Rehabilitation (Stuttg) 2002; 41(1): 64-65
DOI: 10.1055/s-2002-19953
Bericht
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Schnittstellenproblematik - Reha-Ökonomie

6. Arbeitstagung des Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbundes Bayern im Förderschwerpunkt „Rehabilitationswissenschaften” des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Deutschen Rentenversicherung vom 19. - 20. 7. 2001 in MünchenInterface Problems - Rehab Economics6th Working Conference of the Bavarian Rehabilitation Research Network, July 19 to 20, 2001 in MunichB.  Birkner
  • 1Klinik und Poliklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation (Leitung: Prof. Dr. G. Stucki)
    am Klinikum Großhadern der Universität München
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Publication Date:
06 February 2002 (online)

Einleitung

Im Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbund Bayern (RFB) werden Forschungsvorhaben aus drei Projektbereichen gefördert; ein Projektbereich ist dem Thema „Schnittstellenprobleme der rehabilitativen Versorgung” gewidmet. Ihm ist, unter der Leitung von Prof. Dr. Gerold Stucki, Ludwig-Maximilians-Universität München, zugleich die gesundheitsökonomische Beratung des bayerischen Verbundes zugeordnet. Deshalb stand die 6. Arbeitstagung - zugleich die erste Tagung des RFB in München - am 19. und 20. Juli 2001 unter dem doppelten Thema der Schnittstellenprobleme (Referate am 19.7.) und der Reha-Ökonomie (Referate am 20.7.). Die Tagung fand in den Räumen der Landesversicherungsanstalt (LVA) Oberbayern statt; deren Direktor E. Mahn sprach das Grußwort. Die Veranstaltung wurde von Prof. Stucki und Dr. Barbara Birkner moderiert. Etwa 50 Reha-Experten aus dem gesamten Bundesgebiet nahmen teil, unter ihnen Therapeuten aus der klinischen Praxis, Vertreter der Versicherungsträger und der Verwaltungsleitung von Reha-Einrichtungen sowie Reha-Wissenschaftler.

Prof. Dr. Günther Neubauer, Universität der Bundeswehr, München, Projektleiter im Forschungsverbund Freiburg/Bad Säckingen, stellte in seinem Leitreferat die thematische Verknüpfung zwischen „Schnittstellenproblemen” und „Reha-Ökonomie” her. Schnittstellen sind eine Folge arbeitsteiliger Prozesse, die folglich mit fortschreitender Spezialisierung zunehmen. Reibungsverluste durch Schnittstellen entstehen aufgrund mangelnder Koordination bei der Leistungserstellung; sie ziehen Konsequenzen für Patienten, Versicherte, Leistungserbringer und die Volkswirtschaft nach sich. Als Ursachen identifizierte der Referent Fehlanreize der Leistungssteuerung, divergierende einzel- und gesamtwirtschaftliche Rationalität und administrative bzw. institutionelle Hemmnisse. Die Problematik könnte jedoch gelöst werden, wenn es gelänge, Win-Win-Situationen zu schaffen: Eine Möglichkeit dazu bietet die Komplexvergütung, für die der Referent beispielhaft eine Verknüpfung von DRGs und Rehabilitations-Behandlungsgruppen vorstellte. Als Ausblick auf die Zukunft solle aber vor allem eine ergebnisorientierte Vergütung präferiert werden.

Im zweiten Themenblock wurden die Projekte des Bayerischen Forschungsverbundes, die sich mit Schnittstellenproblemen befassen, vorgestellt. Dr. Egon Kayser, Psychosomatische Klinik im Rhönklinikum, sowie Dr. Dr. Andreas Hillert und Dipl.-Psych. Dr. U. Cuntz, Medizinisch-Psychosomatische Klinik Roseneck, Prien, bearbeiten ein Projekt zur beruflichen Belastungserprobung als integriertem Bestandteil der psychosomatischen Rehabilitation. Berufliche Belastungserprobung soll den Übergang von der medizinischen Rehabilitation ins Arbeitsleben bzw. in die berufliche Rehabilitation erleichtern, sie setzt also an zwei Schnittstellen an. Wie Dr. Hillert ausführte, zeigen die Ergebnisse der Studie jedoch eine eher geringe Akzeptanz der beruflichen Belastungserprobung bei den Patienten, die sich u. a. in einem hohen Anteil an Abbrechern manifestiert. Er mahnt deshalb die Installation und Evaluation breiter angelegter beruflicher Therapieangebote an, z. B. berufsbezogene Gruppentherapien.

Der Beitrag von Dr. D. Teßmann befasste sich mit der Schnittstelle zwischen ambulanter Versorgung und Rehabilitation für Patienten mit Diabetes Typ 2. In der Region Passau wird ein Netzwerk zwischen niedergelassenen Ärzten und einem Reha-Zentrum etabliert. Die beteiligten Vertragsärzte werden in Diabetes-Screening und Disease-Management geschult. Ziel ist es, die Patienten zu einem möglichst frühen Zeitpunkt der Diabetiker-Schulung im Reha-Zentrum zuzuführen, um drohende Invalidität zu verhindern.

