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DOI: 10.1055/s-2001-19405
Transplantationsmedizin
Transplantation MedicinePublication History
Publication Date:
02 January 2002 (online)
Seit der ersten Nierentransplantation 1956 und der ersten Herztransplantation 1967 sind durch die Immunsuppressiva sowie durch die Entwicklung elaborierter chirurgischer Eingriffe große Fortschritte in der Transplantationsmedizin erzielt worden. Mit fast 4000 transplantierten soliden Organen 1999 (Deutsche Stiftung Organtransplantation) bietet die Transplantationsmedizin auch in Deutschland inzwischen eine etablierte Maßnahme in der Behandlung des chronischen Nieren-, Herz-, Leber- und Lungenversagens im Endstadium.
Es besteht kein Zweifel, dass bei zahlreichen Erkrankungen die Organtransplantation die einzige Möglichkeit einer lebensrettenden Therapie darstellt und wesentlich zur Verbesserung der Lebensqualität beiträgt. Die Leistungsfähigkeit der heutigen Transplantationsmedizin ist aber auch mit verschiedenen medizinischen, psychosozialen, ethischen und ökonomischen Problemen verbunden. Besonders gravierend ist dabei das seit Anfang an bestehende Ungleichgewicht zwischen Bedarf und Angebot an transplantierbaren Organen. So stehen derzeitig in Deutschland über 13 000 Patienten auf der Warteliste. Die Wartezeit auf ein Organ beträgt für die Nierentransplantation über 27 Monate, für die Herztransplantation fünf Monate und für die Lebertransplantation durchschnittlich zwei Monate, bis zu 1000 Patienten versterben jährlich „auf der Warteliste”. Diese Situation führte dazu, dass psychiatrische, psychosomatische und medizinpsychologische Forschungsbeiträge und Versorgungsleistungen in der Transplantationsmedizin schon sehr früh eine gute Akzeptanz fanden. So wurde schon in den 70er Jahren in Transplantationskonferenzen immer wieder die Frage diskutiert, inwieweit mit psychodiagnostischen Verfahren eine Vorhersage geleistet werden kann, welcher auf der Warteliste stehende Dialysepatient im Hinblick auf die nach der Transplantation erforderliche immunsuppressive Nachbehandlung eine angemessene Compliance zeigen wird. Später wurde diese Forschungsfrage insofern generalisiert, als in den verschiedenen Transplantationsbereichen intensiv nach psychologischen Faktoren gesucht wurde, die eine Vorhersage des Transplantationserfolges erlauben sollten.
Für die Liaison- und Konsultationspsychosomatik ergeben sich im Bereich der Transplantationsmedizin vielfältige Aufgaben. Die Forderung nach einer psychosomatischen Betreuung von Transplantationspatienten hat in das Transplantationsgesetz vom 5. 11. 1997 Eingang gefunden, in dem mit § 10, Abs. 2. S. 5 die Transplantationszentren verpflichtet werden, „vor und nach einer Organübertragung Maßnahmen für eine erforderliche psychische Betreuung der Patienten im Krankenhaus sicherzustellen”. Eine psychologische Untersuchung der Organempfänger, bevor sie endgültig auf die Eurotransplant-Warteliste „gelistet” werden, wird inzwischen bei einer Reihe von Indikationen in den Transplantationszentren als eine wichtige Voraussetzung akzeptiert.
Die „psychosomatische” Evaluation der Organempfänger wirft schwierige klinische Fragen auf. Einige seien hier exemplarisch genannt: Wie können wir die Patienten identifizieren, bei denen abzusehen ist, dass sie die Transplantation nicht optimal für sich nutzen können? Wie können wir im Rahmen der Lebendnierenspende sicherstellen, dass die Entscheidung des Spenders tatsächlich freiwillig und frei von äußeren und inneren Abhängigkeiten und ökonomischem Druck erfolgt? Wie können wir Transplantationspatienten beraten oder auch psychotherapeutisch behandeln?
Zudem geht es um gewichtige ethische Fragestellungen: Handelt es sich bei der medizinischen Nutzung des Körpers eines verstorbenen Menschen oder bei der bewussten „Körperverletzung” bei Organ-Lebendspende letztlich nicht doch um kulturell tabuisierte Handlungen? Besteht ausreichender gesellschaftlicher und ethischer Konsens für eine sinnvolle und nachvollziehbare Verteilung der Organe? Wie tragen die Ärzte im Transplantationsteam die Verantwortung, das gespendete Organ eines verstorbenen oder lebenden Menschen als eine wichtige Ressource der Solidargemeinschaft sinnvoll und gerecht zu verteilen?
Einige Abteilungen für Psychosomatische Medizin und Medizinische Psychologie sind inzwischen fest in die interdisziplinäre Versorgung und Forschung in der Transplantationsmedizin eingebunden. Sie haben inzwischen eine beträchtliche psychodiagnostische und interventive Kompetenz entwickelt.
Dieses Heft und das Heft 1/2002 wollen einen Einblick in die gegenwärtige transplantationspsychologische Forschung und Versorgungspraxis geben. Mit den Beiträgen soll gezeigt werden, dass die psychosoziale Medizin im interdisziplinären Feld der Transplantationsmedizin einen wichtigen Stellenwert gewonnen hat.
Uwe Koch, Hamburg; Wolfgang Senf, Essen