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DOI: 10.1055/s-2001-20006
Otto Heinrich Just - Dem Gründungsherausgeber
von AINS zum 80. Geburtstag!
Otto Heinrich Just - Founder Editor of the AINS on the Occasion of his 80th Birthday
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
13. Februar 2002 (online)
Das Interview mit Prof. Dr. med. O. H. Just wurde am 6. 12. 01 anlässlich seines bevorstehenden 80. Geburtstages von C. Krier, Stuttgart und H. Polarz, Heidelberg durchgeführt. Wir bedanken uns beim Jubilar und Gründungsherausgeber von AINS für seine Bereitschaft, uns über mehrere Stunden zur Verfügung gestanden zu haben und wünschen O. H. Just im Namen aller Herausgeber und Mitherausgeber von AINS und im Namen des Verlags alles Gute zu seinem 80. Geburtstag.
Wie fing alles an? Sie haben in Berlin und Würzburg Medizin studiert, 1949 in Würzburg promoviert; hatten Sie damals schon Ahnung, was Anästhesie ist oder gar, dass Sie sich diesem Fach verschreiben würden?
Ich hatte als Famulus damals den Eindruck, dass der Anästhesie nicht die Bedeutung zukam, die ihr gebührt, denn sie wurde von Hilfskräften ausgeführt, ohne Überwachung des Patienten, d. h. ohne Blutdruckmessung, Kontrolle von Puls und Atmung. Ich erinnere mich, dass ich einmal bei einer Operation als Famulus eingeteilt war und sehr bedrückt nach der Operation aus dem Saal ging.
Wann hatten Sie denn zum ersten Mal Kontakt mit der modernen Anästhesie ?
Kontakt habe ich bekommen durch die amerikanische Militärärztin Jean Henley, die nach dem 2. Weltkrieg in Heidelberg im amerikanischen Hospital arbeitete und ihre Freizeit in unserer Klinik im OP verbrachte. Mich hat schon fasziniert, mit welcher Routine sie diese neuen Methoden angewandt hat und jeder hatte den Eindruck, dass die Patienten viel sicherer durch die Operation geleitet wurden; vor allem wurden auch physiologische Erkenntnisse umgesetzt. Die Intubation war schon in den Jahren 1908 bis 1912 von Franz Kuhn propagiert worden, sie konnte sich aber in der Routine nicht durchsetzen. Die Gründe dafür sind bekannt. Von chirurgischer Seite hatte man eine Unterdruckkammer entwickelt, die aber für routinemäßige Eingriffe nicht die nötige Pratikabilität zeigte. Als die amerikanische Militärärztin dann Heidelberg verließ - ich hatte sie genau beobachtet und stand wochenlang hinter ihr - habe ich dann zu den Stationsärzten und Oberärzten gesagt, dass ich das auch kann.
Gab es neben der Intubation noch andere Methoden die sie mitgebracht hatte?
Nein, im wesentlichen die Intubation und die Kombinationsnarkose mit Narkosegerät. Andere Methoden waren damals nicht so gefragt. Es hat ja keiner gerne in Lokalanästhesie operiert, weil erstens die Mittel damals nicht sehr gut waren und zweitens der Patient ja den Vorgängen während der Operation nicht ausgesetzt sein sollte. Mein Vorteil war, dass ich mich dann ganz auf die Allgemeinanästhesie eingestellt habe. Ich habe dann auch kleine Operationen nicht mehr gemacht, ich hatte dafür kein Interesse. Ich wollte den Aufbau der Anästhesie durchsetzen. Ich habe das dadurch erreicht, dass ich mir eine Unterkunft in der Klinik organisiert habe, ein Raum, in dem benutzte Tragen abgestellt waren; auf Freizeit oder Wochenenden nahm ich keine Rücksicht. Ich bin fünf bis sechs Monate nicht aus dem Haus gegangen, so kam es in der Chirurgie zu einem Reflex bei Einlieferung eines schweren Falles, der sofort zur Operation anstand: „Just soll kommen”.
