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DOI: 10.1055/s-2001-18568
Die virtuelle Hypertonieklinik - Telemedizin im Management der arteriellen Hypertonie
The virtual hypertension clinic: telemedicine in the management of arterial hypertensionPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
22. November 2001 (online)


Bei einer Prävalenz der arteriellen Hypertonie von ca. 20 % muss in der Bundesrepublik Deutschland von rund 15 Mio. Hypertonikern ausgegangen werden. Nur etwa 4 Mio. dieser Patienten werden antihypertensiv behandelt, von diesen allerdings nur 1,5 Mio. mit guter Blutdruckeinstellung unter antihypertensiver Therapie (Praxisblutdruck < 140/90 mm Hg). Für die adäquate medikamentöse Blutdruckeinstellung von nur 10 % der Patienten mit arterieller Hypertonie werden erhebliche ökonomische Ressourcen im Bereich ärztlicher Versorgung und im Arzneimittelbereich beansprucht.
Als ein wesentlicher Faktor für das Nichterreichen der Zielblutdruckwerte unter antihypertensiver Therapie wird eine mangelnde Therapietreue des Patienten (Compliance) angesehen. So ist davon auszugehen, dass im Langzeitverlauf die mittlere Compliance von antihypertensiv behandelten Patienten in der Regel nur 50 % beträgt. Nach eigenen Untersuchungen aus unserer Klinik ist eine zuverlässige Erfassung des Complianceverhaltens nur mit elektronischen Medikamenten-zählsystemen zu erreichen (so genanntes Medication Event Monitoring System; MEMS-System), die heute als Goldstandard in der Evaluierung der Compliance angesehen werden [5]. Diese Systeme erlauben eine zeitgenaue, objektive Erfassung des Complianceverhaltens über Wochen, Monate und Jahre.
Neben der mangelnden Compliance unter antihypertensiver Therapie wird des Weiteren beobachtet, dass viele Hypertoniker im Langzeitverlauf der ärztlichen Kontrolle »verloren gehen«. So wird der Anteil von Patienten mit milder arterieller Hypertonie, die im Langzeitverlauf nicht mehr zur Kontrolle kommen, auf ca. 50 % geschätzt.
Verschiedene Interventionsstudien zur Verbesserung der Compliance haben gezeigt, dass durch Maßnahmen wie Erhöhung der Zahl der Arztbesuche, häusliche Kontrollen durch Gesundheitsschwestern, verhaltenstherapeutische Maßnahmen sowie spezielle Hypertonieschulungsprogramme eine deutliche Verbesserung der Compliance und auch eine Verbesserung der Blutdruckeinstellung erzielt werden können. Eine Implementierung dieser Maßnahmen auf breiter Basis ist aufgrund der bereits ausgeschöpften Ressourcen im Gesundheitswesen erheblich limitiert. Einen Ausweg bieten hier neuere Technologien im Bereich Telemedizin, die eine elektronische Überwachung von chronisch Kranken in deren häuslichen Umgebung ermöglichen [17]. Eine Anwendung dieser Techniken wird auch unter dem Begriff »electronic home care« zusammengefasst.
Das klassische, traditionelle Modell der Diagnostik und Therapiekontrolle bei der arteriellen Hypertonie ist durch punktuelle Praxisblutdruckmessungen in nicht genau definierten Abständen und Messsituationen definiert. Hierdurch besteht eine erhebliche Unsicherheit über die Medikamententreue (Compliance) sowie das tatsächlich Blutdruckniveau zwischen zwei Arztkonsultationen, da sowohl Compliance als auch arterieller Blutdruck erheblichen Schwankungen ausgesetzt sind. Wie neuere Untersuchungen mit elektronischen Medikamentenzählsystemen (MEMS-Systeme) gezeigt haben, kommt es durch den Effekt der so genannten »white-coat«-Compliance zu einer deutlichen Abnahme der Medikamententreue zwischen zwei Arztbesuchen [16]. Die unmittelbare Interaktion zwischen Arzt und Patienten fördert offensichtlich die Compliance kurz vor und nach ärztlichen Konsultationen (»white-coat«-Effekt), während im Intervall die Motivation zur regelmäßigen Einnahme von Antihypertensiva deutlich nachlässt [Abb. 1].
Abb. 1 Traditionelles Konzept der Blutdrucküberwachung mit einem Intervall zwischen zwei Blutdruckkontrollen von 2 Monaten. Aufgrund des Effektes der »white-coat«-Compliance kommt es zu einem Abfall der Medikamentencompliance zwischen zwei Arztbesuchen. Dieser Abfall der Medikamentencompliance ist wahrscheinlich mit einem Anstieg des Blutdruckniveaus zwischen Arztbesuchen verbunden. Dieser vermutete Blutdruckanstieg aufgrund verringerter Compliance kann durch ärztliche Praxismessungen nicht erfasst werden.
Eine Abnahme der Compliance durch den Effekt der »white-coat«-Compliance induziert ansteigende Blutdruckwerte und könnte mit einer noch niedrigeren Kontrollrate der arteriellen Hypertonie verbunden sein, als bisher aus epidemiologischen Untersuchungen hervorgeht.