Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(8): 369
DOI: 10.1055/s-2002-20213
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Atherosklerose - Immunantwort an die falsche Adresse?

Atherosclerosis: immunological reply to the wrong address?
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Publication Date:
21 February 2002 (online)

»Atherosclerosis - an inflammatory disease«. Der Titel der Übersichtsarbeit von R. Ross, [1], der 25 Jahre lang die Forschung zur Pathogenese der Atherosklerose wesentlich prägte, spiegelt unser derzeitiges Verständnis zur Pathophysiologie dieser Erkrankung wieder. Atherosklerose ist nicht nur die Ablagerung von Lipiden und Lipoproteinen in der Gefäßwand [2], sondern umfasst auch unspezifische inflammatorische Vorgänge. Und zwar von den ganz frühen Stadien des »fatty streak« bis hin zur wichtigsten klinischen Komplikation, dem akuten Koronarsyndrom.

Inflammatorische Moleküle, wie z.B. sogenannte Adhäsionsmoleküle, vermitteln die Bindung von Blutmonozyten an das Endothel der Gefäßwand. Diese Zellen gelangen dann durch die Endothelschicht in den subendothelialen Raum, wo sie sich unter Lipidbeladung zu Makrophagen/Schaumzellen umwandeln. Diese Zellen gehen zugrunde und bilden den nekrotischen Lipidkern der Plaque, der durch die sog. fibröse Kappe aus vaskulären glatten Muskelzellen und extrazellulärer Matrix vom zirkulierenden Blut getrennt wird. Die inflammatorischen Zellen in der Plaque sezernieren proinflammatorische Mediatoren wie Zytokine (z.B. IFN-γ), die die Synthese von Kollagen in der Plaquekappe hemmen und gleichzeitig den Abbau der Matrixsubstanz beschleunigen. Letztlich findet sich parallel zu diesen lokalen inflammatorischen Vorgängen eine messbare systemische inflammatorische Reaktion (Antwort): Getriggert wiederum durch Zytokine kommt es zu einer Akute-Phase-Reaktion mit der Folge einer Umschaltung der hepatischen Biosynthese, bei der nun vermehrt C-reaktives Protein (CRP), Serum-Amyloid A, Fibrinogen und viele weitere Akute-Phase-Proteine gebildet werden. Plasmaspiegel dieser Proteine korrelieren eng mit dem Risiko künftiger kardiovaskulärer Ereignisse, und klinische Komplikationen können damit besser vorhergesagt werden. Neuere Studien zeigen, dass sich diese Proteine in frühen, aber auch in fortgeschrittenen Plaques finden. Möglicherweise kommt ihnen somit selbst eine kausale Rolle in der Pathophysiologie der Erkrankung zu. Inflammatorische Vorgänge sind demnach in allen Stadien der Atherosklerose wesentlich beteiligt.

Bis hierher besteht weitgehend Einigkeit. Was aber induziert diesen inflammatorischen Prozess? An dieser Stelle scheiden sich die wissenschaftlichen Geister. Obwohl die wesentlichen kardiovaskulären Risikofaktoren (Hypercholesterinämie, Rauchen, Hypertonie, Diabetes mellitus, körperliche Inaktivität) ein proinflammatorisches Potenzial aufweisen, lassen sich die beobachtete lokale und systemische Entzündungsreaktion nicht auf diese Faktoren reduzieren, da sonst Inflammationsmarker keinen eigenständigen, unabhängigen Beitrag zur Erklärung atherosklerotischer Komplikationen leisten könnten. Auch ist keineswegs geklärt, weshalb z.B gewebsständiges LDL-Cholesterin proinflammatorisch wirkt. Mit der sogenannten Oxidationstheorie der Atherogenese wurde hier eine Erklärung versucht. Der Nachweis des klinischen Nutzens einer Therapie z.B. mit Vitamin E allerdings fehlt bislang.