Sie haben als Chirurg angefangen, wie die meisten Pioniere der deutschen Anästhesie. Hat Sie das als Anästhesist geprägt? War es denn damals leicht zu sagen „ich gebe die Chirurgie auf und ich widme mich der Anästhesie” oder gab es da auch Widerstände?
Die Chirurgie war streng nach dem hierarchischen Prinzip aufgebaut. Ein junger chirurgischer Assistent hatte die Haken zu halten . . . und den Mund. Bekannt ist auch der Ausspruch von K. H. Bauer „die Demokratie wird im Operationssaal keine Erfolge feiern”. Schwierig war für mich, dass die Stationsärzte befugt waren zu entscheiden, welche Narkoseart ich anzuwenden hatte, d. h. ob der Patient intubiert wurde oder nicht. Oft kam ein chirurgischer Stationsarzt zu mir und sagte . . .„das ist ein sehr netter Patient, ich möchte, dass Du ihn nicht intubierst”. Da habe ich geantwortet: . . .„gerade weil es ein netter Patient ist, sollte man ihn intubieren”. Auf jeden Fall war nach 1¿ Jahren meine Position gefestigt. Ich hatte inzwischen auf der Ärzte-Etage ein eigenes Zimmer bekommen und fühlte mich in meiner speziellen Tätigkeit sehr gut.
Haben Sie je bereut, dass Sie Chirurgie gelernt haben? Viele Jahre noch haben die Anästhesisten ein Pflichtjahr Chirurgie absolviert. Fanden Sie das gut, dass man noch ein Jahr Chirurgie machte, vor der Anästhesie?
Ich war ja aus der Chirurgie gekommen und das hatte den Vorteil, dass meine Meinung dort respektiert wurde, weil ich die Chirurgie zunächst angefangen hatte zu betreiben. Auch ich war der Meinung und auch später beim Facharzt und der Weiterentwicklung der Anästhesie, dass unbedingt Chirurgie in die Ausbildung des Anästhesisten miteingebunden werden sollte. Leider ist das dann zunächst eine gewisse Zeit nur vorgeschrieben gewesen und zum Schluss völlig weggefallen.
Nun hatten Sie sich ja - wie Sie sagten - in Heidelberg eine gute Position erarbeitet. Warum sind Sie dann damals nach Berlin gegangen?
Ja, diese Frage ist sehr berechtigt. Meine Position in Heidelberg war gut, ich stamme aus Nordbaden, habe in Würzburg Staatsexamen gemacht, promoviert und fühlte mich in Heidelberg vom gesellschaftlichen Umfeld her sehr wohl, trotzdem reizte mich das Angebot nach Berlin zu gehen und an der Freien Universität eine Medizinische Fakultät mit aufzubauen. Die Freie Universität war ja eine Gründung von freiheitlichen Studenten, da die alte Universität unter den Linden doch stark von den Russen beeinflusst wurde.
Zunächst kamen die theoretischen Fächer und nach zwei, drei Jahren wollte man auch ein Universitätsklinikum schaffen und zwar hat man ein regionales Krankenhaus ausersehen: Das Charlottenburger Krankenhaus, das wenig zerbombt war und um die Jahrhundertwende im Pavillon-Stil erbaut worden war. Es reizte mich sowohl baulich wie organisatorisch, hier anästhesiologisch einzusteigen. Es war nicht ohne Risiko für mich als Süddeutscher nach Berlin zu gehen, denn es war gerade die Blockade zu Ende gegangen, d. h. der Land- und Wasserweg war durch die Russen blockiert, Berlin nur durch die Luft zu versorgen. Diese Blockade war zu Ende gegangen, viele Berliner gingen nach Westdeutschland und ich bin nach Westberlin. Ich habe diesen Schritt nie bereut. Als Baubeauftragter im Charlottenburger Krankenhaus hatte ich die Aufgabe erstens die Stationen umzubauen, zweitens einen Hörsaal mit dem Architektenbüro zu entwickeln und drittens die Aufgabe die Anästhesie in den einzelnen Fächern einzuführen.
