern hat allerdings gerade für gesundheitliche Belange bereits traditionell relativ bürgernahe, dezentrale politische Kompetenzen, neben Deutschland z. B. Österreich und die Schweiz.

Für die Europäische Union (EU) gilt: Je mehr Entscheidungen heute zentral auf der europäischen Ebene fallen und je mehr die Befugnisse der EU gestärkt werden, umso wichtiger werden für den Bürger in Europa die Wurzeln in seiner Region.

Im Übrigen: Entscheidungen auf der Ebene der EU sind - auch in der Gesundheitspolitik - von erheblicher Tragweite auch in den Kommunen und Ländern.

Im Mai dieses Jahres haben die konstitutionellen Regionen Bayern, Katalonien, Nordrhein-Westfalen, Salzburg, Schottland, Wallonien und Flandern eine gemeinsame politische Erklärung formuliert und darin eine stärkere Berücksichtigung regionaler Interessen im europäischen Integrationsprozess und eine Stärkung der Funktion des Ausschusses der Regionen (AdR) gefordert mit dem Ziel, dass dieser den Status eines vollwertigen Organs der Europäischen Union erhält, dessen Macht über eine beratende Rolle hinausgehe. (Eine entsprechende Forderung hat übrigens der Landtag in Nordrhein-Westfalen in einem Antrag bereits im Jahre 1999 formuliert.)

Mit der Forderung nach einer Stärkung regionaler Kompetenzen in den europäischen Diskussions- und Meinungsbildungsprozessen geht es nicht um Regionalismus. Im Gegenteil: Es geht um ein starkes Europa, mehr Konvergenz und Integration auch in der Gesundheits- und Sozialpolitik und einen hierzu notwendigen Prozess, der proaktiv gestaltet werden muss. Dies wird aber nur gelingen, wenn Europa von den Bürgern verstanden und getragen wird. Hier haben die Regionen eine besondere Verantwortung für Subsidiarität und Bürgernähe.

Es muss zukünftig noch transparenter werden, dass es vier Entscheidungsebenen in Europa gibt: die europäische, nationale, regionale und kommunale Ebene, die jede für sich im europäischen Integrationsprozess unverzichtbar ist und deren Kompetenzen klar zugeordnet werden müssen.

Kommissionspräsident Romano Prodi hat vor den Mitgliedern des Ausschusses der Regionen im Februar 2000 Folgendes erklärt:

„In den nächsten Jahren werden die regionalen Institutionen ein im Vergleich zur Vergangenheit immer größeres Gewicht erhalten ... Es ist an der Zeit, dass wir uns klar werden, dass Europa nicht nur von den europäischen Institutionen verwaltet wird. Ihre konstituierenden Elemente, die Faktoren, die ihr Funktionieren ermöglichen, sind auch die nationalen Regierungen und die Zivilgesellschaft sowie die von diesem Ausschuss vertretenen Körperschaften, die Regionen und Kommunen ... Europa muss von den Bürgern und für die Bürger geschaffen werden.”

Ich möchte Ihnen im Folgenden

das Netzwerk der Weltgesundheitsorganisation „Regionen für Gesundheit” vorstellen, anschließend einen kurzen Abstecher auch zum Ausschuss der Regionen und zu weiteren Organisationen der Regionen in Europa machen und im letzten Teil auf die Aktivitäten und Initiativen eingehen, die Nordrhein-Westfalen als eine der größten und bedeutendsten Regionen Europas unternimmt, um den europäischen Integrationsprozess mitzugestalten und zu unterstützen und daraus zugleich für die eigene Arbeit zu profitieren.

1 Zwischenzeitlich

Birgit Weihrauch, Leitende Medizinalrätin, Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes NRW

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