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DOI: 10.1055/s-2001-16444
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Der 106. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation vom 5. bis 7. Oktober 2001 in Jena und die „Bone and Joint Decade 2000 - 2010”
106th Congress of the German Society for Physical Medicine and Rehabilitation from 5 to 7 October 2001 in Jena and the „Bone and Joint Decade 2000 - 2010”Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
15. August 2001 (online)
Erkrankungen von Knochen und Gelenken, die in ihrer funktionellen Komplexität unter Berücksichtigung der Muskulatur als Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems bezeichnet werden, haben aufgrund der hohen Inzidenz für jeden Betroffenen, aber auch für die gesamte Gesellschaft eine große Bedeutung. Von der WHO wurde daher das Jahrzehnt zwischen 2000 und 2010 als „Bone and Joint Decade” deklariert.
Was soll und was kann innerhalb einer solchen Dekade erreicht werden und welche Mittel stehen dafür zur Verfügung? Die medizinischen Ziele der „Bone and Joint Decade” lassen sich relativ klar umreißen, nämlich muskuloskelettale Erkrankungen frühzeitig erkennen und weitestgehend verhindern sowie Erkrankte mit zweckmäßigen und wirtschaftlichen Verfahren diagnostizieren, therapieren und rehabilitieren. Last but not least soll für Patienten mit den verschiedenen muskuloskelettalen Erkrankungen eine Erleichterung im Umgang mit Krankheitsfolgen im Alltag erreicht werden. All diese Ziele sind nur umsetzbar, wenn gleichzeitig mit den medizinischen Bemühungen auch in der Gesellschaft die Aufmerksamkeit für die immense persönliche wie volkswirtschaftliche Bedeutung dieser Erkrankungen geweckt wird. Dies bedeutet, das Bewusstsein für die Verantwortung der Gesellschaft zur effektiven Prävention, Therapie und Rehabilitation muskuloskelettaler Erkrankungen zu entwickeln.
Der Versuch, Strategien zur Realisierung dieser Ziele zu finden, wird schwierig, wohl deutlich schwieriger wird deren Umsetzung werden. Das Deutsche Netzwerk zur „Bone and Joint Decade” hat in ersten Arbeitstreffen Vorschläge zur Umsetzung konkreter Ziele gebündelt. An diesen Arbeitstreffen waren Vertreter der verschiedenen wissenschaftlichen Gesellschaften, von Patientengruppen und interessierter Industriebereiche beteiligt. Die Deutsche Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation konnte Aktivitäten in den verschiedenen Arbeitsgruppen einbringen, die zur Schaffung eines neuen Bewusstseins bei Kollegen und in der Bevölkerung über die Bedeutung muskuloskelettaler Erkrankungen beitragen und die die Relevanz eines optimalen Managements von Krankheitskonsequenzen zur Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen unterstreichen.
Prävention heißt Aufklärung der Bevölkerung über gesundheitsbewusstes Verhalten einschließlich sekundärpräventiver Maßnahmen, Entwicklung gemeinsamer Programme mit gesellschaftlichen Behörden und Anregung von Forschungsprogrammen zur Erkennung und Vermeidung von Krankheitsursachen. Die Initiierung und Begleitung epidemiologischer Studien, die Verbreitung bereits vorhandener Erkenntnisse, die Erarbeitung und Begleitung von Früherkennungsprogrammen sowie deren Durchsetzung erfordern wissenschaftliches, klinisch-praktisches, berufsständisches und politisches Engagement. Neben fachbezogenem Detailwissen ist eine interdisziplinäre Kompetenz gefordert, wobei an dieser Stelle das Fachgebiet Physikalische Medizin und Rehabilitation ein kompetenter Ansprechpartner sein kann. Wenn von Netzwerken gesprochen wird, könnte im unmittelbaren Arbeitsfeld auch die effiziente Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Fachgebieten und Berufsgruppen verstanden werden, die von einem befähigten Koordinator gesteuert wird.