Das Gebiet der Anästhesie war in Westberlin, bzw. in ganz Berlin unter russischer Kontrolle; die Mauer war noch nicht errichtet und ich hatte außerdem die Aufgabe Anästhesiekolloquien für die interessierten Kollegen anderer Krankenhäuser, zu denen auch Kollegen aus Ostberlin kamen, durchzuführen. Inzwischen war meine Anästhesieabteilung, die nur aus meiner Person und drei Assistenten bestand, doch sehr aktionsfähig und es kamen sehr viele Besucher aus Krankenhäusern aus dem Osten und ich erinnere mich an einen Kongress 1955 in Leipzig, bei dem die Russen die Lokalanästhesie bei Lungenoperationen propagierten. Ich habe mich damals zur Diskussion gemeldet, habe hart widersprochen, indem ich den russischen Kollegen sagte, dass sie aus der Not hier eine Tugend machen wollen, weil sie die apparative Ausrüstung nicht haben, soll plötzlich die Lokalanästhesie die bessere Methode sein. Ein Umstand, den später Prof. Hans Kilian in seinem Buch „Hinter uns steht nur der Herrgott” mich namentlich erwähnen ließ.
Warum und wann kamen Sie wieder zurück nach Heidelberg?
Inzwischen war ich 10 Jahre in Berlin, als 1961 die Mauer kam. Da fühlte ich mich damals sehr eingeengt und zum Glück hatte unser Chef-Chirurg Prof. Linder einen Ruf nach Heidelberg bekommen und mir zugesichert, dass ich, wenn ich mit ihm nach Heidelberg gehe, einen Lehrstuhl in Heidelberg erhalte. Der führende Pharmakologe der Freien Universität hatte dies ebenfalls erfahren, hat mich im Westendkrankenhaus besucht und gesagt, wenn Sie bleiben bekommen Sie das auch in Berlin, ein Lehrstuhl steht für Sie bereit. Dennoch wollte ich mit meiner Familie, ich hatte inzwischen zwei Töchter, wieder in meine Heimat zurück, zumal Heidelberg, damals auch führende Universität in der Medizin, mir diesen Lehrstuhl angeboten hatte. Zum Glück musste ich nicht allein in Heidelberg einziehen, sondern ich hatte drei Assistenten, die mit mir gingen, es waren dies Prof. Lutz, Prof. Wawersik und Prof. Stoeckel, die dann mit mir in Heidelberg eine Anästhesieabteilung aufbauten, was gar nicht so einfach war, weil die Schwestern-Narkose noch zum Teil zugelassen war. Ich hatte aus der früheren Zeit noch in Erinnerung, dass die Schwestern Narkosen mit den Mitteln Chloroform und Äther machten, und zu meiner Überraschung zeigte mir die Schwester ein kleines Fläschchen: „Das ist Billroth-Mischung” hat sie gesagt, „eine Kombination von Äther und Chloroform” und wenn ich nicht ganz zurecht käme mit einem Patienten, dann bekäme er diese Spezialmischung. Im OP stand noch ein Stahlzylinder, in dem Kohlensäure war; wenn der Patient nicht mehr atmete, dann hat er noch eine „Dusche” Kohlensäure bekommen. Man wusste zwar, dass CO2 die Atmung forciert, aber die Atemdepressionen in der Narkose hatten schon dafür gesorgt, dass CO2 genügend vorhanden war, es fehlten aber Sauerstoff und eine künstliche Beatmung.
Als Sie nach Heidelberg kamen, war die Deutsche Gesellschaft für Anästhesie schon gegründet. Welche Bedeutung hatte diese Gesellschaft? War sie wichtig für unser Fach?
Meine Berliner Zeit war außerordentlich produktiv gewesen. Wir haben 1953 mit einer kleinen Gruppe im Deutschen Museum während eines Chirurgenkongresses die Deutsche Gesellschaft für Anästhesie gegründet. Ich wurde zweiter Schriftführer und in der Zeit von 1958 bis 1961 war ich Präsident dieser Gesellschaft.
