Gesundheitswesen 2001; 63(7): 440-446
DOI: 10.1055/s-2001-15922
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das System der sozialen Sicherung als Lehrgegenstand im Medizinstudium

Erfahrungsbericht und Darstellung studentischer BeiträgeThe Social Security System as a Topic in Medical Education. Own Experiences and Description of Student's ContributionH. J. Seidel, T. Schochat
  • Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Universität Ulm, Klinikum
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)

Zusammenfassung

Einleitung: Das Fach Sozialmedizin, für die Lehre im Medizinstudium definiert durch die Schrift „Gegenstände, auf die sich der schriftliche Teil des 2. Abschnittes der ärztlichen Prüfung beziehen kann”, wird von unserer Abteilung seit über 25 Jahren im Kurs des ökologischen Stoffgebietes vertreten. An der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm handelt es sich um 4 Hörsaaltermine: Strukturen des Gesundheitswesens, Prävention durch Ärzte in der Kommune und im Betrieb, Einführung in die Gesundheitsökonomie, Einführung in die Epidemiologie. Hinzu kommen 5 Kursplätze im Kleingruppenunterricht: soziale Sicherungssysteme, Krankenversicherung, Reha-Exkursion, Gesundheitsberichterstattung, Epidemiologie. Die Inhalte dieser Veranstaltungen werden unter der Betonung didaktischer und lokalspezifischer Beispiele vorgestellt.

Methoden: Zur Sicherstellung studentischer Aktivität wurden „persönliche Termine” eingeführt: Studierende halten Kurzreferate zu ausgegebenen Themen oder - dies ist die Mehrzahl - sie formulieren Fragen zu den einzelnen Kursplätzen; Fragen oder Themen, die sie gerne an dem jeweiligen Termin behandelt wissen möchten. Die Fragen zu den Kursplätzen „Soziale Sicherungssysteme” und „Krankenversicherung” wurden über 6 Jahre gesammelt und systematisch ausgewertet.

Ergebnisse: Die Analyse zeigt, was den Studierenden auf eine solche Herausforderung hin einfällt und wo sie, in dem zunächst gering eingeschätzten Fach Sozialmedizin, vom Dozenten „abgeholt” werden können. Das Themenspektrum reflektiert überwiegend die Diskussion in den Medien: Die Finanzierbarkeit und der Leistungsumfang, auch Begriffe wie Budget und Missbrauch stehen als Fragen im Vordergrund, insbesondere bzgl. der Renten- und der Krankenversicherung. Spezifische ärztliche Funktionen in den Systemen wie z. B. die Begutachtung werden weniger häufig zum Thema gemacht. Durchaus angesprochen werden Themen wie „Ausweitung präventiver Maßnahmen”, „Chipkarte und Inanspruchnahme”, „unkonventionelle Methoden”. Nicht schriftlich, aber in den Pausengesprächen besteht ein Bedürfnis nach persönlicher Beratung (Krankenversicherung).

Schlussfolgerung: Als günstig für das Hinführen zu dem für das Examen und die Ausübung des Arztberufes erforderlichen Wissen haben sich die Themen „Begutachtung” und der Vergleich der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung erwiesen. Mit ihnen als Ausgangspunkt erscheint es uns leichter, sowohl die relevanten Einrichtungen und Strukturen als auch das Grundprinzip der Solidarität darzustellen.

The Social Security System as a Topic in Medical Education. Own Experiences and Description of Student's Contribution

Introduction: The special subject “sociomedicine”, as defined for medical students in “items to which the written examination in the second part of the medical examination can relate” has been taught by this department for 25 years as part of the course on medical ecology. There are 4 lectures (structure of the health care system; preventive care by doctors in the community and at the place of work; introduction to health economy; introduction to epidemiology) and the following seminars in small groups: social security systems; health insurance; excursion to a rehabilitation hospital; health reporting; epidemiology. The topics are presented and taught with emphasis on didactically useful and local examples.

Methods: To ensure student participation “personal data” were introduced: Students give short reports on topics presented to them or they have to formulate questions to the topic of the seminar, questions or subjects to be dealt with. The questions concerning “social security systems” and “health insurance”, collected over a 6 year period, were analyzed.

Results: Initially, the subject “sociomedicine” is not much appreciated by the students. The analysis shows what students think when they are challenged. The spectrum of questions mainly reflects the discussion in the media: Finance and benefits predominate, also budget and misuse, especially with reference to old-age pension and health insurance. Questions related to specific medical functions as e. g. medical expert opinion, are less often raised. However, topics such as “expansion of preventive measures”, “chip card and utilisation” and “unconventional methods” are often addressed. A special demand for personal advice is seen during small talk discussions in intermissions (health insurance).

Conclusion: The topics “medical expert opinion” and “comparison of public and private health insurance” have become positive knowledge required for the examination and for practising the medical profession. With these subjects as a starting point it appears easier for us to describe the relevant institutions and structures and the general principles of solidarity.

Literatur

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Prof. Dr. Hans Joachim Seidel

Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
Universität Ulm, Klinikum

Frauensteige 10, 89075 Ulm