Gesundheitswesen 2001; 63(6): 354-362
DOI: 10.1055/s-2001-15747
© Karl Demeter Verlag im Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Rauchverhalten und Alkoholkonsum bei Schülern im ländlichen Raum Ostdeutschlands

Ergebnisse einer TotalerhebungSmoking Behaviour and Alcohol Consumption in Students in Rural Eastern Germany: Results of a Total SurveyR. Fuchs1 , E. Zirm2 , C. Uischner2
  • 1HTWK Leipzig
  • , Gesundheitsamt Torgau
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Zusammenfassung

Die vorliegende Untersuchung („Torgau-Studie”) liefert epidemiologische Informationen für eine Zielpopulation, die bislang noch kaum ins Blickfeld der Gesundheitsförderung geraten ist, nämlich für Kinder und Jugendliche aus den ländlichen Regionen Ostdeutschlands. Durchgeführt wurde eine Totalerhebung, in die alle 6. bis 10. Klassen aller Mittelschulen und Gymnasien im Landkreis Torgau-Oschatz (Sachsen) einbezogen waren. Teilgenommen haben insgesamt 5925 Schüler (Partizipationsrate: 81,3 %) im Alter von 12 bis 16 Jahren. Die Ergebnisse liefern ein nach Geschlecht, Schultyp und Klassenstufe differenziertes Bild des jugendlichen Rauchverhaltens und Alkoholkonsums. Was das Rauchen anbelangt, so zeigte sich unter anderem, dass in der 10. Klasse der Anteil der „ständigen Raucher” (bzw. täglichen Raucher) in der Mittelschule bei 41 % und am Gymnasium bei 29 % liegt. Immerhin 51,9 % der von uns befragten Schüler sehen sich mit der Tatsache konfrontiert, dass zu Hause wenigstens ein Elternteil raucht. Zwischen dem Raucherstatus der Eltern und dem ihrer Kinder besteht ein hochsignifikanter Zusammenhang. Die Analyse der Rauchmotive verdeutlicht das schrittweise Hineingleiten in die Nikotinabhängigkeit aus psychologischer Perspektive. Die meisten Jugendlichen (ca. 80 %) wissen um die Gefährdung der Passivraucher. Mit zunehmendem Alter verliert dieses Wissen aber durch dissonanzreduzierende Maßnahmen („Ist-mir-egal”-Haltung) an subjektiver Bedeutung. Den Selbstangaben zum Trinkverhalten ist zu entnehmen, dass es unter den Mädchen auch in der 10. Klasse noch kaum tägliche Alkoholkonsumentinnen gibt (weniger als 1 %); bei den Jungen dagegen liegt die Quote der „täglichen Trinker” in der 10. Klasse bei 8 %. Der Anteil derjenigen, die wöchentlich wenigstens einmal Alkohol trinken, beträgt in der 10. Klasse 30,6 % (Mädchen: 18,7 %; Jungen: 44,2 %). Mit zunehmender Alkoholerfahrung rücken spezifischere soziale und emotionale Trinkgründe in den Vordergrund. - Insgesamt verweisen die Ergebnisse darauf, dass Maßnahmen zur Prävention des Suchtmittelgebrauchs in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands wenigstens genauso nötig sind wie anderswo. Es ist Zeit, dass die zumeist in den Städten erprobten innovativen Ansätze der Suchtprävention auch in den ländlichen Gegenden (nicht nur Ostdeutschlands) zum Einsatz gebracht und dort auf die spezifischen Bedingungen abgestimmt werden.

Smoking Behaviour and Alcohol Consumption in Students in Rural Eastern Germany: Results of a Total Survey

The present investigation (“Torgau Study”) provides epidemiological information on a target population which in the past has hardly been in the focus of health promotion activities: the subgroup of children and adolescents of rural regions in Eastern Germany. A total survey was conducted that encompassed all classes from grade 6 to 10 of all schools in the district of Torgau (Saxony). Together, 5,925 students in the age range 12 to 16 years participated in this study (participation rate: 81.3 %). The results provide a differentiated picture of their smoking behavior and alcohol use broken down by gender, school-type and grade. With respect to smoking the data show that the prevalence of regular smokers (i. e., daily smokers) in grade 10 is 41 % in the Mittelschule (the school-type with a stronger vocational orientation) and 29 % in the Gymnasium (the school-type with a university-preparatory curriculum). 51.9 % of all students report that at least one parent smokes. There is a highly significant association between smoking status of the parents and smoking status of their children. The analysis of reasons for smoking highlight the stepwise transition into nicotine dependency from a psychological perspective. Most of the adolescents (about 80 %) know about the dangers of passive smoking. However, with increasing age this knowledge loses its subjective relevance because dissonance-reducing strategies are applied (“doesn’t matter”-attitude). Among girls, even in grade 10, there are almost no daily alcohol consumers (less than 1 %); among boys in grade 10 the rate of daily alcohol users is about 8 %. The rate of those 10th graders who consume alcoholic beverages at least once a week is however 30.6 % (girls: 18.7 %; boys: 44.2 %). The longer the alcohol experience the more specific become the social and emotional motives for drinking. Altogether, the results suggest that efforts to prevent substance misuse in the rural regions of Eastern Germany are as necessary as in other regions. But the time has come that innovative approaches of drug prevention that are implemented and evaluated mostly in the bigger cities should also be started in the rural regions (not only of Eastern Germany), and should be adapted to the specific conditions there.

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1 z. B. des Berliner Arbeitskreis Neue Erziehung e.V. (Die Serie umfasst 46 Elternbriefe, die den Müttern und Vätern nach der Geburt ihres 1. Kindes zumeist vom örtlichen Jugendamt 8 Jahre lang in festgelegten Abständen zugeschickt werden.)

2 Im sächsischen Schulsystem sind Hauptschüler und Realschüler in den Mittelschulen integriert; eigenständige Hauptschulen gibt es nicht.

8 Bei der Frage nach dem Grund für das Rauchen wurden keine Mehrfachantworten zugelassen.

5 zu lesen als: 266 der insgesamt 870 Personen dieser Subgruppe (vgl. Tab. [3b])

7 Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden zwei Motive grafisch nicht dargestellt. Für das Motiv „aus Langeweile” gelten die Prozentwerte 22,5% - 9,1% - 8,3% - 6,1% - 3,0% (von der 6.-10. Klasse); für das Motiv „um die Wirklichkeit erträglicher zu machen” die Prozentwerte 5,0% - 5,7% - 4,4% - 6,5% - 4,4%.

Prof. Dr. Reinhard Fuchs

HTWK Leipzig
Fachbereich Sozialwesen

PF 30 00 66

04251 Leipzig

Email: fuchs@sozwes.htwk-leipzig.de