Diese Gesellschaft hatte die große Bedeutung, dass man sich gegen Angriffe von außen zur Wehr setzten konnte und auch dann von den Ärztekammern Schritt für Schritt angenommen wurde. Wir konnten erst einen Facharzt schaffen, wenn eine Fachgesellschaft existierte. Die Fachgesellschaft wurde 1953 aus der Taufe gehoben und der Facharzt wurde 1956 dann von den Ärztekammern anerkannt. Die Ärztekammer in Berlin ließ noch länger auf sich warten, so dass ich meinen Facharzt über die Ärztekammer Hamburg beantragen musste, denn diese Ärztekammer hatte die Patenschaft für Berlin übernommen.
Wie ging es in Heidelberg weiter; es gab den Facharzt, die Gesellschaft für Anästhesie, Sie waren Ordinarius, das war doch alles bestens . . . .?
Ordinarius bin ich erst später geworden. Ich wurde zuerst außerplanmäßiger Professor und dann Extraordinarius. Das war aber dann schon die Übernahme des Lehrstuhls. Die Widerstände gegen die Anästhesie waren in Heidelberg besonders groß gewesen.
Als ich nach Heidelberg kam, gab es kein einziges Beatmungsgerät und die Narkosegeräte waren immer noch alte Feldgeräte der amerikanischen Armee, also mindestens 15 Jahre alt. Zum Glück hatte ich eine gute Unterstützung durch den Ordinarius für Chirurgie, Prof. Linder, der mir großzügig von seinem Etat Gelder zur Verfügung stellte, so dass ich für sämtliche Operationssäle neue Narkosegeräte - „Romulus” hieß dieses Modell der Firma Dräger - einkaufen konnte. Auch die Überwachung wurde dann forciert, weil wir ja in Heidelberg die Herzchirurgie aufbauen wollten, dabei hatte ich gute Verbindungen zur Firma Hellige in Freiburg. Ich muss noch mal auf meine Berliner Zeit zurückkommen. Es waren 10 Jahre hervorragender, produktiver Tätigkeit. Ich bin 1958, während meines Urlaubs von Linder abberufen worden, mit der Aufgabe nach Amerika zu fahren und die Voraussetzungen für Herzoperationen festzustellen. Zunächst steuerte ich natürlich die Mayo-Klinik an, ging dann nach Minneapolis, von Minneapolis nach Denver, weil dort die Unterkühlungen sehr propagiert wurden, von Denver nach Los Angeles. Als ich zurück kam legte ich einen schriftlichen Bericht vor, der die chirurgische Seite sehr beeindruckt hat.
In diese Zeit fielen auch Höhepunkte Ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit.
Ich habe mich sehr früh mit künstlicher Unterkühlung befasst. Aus der Überlegung heraus, wenn man durch schlechte Kreislaufverhältnisse den Sauerstoff nicht an den Ort des Bedarfs, an die Zelle bringen kann, dann muss man die Zelle zwingen, dass sie weniger Sauerstoff verlangt, d. h. also, dass man ihre Temperatur reduziert. Wir wussten, dass 1 Grad Temperaturreduzierung 7 % Sauerstoff einspart, d. h. also, wenn wir 7 Grad Temperatur reduzierten, konnte der Sauerstoffbedarf um 50 % reduziert werden. Wir haben zunächst versucht bei neurochirurgischen Eingriffen, bei schweren Schädelverletzungen diese Methode anzuwenden. Ich habe ein eigenes Anwendungsgerät dazu entwickelt und das habe ich an führende Krankenhäuser Europas verkaufen können. Ich muss sagen, dass eine gleiche Arbeitsgruppe in Paris unter Huguenard existierte, die ebenfalls diese Methode parallel durchführte, die „hibernation artificielle”, den künstlichen Winterschlaf. Meine Tochter hat bei einem Beitrag „die letzten 100 Jahre in Deutschland” zufällig gesehen, dass ein Arzt, Dr. Just in Berlin 1955 die ersten Unterkühlungen durchgeführt hat. Sie hat sich bei der Filmgesellschaft erkundigt, es war ein Abschnitt aus der Wochenschau 1955.