Dipl.-Psych. S. Frank und Dr. Heiner Vogel, Universität Würzburg, vergleichen in ihrer Studie unterschiedliche Systeme der sozialmedizinischen Begutachtung bei der Steuerung des Reha-Zugangs. Untersuchungsgegenstand sind also mögliche Probleme beim Übergang von der ambulanten oder stationären Versorgung in die Rehabilitation. Gegenübergestellt werden sozialmedizinische Begutachtungsverfahren, sowohl intern beim einzelnen Rentenversicherungsträger als auch durch externe Gutachter. Erste Ergebnisse weisen auf unterschiedliche Gewichtungen einzelner Kriterien in den verschiedenen Begutachtungsverfahren hin. Ziel des Projektes ist es, den Begutachtungsprozess transparenter zu gestalten und Wege zur Entwicklung von Leitlinien bzw. Standards aufzuzeigen.

Schnittstellenprobleme aus der Sicht von Selbstverwaltungskörperschaften wurden von H. Laubsch, AOK Bayern, und D. Schriml, Kassenärztliche Vereinigung Bayern, thematisiert. Schriml sieht in der stärkeren Einbindung von Vertragsärzten in eine wohnortnahe ambulante Rehabilitation eine Möglichkeit, Reibungsverluste zu vermindern. Allerdings werden ambulante Reha-Angebote derzeit noch von der bestehenden - dominant stationären - Versorgungsstruktur behindert. Der Referent erhofft sich vom SGB IX ein trägerübergreifendes Reha-Management, durch das auch ambulante Versorgungsformen stärker berücksichtigt werden könnten. Die Dominanz stationärer Rehabilitation wurde auch deutlich im Beitrag von Laubsch. Nur 3 % der Reha-Ausgaben der AOK Bayern entfallen auf ambulante Versorgung. Ein Schwerpunkt der Ausführungen war der Übergang von der stationären Akutversorgung in die Rehabilitation. Der Referent stellte ein internetgestütztes Genehmigungs- und Buchungssystem für die Anschlussheilbehandlung vor, dessen sich die AOK Bayern bedient, um einen zügigen Übergang in die Rehabilitation zu gewährleisten.

Am zweiten Tag wurde aus der gesundheitsökonomischen Arbeit in 4 Forschungsverbünden berichtet. Dr. Robert Seitz vom Forschungsverbund Ulm stellte für die Indikation der chronischen Rückenschmerzen ein sektorübergreifendes Rehabilitationsmanagement durch Managed Care vor. Getestet wurde die Eignung des European Quality of Life Questionnaire (EuroQol) als Ansatz einer ergebnisorientierten Vergütung. Das Instrument erweist sich als geeignet für den Routinegebrauch, eine Prognose von Kosten und Effektivität ist damit möglich. Eine Implementierung des Konzepts erfordert aber eine stärkere institutionelle Integration der Versorgung.

Mit dem gesundheitsökonomischen Querschnittprojekt des rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbundes Niedersachsen/Bremen, vorgestellt von Dr. J. Rieger, wird eine Vereinheitlichung von ökonomischen Konzepten, Definitionen und Erhebungsinstrumenten für Kosten und Nutzen für alle Forschungsprojekte des Verbundes angestrebt. Alle Einzelprojekte haben die Möglichkeit, auf die im Querprojekt zentralisierte reha-ökonomische Kompetenz zurückzugreifen. Weitere Zielsetzung der Projektarbeit ist es, gesundheitsökonomische Instrumente anhand von Kassendaten weiterzuentwickeln und zu validieren.

Dipl.-Kffr. J. Ranneberg vom Forschungsverbund Freiburg/Bad Säckingen referierte zur Entwicklung der Grundlagen für eine fallbezogene Vergütung von Rehabilitationsleistungen. Für ausgewählte Indikationen aus der Orthopädie und der Kardiologie werden Rehabilitations-Behandlungsgruppen gebildet, die sowohl medizinisch homogen (gleicher Behandlungsbedarf) als auch ökonomisch homogen (gleiche Kosten) sind. Die Homogenität innerhalb der Gruppen soll mit einer größtmöglichen Heterogenität zwischen den Gruppen korrespondieren. Rehabilitations-Behandlungsgruppen tragen zu größerer Transparenz der Klinikleistungen und einer besseren Verzahnung von Akut- und Rehabilitationsversorgung bei und können für eine leistungsbasierte Vergütung eingesetzt werden.

Dr. Birkner vom Forschungsverbund Bayern berichtete über die Einsatzmöglichkeiten des „Sozio-oekonomischen Panels” (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zur Ermittlung der indirekten Kosten aus gesamtgesellschaftlicher Sicht und aus Sicht der Rentenversicherung. Insbesondere für letzteres eignet sich die Einkommenserhebung des SOEP, da sich daraus für die rentenversicherten Befragten das durchschnittliche Regelentgelt ermitteln lässt, das der Berechnung des Übergangsgeldes zugrunde liegt. Ferner präsentierte sie die ersten Ergebnisse der Validitätsprüfung von Patientenerhebungen anhand von Kassendaten.

Die Tagung wurde von den Reha-Experten positiv beurteilt; dies zeigte auch die rege Beteiligung an den Diskussionen zu den einzelnen Themen. Es ist geplant, die Referate in einem Tagungsband zu veröffentlichen.

Dr. Barbara Birkner

Klinik und Poliklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation
Klinikum Großhadern

Marchioninistraße 15

81377 München

Email: birknerhb@aol.com

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