In der Therapie und Rehabilitation ist das wissenschaftlich begründete, praktikable und ökonomische Prinzip wohl eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre. Die Entwicklung und Überprüfung von Therapie-Leitlinien nach Kriterien der Evidence-Based Medicine und deren Implementierung in die klinische Praxis sowie in die Aus-, Weiter- und Fortbildung stellen für die wissenschaftlichen und berufsständischen Gesellschaften und Verbände eine wichtige Aufgabe dar. Um als Standards optimaler Patientenversorgung zu gelten, erfordern sie die Anwendung von Kriterien des Qualitätsmanagements und die Berücksichtigung gesundheitsökonomischer Aspekte.
Deutschland verfügt über eine ausgesprochen hoch entwickelte Medizin, die flächendeckend angeboten und weitgehend solidarisch finanziert wird. Dies unterscheidet unser Land von vielen anderen Ländern, in denen bei der Bewertung muskuloskelettaler Erkrankungen andere Prioritäten bestehen. Dass die heutige Medizin in den industrialisierten Ländern glücklicherweise zahlreiche Möglichkeiten zur Therapie und Rehabilitation findet, führt naturgemäß auch zu einer Steigerung der Behandlungskosten. Die ständig fortschreitende Medizinentwicklung birgt offenbar die Gefahr in sich, gewissermaßen selbst Medizinbedürftigkeit zu generieren. Außerdem erfährt die bislang überwiegend kurativ orientierte Medizin eine Erweiterung durch die gesellschaftliche Neubewertung der Krankheitsfolgen. Mediziner sind stärker als bisher aufgefordert, die Integration des Patienten in das soziale Umfeld, die als Partizipation beschrieben wird, in ihre Therapieplanung einzubeziehen. Dabei sind schlüssige integrative, interdisziplinäre und interprofessionelle Lösungen gefragt. Die Kostenträger müssen sich beispielsweise bezüglich der Finanzierungsmöglichkeiten in Prävention, Therapie und Rehabilitation klar positionieren. Sie sollten sich hierbei an den wissenschaftlichen Aussagen der Fachgesellschaften orientieren, welche ihrerseits die Aufgabe haben, eine fundierte Basis für rationale Entscheidungen zu liefern. Die Frage nach Qualität und Effektivität der Interventionen wird in jedem Fachgebiet vorrangig bleiben und die Ausbildung der nächsten Ärztegenerationen bestimmen.
Auf unserem Kongress im vergangenen Jahr hatten wir versucht, diesen Tendenzen Rechnung zu tragen. Der 106. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation wird als einer der ersten unter den deutschen Wissenschaftskongressen unter dem Logo und der inhaltlichen Zielsetzung der „Bone and Joint Decade” stattfinden. Der Kongress wurde unter das Thema „Das Bewegungssystem - Physikalische und Rehabilitative Medizin in der Bone and Joint Decade 2000 - 2010 zur Prävention - Therapie - Rehabilitation muskuloskelettaler Erkrankungen” gestellt. Im Programm wird auf wichtige Ziele und Strategien muskuloskelettaler Erkrankungen fokussiert: Biomechanik, Neurophysiologie, muskuläre Ermüdung, Bedeutung bildgebender Verfahren, Wertigkeit operativer und konservativer Therapien, Beurteilung der funktionellen Leistungsfähigkeit, Leitlinienentwicklung, Probleme sozioökonomischer Evaluationen. Ein „Specialty Day” wird die Initiative der „Bone and Joint Decade” betonen. Insgesamt sollen sich wissenschaftliche Sessions und Fortbildungsveranstaltungen ergänzen, um Lösungswege in Forschung und Praxis zu eröffnen. Neu ins Kongressprogramm eingeschlossen wird die Vergabe des „Spitzner-Preises für Physikalische Medizin”, womit der Anreiz und die Bedeutung wissenschaftlichen Arbeitens im Fachgebiet erhöht und unterstrichen werden soll.
Die Universitätsstadt Jena bietet als Gastgeber des Jahreskongresses der DGPMR 2001 in ihrer universalen Breite vielfältige Möglichkeiten zum wissenschaftlichen Disput und damit die Chance, initial Aktivitäten in die „Bone and Joint Decade” einzubringen.
Prof. Dr. med. U. Smolenski
Institut für Physiotherapie
Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Kollegiengasse 9
07740 Jena