Bhakdi versucht in diesem Heft (Seite 390), die Inkonsistenzen des bisherigen Konzeptes im Kuhnschen Sinne unter einem neuen Paradigma, der Immunpathogenese der Atherosklerose, zu erklären. Bei diesem Konzept kommt dem »enzymatisch modifizierten« LDL (E-LDL), das CRP bindet und dadurch den klassischen Komplementweg aktiviert, eine zentrale Rolle zu. In immunhistochemischen Untersuchungen konnte die Kolokalisation von CRP und Komplement nachgewiesen werden, und die Präsenz von E-LDL, wodurch eine lokale Aktivierung in der Gefäßwand plausibel wird. Komplement wirkt proinflammatorisch, und Komplement-defiziente Kaninchen wiesen eine deutlich geringer ausgeprägte Atherosklerose als Kontrolltiere. Im experimentellen Infarktmodell an der Ratte hatte die peritoneale Injektion von humanem CRP eine Ausdehnung des Myokard-Nekroseareals zur Folge, was durch eine systemische Komplementdepletion verhindert werden konnte [3]. Und letztlich zeigen erste klinische Erfahrungen, dass die Gabe von C1-Inhibitoren bei Patienten im akuten Infarktstadium zu einer Reduktion der Infarktgröße führt, gemessen an der CK-MB, im Vergleich zu Kontrollpatienten [4]. Diese Befunde sprechen auf verschiedenen Ebenen der wissenschaftlichen Evidenz dafür, dass die Aktivierung des Immunsystems in der Pathogenese der Atherosklerose und ihrer Komplikationen von Bedeutung ist und lassen unter anderem die Wertigkeit des LDL in einem neuen Licht erscheinen.

Allerdings bleiben Fragen offen, die sich auf der Basis des Mainzer Konzeptes nicht zwanglos beantworten lassen: Z.B. konnte gezeigt werden, dass CRP für die Aufnahme von nativem LDL, jedoch nicht von E-LDL durch Makrophagen von entscheidender Bedeutung ist [5]. Wenn erhöhtes LDL eine zwingende Voraussetzung für die Entwicklung einer Atherosklerose ist, dann dürfte es bei normalen LDL-Plasmakonzentrationen (< 100 mg/dl) überhaupt keine Atherosklerose geben. Wenn systemisch messbare inflammatorische Marker lediglich Ausdruck des in den Läsionen ablaufenden inflammatorischen Prozesses sind, wie ist dann zu erklären, dass sie z.T. bereits mehr als 10 Jahre vor Auftreten eines Myokardinfarktes bei klinisch gesunden Personen mittleren Alters erhöht sind? Dies trifft nicht nur auf das CRP zu, sondern z.B. auch auf Adhäsionsmoleküle, die in der Initiierung der Atherogenese im Rahmen der Entstehung der endothelialen Dysfunktion eine Rolle spielen.

Die mögliche Rolle immunologischer Mechanismen in der Atherogenese wird seit geraumer Zeit diskutiert. Hierzu existieren eine Fülle komplexer, teilweise unverstandener Befunde, ohne dass sich bisher ein klares Bild mit eindeutigen Konsequenzen ergeben hätte [6]. Die Einfachheit der »Mainzer Hypothese« ist einerseits bestechend, andererseits aber auch irritierend, da sie der Komplexität der wissenschaftlichen Evidenz wenig Rechnung zu tragen scheint. Ein simpler Erklärungsversuch spricht allerdings nicht per se gegen seine Validität. Hier gibt es in der Wissenschaft genügend positive Beispiele. So wird die »Mainzer Hypothese« mit Sicherheit die Diskussion um die Entstehung der Atherosklerose beleben. Und das können wir alle - angesichts der trotz aller Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte immer noch erschreckend hohen Morbidität und Mortalität dieses Krankheitsbildes - nur begrüßen.

Literatur

  • 1 Ross R. Atherosclerosis - an inflammatory disease.  N Engl J Med. 1999;  340 115-126
  • 2 Koenig W. Atherosclerosis involves more than just lipids: Focus on inflammation.  Eur Heart J 1 (Supplement T). 1999;  T19-T26
  • 3 Griselli M. et al. . C-reactive protein and complement are important mediators of tissue damage in acute myocardial infarction.  J Exp Med. 1999;  190 1733-173
  • 4 deZwaan C. Continuos 48-hours C1-inhibitor treatment, following reperfusion therapy, in patients with acute myocardial infarction.  Eur Heart J. (im Druck) 
  • 5 Zwaka T P, Hombach V, Torzewski J. C-reactive protein mediates uptake of native low density lipoprotein by human macrophages.   Circulation. 2001;  103 1194-1197
  • 6 Hansson G K. Immune mechanisms in atherosclerosis.  Arterioscler Thromb Vasc Biol. 2001;  21 1876-1890

Prof. Dr. Wolfgang Koenig

Abteilung Innere Medizin II - Kardiologie, Medizinische Universitätsklinik

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