Ein zweites großes Gebiet meiner wissenschaftlichen Tätigkeit war die elektrische Beeinflussung des Herzens. Ich hatte einmal einem Chirurgen gesagt, ich kann nicht verstehen, dass der Skelettmuskel elektrisch zu reizen ist und der Herzmuskel, der ja einen Skelettmuskel darstellt, da nicht anspringen sollte. Man müsste also ein Gerät schaffen, das in einer bestimmten Frequenz einzustellen ist, das elektrische Stromstöße gibt und dadurch das Herz zwingt wieder in Aktion zu treten. Ich habe diese Untersuchungen gemacht und habe dafür das Patent vom Deutschen Patentamt erteilt bekommen: „Elektrische Beeinflussung der Herztätigkeit des menschlichen Körpers”. Ich habe dabei eindeutig nachweisen können, dass also das Herz bei einer definierten Stromstärke den rhythmischen Impulsen mit Kontraktionen folgt. Ich habe also festgestellt, wenn man niedrige Stromstöße nimmt, führt das am Herzen zu Flimmern, wenn man die Stromstärke erhöht, dient das als Schrittmacher, werden die Stromstöße noch weiter erhöht, führt dies zur Defibrillation. Das Deutsche Patentamt hat am 24. Feburar 1956 - das ist das Datum meiner Habilitation - die Ergebnisse als Patent anerkannt.
Sie waren technisch ja immer sehr versiert. Sie haben doch noch etwas erfunden: Die „Braunüle”.
Ich habe die Braunüle erfunden, ja. Das Stechen der Patienten mit einer scharf geschliffenen Stahlkanüle war für den Patienten eine Tortur. Man hatte erkannt, dass Flüssigkeit und Elektrolyte den Patienten zugeführt werden mussten, vor allem denen, die sich Intensivbehandlungen unterziehen mussten. Das Legen von Stahlkanüle war er ein Schrecken für die Patienten, vor allem für die Kinder. Der Patient war selbst sehr eingeschränkt in der Bewegung, wenn die Stahlkanüle längere Zeit verbleiben musste. Es kam zu Irritationen der Vene und zu Thrombosen. Meine Idee war deshalb, mit der Firma Braun Melsungen eine Plastikkanüle zu entwickeln, indem man über die Stahlkanüle einen Plastikschlauch gezogen hat, die Stahlkanüle eingestochen und dann den Plastikschlauch in der Vene gelassen hat und die Stahlkanüle wieder herauszog. Das war eine kleine Erfindung von großer Bedeutung, denn dieses Prinzip wird heute weltweit von allen Herstellern genutzt.
Eine weitere Entwicklung war der sogenannte „Betten-Shelter”. Ich bin eines Tages mit meinem Auto durch die Waschstraße gefahren. Plötzlich kam mir der Gedanke, wenn dein Auto in zehn Minuten gewaschen werden kann, vielleicht kann man auch etwas tun für die 50 „Bettenschrubber”, die eine chirurgische Klinik pro Tag brauchte, weil dem Patienten ein frisches Bett zur Verfügung gestellt werden musste. Ich habe diesen Betten-Shelter mit der Firma Schülke und Maier in Hamburg entwickelt und auch auf vielen Stationen in vielen Krankenhäusern eingebaut.
Vorhin fiel der Begriff „Intensivmedizin”. Wie kam die Anästhesie zur Intensivmedizin?
Das ist ein sehr interessantes Gebiet und ich muss gleich mit Paukenschlag sagen: Die erste ausschließliche Intensivstation in Deutschland wurde im Westendkrankenhaus - Station 15 - von mir aufgebaut mit Unterstützung meiner Assistentin. Es war dies leider eine Station, die im Bereich der Inneren Medizin lag und ich habe oft den Chirurgen gebeten, mir von seinen Betten welche abzugeben, aber nachdem sich diese Innere Station angeboten hat, wurde sie zur Intensivstation erklärt. Wir haben 10 oder 15 Intensivbetten gehabt und haben angefangen mit Dauerschlaf und künstlicher Beatmung. Ein Großteil in Berlin waren Schlafmittelvergiftungen, Suizidfälle, jeden Tag 1 - 2 und die internistischen Ärzte, die für diese Station zufällig zuständig waren, haben die Methoden, die wir da anwandten, bestaunt und sich überzeugen lassen. An Beatmungsgeräten hatten wir zunächst den „Pulmotor”, die „eiserne Lunge” und den „Engström”. Dann kamen die Beatmungsgeräte von Dräger, aber das war dann schon nach meiner Zeit, denn diese Intensivstation wurde dann von Internisten übernommen.
