Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(12): 638
DOI: 10.1055/s-2002-22668
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Verletzung der Sorgfaltspflicht

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Publikationsdatum:
21. März 2002 (online)

Frage: Hin und wieder dürfte es in den besten Krankenanstalten (jedenfalls in unserem Krankenhaus besteht latent das Problem) vorkommen, dass von Nachtdienst- oder anderen Schwestern Notrufstecker gezogen werden, manchmal aus verständlichen Gründen (der Patient ist verwirrt und läutet »ständig«) oder auch (das fürchte ich) aus Bequemlichkeitsgründen.

1. Gibt es Situationen, in denen dieses Vorgehen rechtlich zu erlauben ist, oder handelt es sich dabei immer um eine Verletzung der Sorgfaltspflicht? 2. Wen trifft das Organisationsverschulden, falls diese Vorgehensweise geduldet wird (die Stationsoberschwester, die Pflegedirektorin, den Stationsoberarzt oder den zuständigen Chefarzt (Primar))? 3. Welche disziplinären Maßnahmen sind von wem zu ergreifen (beim Einzelereignis und bei Wiederholung (dieselbe Schwester, trotz vorheriger Mahnung))?

Antwort: Die Beantwortung der Fragen erfolgt unter Zugrundelegung des Deutschen Rechts. Ob sich unter Anwendung Österreichischen Rechts (die Frage wurde uns aus Österreich zugesandt) eine andere Bewertung ergibt, muss an dieser Stelle offenbleiben.

Zu Frage 1: Jeder Patient in einer stationären Institution, die seinen Bettplatz mit einer Notrufanlage verbunden hat, muss davon ausgehen, dass sein Anschluss in Funktion ist, und dass er bei Bedarf die Pflegekraft rufen kann. Wird der Anschluss diskonnektiert und kommt es dadurch zu einem Patientenschaden, so wird in der Regel das Haus haftungspflichtig.

Wenn ein Patient verwirrt oder in seiner Urteilsfähigkeit beeinträchtigt ist, obliegt es dem Krankenhaus und dem Krankenhauspersonal, seine Überwachung sicherzustellen. Ist diesem Erfordernis nicht Genüge getan und kommt es dadurch bei diesem Patienten zu einem Gesundheitsschaden, so ist das Krankenhaus Haftungsansprüchen ausgesetzt (ggfs. auch trotz funktionierendem Notrufanschluss).

Wenn ein Patient lediglich lästig ist für die Pflegekräfte, weil er öfter klingelt, und nimmt man ihm die Klingel, so ist dies - falls er dadurch Schaden nimmt - in einem haftungsrechtlichen Verfahren schwer oder nicht zu vertreten.

Aber um Frage 1 zutreffend und verbindlich zu beantworten, kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an.

Zu Frage 2: Wenn die zuständige Pflegedienstleitung ihre Kontrollpflichten ad-äquat wahrnimmt, trifft sie in der Regel kein Organisationsverschulden. Kommt sie zu der Erkenntnis, dass eine von ihr nicht zu vertretende Unterbesetzung die vollständige Erfüllung der Pflichten der eingesetzten Kräfte verhindert, so muss sie diese Erkenntnis vor Krankenhausleitung und Träger bringen und Abhilfe fordern. Krankenhausleitung und Träger müssen im Haftungsfall dann belegen können, dass sie den Erfordernissen ihrer Organisations-Verantwortung genügt haben. Aber auch hier haben sich rechtliche Entscheidungen an den Umständen des einzelnen Schadensfalles zu orientieren.

Zu Frage 3: Das ist zwischen den Disziplinar-Vorgesetzten des Pflegebereichs und den dort tätigen Pflegekräften unter Würdigung des Pflichtenkatalogs einerseits und der Zumutbarkeit für die eingesetzten Kräfte andererseits zu klären, eventuell unter Einschaltung von Krankenhausleitung und Träger.

Prof. Dr. med. Klaus-Dieter Scheppokat
RA Johann Neu

Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern

Berliner Allee 20

30175 Hannover

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