Gesundheitswesen 2001; 63(12): 741-747
DOI: 10.1055/s-2001-18833
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Gesundheitszustand von deutschen und ausländischen Kindern: Warum ist Mehmet gesünder als Maximilian?

Health Status of German and Foreign Children: Why is Mehmet healthier than Maximilian?N. Hermann1 , A. Mielck2
  • 1München
  • 2GSF - Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen, Neuherberg
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Publication Date:
05 December 2001 (online)

Zusammenfassung

Sozial-epidemiologische Studien zum Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen, die neben den sozio-ökonomischen Faktoren auch den Einflussfaktor „Nationalität” berücksichtigen, sind in der Public-Health-Forschung bisher kaum bekannt. Der hier ausgewertete Datensatz „Mikrozensus 1995” bietet die Möglichkeit, den Zusammenhang zwischen dem Gesundheitszustand einer Person und seinem sozio-ökonomischen Status (gemessen über Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe-Empfang, Pro-Kopf-Einkommen, höchster Schulabschluss) zu analysieren, und dabei auch die Nationalität zu berücksichtigen. Als 1 %ige Stichprobe der bundesdeutschen Bevölkerung erfasst der Mikrozensus sowohl deutsche als auch ausländische Mitbürger aller Altersklassen. Eine Analyse des Gesundheitszustands von 50 908 deutschen und ausländischen Kindern und Jugendlichen im Alter von 0-18 Jahren hinsichtlich ihrer Krankheitshäufigkeit sowie hinsichtlich des Rauchens zeigt ein überraschendes Ergebnis: In der Altersgruppe 0-9 Jahre sind die ausländischen Kinder erheblich gesünder als die deutschen Kinder, obwohl ihre Familien einen niedrigeren sozio-ökonomischen Status aufweisen und obwohl ihre Eltern häufiger rauchen. Es wird die Hypothese formuliert, dass das familiäre Netzwerk eine gesundheitsfördernde Ressource und ein stark protektiver Faktor für die Gesundheit, vor allem von ausländischen Kindern, ist und dass auf diese Weise die sozio-ökonomische Benachteiligung dieser Personengruppe (sowie die gesundheitliche Belastung durch das Rauchen ihrer Eltern) mehr als ausgeglichen wird.

Abstract

At least in Germany social epidemiologists have practically never studied the association between the health status of children on one hand and their social status and nationality on the other. The census data from 1995 analysed here include data on social status (employment, social security, per capita income, school education) and nationality; and the 1 % sample of the population living in Germany covers all nationalities and all members of the families interviewed. The analysis includes 50,908 children aged 0-18 years and focuses on the health status and the smoking behaviour of the children and their parents. The result is somewhat surprising: In the age group 0-9 years foreign children seem to be more healthy than German children, despite the fact that their families more often belong to the lower status group and that their parents smoke more than the parents of the German children. It is hypothesised that social support in foreign families is stronger than in German families, and that this protective effect is stronger than the disadvantages of foreign children concerning social status of their families and smoking behaviour of their parents.

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