Gibt es für Sie einen logischen, einen natürlichen Zusammenhang zwischen Anästhesie und Intensivmedizin?
Die operative Intensivmedizin ist ja nichts anderes als die Fortsetzung der Narkoseüberwachungsmethoden und der anästhesiologischen Behandlungsmethoden am wachen Patienten. Es war also ganz klar, dass Flüssigkeitsersatz, Schmerzbekämpfung, Kontrolle von Atmung, Kreislauf, Nierenfunktion, Ernährung, Elektrolytsubstitution, all das, was der Patient vor, während oder nach der Narkose bekam, nach der Operation weitergeführt werden musste. Aus diesem Grundgedanken entwickelte sich dann die gesamte Intensivmedizin. Die ersten Vorträge in Berlin bei den ersten Herzoperationen wurden nicht von den Kardiologen oder Chirurgen gehalten sondern von mir, dem Anästhesisten, mit dem Titel: „Intensivbehandlung des operierten Herzpatienten”.
Das heißt, Sie würden uns sicher empfehlen, an diesem Bereich festzuhalten und ihn nicht aufzugeben. Die Intensivmedizin ist ein wichtiger, integraler Bestandteil der Anästhesie in Ihren Augen.
Das ist absolut richtig. Die Intensivmedizin ist die Fortsetzung der anästhesiologischen Überwachungs- und Behandlungsmethoden am Patienten. Der Anästhesist ist aufgrund seiner Ausbildung und der täglichen Praxis dazu prädestiniert, diese Methoden auch postoperativ anzuwenden. Das Hauptinteresse des Chirurgen oder des operativ Tätigen, ist ja die Durchführung der Operation, und die Zeit auf der Intensivstation ist für ihn lehrreich, aber nicht sehr wirkungsvoll. Es ist für mich unverständlich, dass operative Disziplinen an der Intensivtherapie sehr hängen und dadurch gewaltige Querschüsse eingetreten sind. Meiner Ansicht nach führt dies nicht zum eigentlichen Ziel, nämlich der optimalen Betreuung der Patienten in der Intensivmedizin. Prestigedenken ist hier nicht angebracht, die sachlichen Argumente sollten im Vordergrund stehen.
Ähnliches gilt ja auch für die Notfallmedizin. Auch hier werden Methoden angewandt, die wir als Anästhesisten während der Narkose am Patienten ausüben.
Ja, die Notfallmedizin in Heidelberg war sehr interessant und wurde zunächst von den Chirurgen gemacht, die eine Spezialausbildung in anästhesiologischer Wiederbelebungsmethoden genossen hatten. Ich habe mich zurückgehalten, weil hier ein großes Dienstaufkommen nötig war, denn K. H. Bauer hat den Satz geprägt, „wenn der Patient nicht zum Operationssaal kommen kann, dann muss der Operateur zum Patienten kommen”. Das war der Grund, dass er mit einem Omnibus - als OP-Saal ausgerüstet - zum Patienten fuhr und versuchte an Ort und Stelle dringliche Operationen auszuführen. Man hat aber bald erkannt, dass der Zeitfaktor nicht bezüglich der raschen Ausführung der Operation entscheidend ist, sondern der Zeitfaktor ist in den meisten Fällen entscheidend bei den raschen Wiederbelebungsverfahren und der Stabilisierung der vitalen Funktionen des Verunglückten, so dass es genügte, wenn man mit einer Ambulanz diesen Patienten anfuhr und mit fachkundigem Personal mit der Stabilisierung der vitalen Funktionen beginnen konnte. Das war die Geburtsstunde des Rendez-Vous-Systems, das heute in der modernen Notfallmedizin noch gültig ist.
Ein ganz anderer Aspekt: AINS? Warum haben Sie vor 37 Jahren eine Zeitschrift für unser Fachgebiet gegründet?
Ich bin ja hauptsächlich ein Praktiker gewesen, ich habe immer gesagt, für den Anästhesisten spielt die Musik im OP. Die Praxis der Anästhesie, die Verbesserung der praktischen Methoden, das hat mich immer interessiert. Demzufolge hatte ich auch die Überzeugung, dass eine deutschsprachige Zeitschrift mit einer solchen Orientierung geschaffen werden sollte: „Praktische Anästhesie”. Nun, diese Zeitschrift in Heidelberg zu gründen, war wie ein „Stich ins Wespennest”. Der Springer-Verlag hatte in Heidelberg die besten Verbindungen, die Professoren waren alle vom Springer-Verlag gesellschaftlich und medizinisch vereinnahmt und ich trat nun in Konkurrenz zum Springer-Verlag. Dies hatte zur Folge, dass ich in Heidelberg niemanden als wissenschaftlichen Mitarbeiter gewinnen konnte. „Das ist ein totgeborenes Kind”, wurde mir immer gesagt, so dass ich gezwungen war Ordinarien außerhalb Heidelbergs zu gewinnen, die mich unterstützten. Ich ging dann also den steinigen Weg eine zweite, deutschsprachige Anästhesiezeitschrift in Heidelberg ins Leben zu rufen. Die Zeitschrift wurde gut aufgenommen, denn man hatte erkannt, dass hier Leute verantwortlich waren, die in der Praxis ihre Hauptaufgabe verstanden. Man wollte vielen Anästhesisten, nicht wissenschaftliche Probleme nahebringen, sondern ihre tägliche Arbeit aufgrund solider Beiträge unterstützen.
Warum sind Sie zum Thieme-Verlag nach Stuttgart gegangen?
Ja, weil das der zweite Verlag war, der medizinisch die nötige Reputation hatte, um eine solche schwere Zeit mit durchzustehen.
Die Zeitschrift ist ja jetzt im 38. Jahr . . .
Ja, 25 Jahre habe ich als Gründungsmitglied die Zeitschrift geleitet und nachdem ich dann Emeritus wurde, wurde sie von anderen übernommen und hat sich prächtig entwickelt.
Vielen Dank . . . was hat Ihnen besonders gefallen am Thieme-Verlag?
Ja, das war zunächst eine persönliche Note zwischen dem Herausgeber und den wissenschaftlich Tätigen der Zeitschrift, wobei Herr Dr. Hauff auch auf persönliche Kontakte Wert gelegt hat und uns wiederholt seine herrliche Bildergalerie demonstriert hat, so dass man erkannt hat, dass hier doch ein Mann tätig ist, bei dem sich im Inneren auch sehr viel bewegt.
Ihre Nachfolger, die jetzigen schriftführenden Herausgeber, haben ja im Zusammenhang mit „AINS” ein vierbändiges Lehrbuch aufgelegt, wobei der letzte Band jetzt im Dezember erschienen ist. Wie sehen Sie diese Kombination eines Lehrbuches mit der Zeitschrift, die Sie gegründet haben und die heute „AINS” heißt?
Wir hatten ja auch vor vielen Jahren in Heidelberg versucht ein Lehrbuch herauszugeben. Der Nachteil war damals, dass erhebliche Zeitverzögerungen zwischen dem Schreiben der Beiträge und dem geplanten Erscheinen aufgetreten sind, so dass die Artikel nicht mehr aktuell waren. Bei dieser Bandserie, die jetzt erschienen ist, hat man den Eindruck, dass die einzelnen Buchbände in relativ kurzer Zeit entstanden sind und alles sehr aktuell ist, was dort geschrieben wird. Vor allem hat mich auch beeindruckt, mit welcher Genauigkeit hier ganz spezielle Themen abgehandelt wurden. Die Kombination eines Lehrbuches AINS mit der Zeitschrift AINS ist logisch und sicher geeignet, dem Lehrbuch einen großen Erfolg zu bescheren.
Viele Trends in der Anästhesie sind gekommen und gegangen. Ich glaube, Sie haben nicht alle Trends mitgemacht. Sie haben sich aber bereits sehr früh um Qualität gekümmert. Heute ist Qualitätssicherung in jeder Munde, jeder redet davon. Sie haben sie vor sehr vielen Jahren bereits praktiziert.
Ich bin ein Mann, der fordert, dass Trends aus der Praxis heraus geboren werden und dann auch in der Praxis zur Überzeugung führen: „in diese Richtung müssen wir gehen”. Es gibt leider auch Trends die „am grünen Tisch” entwickelt werden und dann Einzug halten sollten in das System. Diese Trends sind nicht fundiert und auch nicht haltbar. Sie werden sich nicht durchsetzen.
Sie sind in Lauda geboren, haben in Berlin studiert, aber den größten Teil Ihres Lebens hier in Heidelberg gelebt. Was gefällt Ihnen besonders an dieser Stadt ?
Ich habe mich in Berlin sehr wohl gefühlt. Das Aufbauende, was Berlin nach diesen schweren Bombardierungen hatte und die Atmosphäre, das gegenseitige Helfen, das Anerkennen waren herrlich. Trotzdem habe ich mich gefreut, nach Heidelberg zurückzukehren. Die Berliner haben mir prophezeit: „du wirst dort eingehen wie eine Pflanze”. Ich wusste aber, dass Heidelberg andere Reize hat. Eine international bekannte Stadt! Wenn ich durch Amerika gereist bin und ich gefragt wurde „. . . where do you come from?” . . . habe ich gesagt „Heidelberg”. „Oh, old Heidelberg. . . wonderful . . .”, war die Antwort. Also für Heidelberg hatte ich immer eine Schwäche. Es ist eine gesunde Mischung zwischen größerer Stadt und kleinem Dorf. Dieses Milieu ist eben das, was ich liebe. Dies ist auch der Grund warum ich jetzt zehn Jahre meiner Emerituszeit zur Hälfte in Heidelberg und zur Hälfte in Lauda verbringe. Ich habe die Schönheiten meiner Heimat wiedererkannt, habe Menschen dort gefunden, nicht meine Generation, denn die gibt es ja fast nicht mehr durch den Krieg und durch das Alter, aber ich habe Leute gefunden, die fröhlich sind, gastfreundlich und hilfsbereit.
Eine letzte Frage: Sie haben den zweiten Weltkrieg ja noch miterlebt, den Wiederaufbau und eine ganz lange Zeit in Frieden gelebt und nun ist die aktuelle Weltlage wieder sehr unsicher und gefährlich geworden. Der 11. September, die furchtbaren Nachrichten aus dem Nahen Osten! Wie denken Sie nach dieser langen Friedenszeit über die heutige, die aktuelle internationale Situation ?
Es ist eine Tragik. Ich habe geglaubt, wir gehen jetzt einer friedlichen Zukunft entgegen. Die Weltlage ist inzwischen so drückend geworden, weil völlig neue Methoden des Terrorismus Eingang gefunden haben. Dass Menschen sich selbst in die Luft sprengen, dass Menschen ein ganzes Flugzeug voller Passagiere benutzen, um Terror zu schaffen. Man fragt sich, warum ist das nötig ? Ist es religiöser Fanatismus ? Ist es Rassenhass? - von dem wir ja genügend gehabt haben -, oder was steckt eigentlich wirklich dahinter? Auf jeden Fall ist für unsere Kinder die Zukunft nicht mehr so sicher wie sie noch vor zehn oder zwanzig Jahren war. Wer die Schrecken des Krieges miterlebt hat, die Bombenangriffe, der bedauert außerordentlich, dass die Menschheit nicht den friedlichen Weg geht, sondern wieder erneute Not und Elend und weinende Kinder schafft.
Was wünschen Sie sich persönlich in diesem Jahr ?
Mir persönlich? Mir persönlich wünsche ich gar nichts, ich habe alles. Ich wünsche, dass der Weltfrieden erhalten bleiben kann.
Prof. Dr. med. O. H. Just
Prof. Dr. med. C. Krier
Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin
Katharinenhospital
Kriegsbergstr. 60
70174 Stuttgart