Rehabilitation (Stuttg) 2001; 40(3): 123-130
DOI: 10.1055/s-2001-14721
ORIGINALARBEIT
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Frührehabilitation in Baden-
Württemberg - Eine Untersuchung aller Frührehabilitationseinrichtungen Baden-Württembergs[1]

Early Neurological Rehabilitation (ENR) of Patients with Severe Brain Damage - A One-Year Study of All ENR Departments in the State of Baden-WürttembergP. W. Schönle1 , K. Ritter2 , P. Diesener3 , K.-H. Hagel4 , J. Ebert4 , D. Hauf5 , E. Herb6 , P.-J. Hülser7 , C. Lipinski8 , G. Manzl1 , P. Maurer9 , D. Schmalohr3 , M. Schneck10 , F. Schumm
  • 1Lurija-Institut an der Universität Konstanz, Kliniken Schmieder, Allensbach
  • 2Sozialministerium Baden-Württemberg, Stuttgart
  • 3Hegau-Jugendwerk, Gailingen
  • 4Neurologische Klinik Elzach, Elzach
  • 5Körperbehindertenkinderklinik, Schömberg
  • 6Klinikum Karlsbad-Langensteinbach gGmbH, Abteilung Neurologie II, Frührehabilitation/Intensiv, Karlsbad
  • 7Waldburg Zeil Akutkliniken, Fachkliniken Wangen,
    Neurologische Kliniken, Wangen
  • 8Rehabilitationsklinik, Fachkrankenhaus Neckargemünd,
    ZNS-Pädiatrie/Neuropädiatrie, Neckargemünd
  • 9Fachkrankenhaus Neresheim gGmbH, Klinik für Schädel-
    Hirn-Verletzte, Neresheim
  • 10Münsterklinik, Zentrum für Psychiatrie, Zwiefalten
  • 11Neurologie Christophsbad Göppingen, Göppingen
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Publication History

Publication Date:
31 December 2001 (online)

Zusammenfassung.

In der vorliegenden Studie wurde die Gesamtheit aller 830 Patienten mit schweren Hirnschädigungen untersucht, die in den Frührehabilitationseinrichtungen Baden-Württembergs im Zeitraum eines Jahres vom 1. März 1997 bis zum 28. Februar 1998 behandelt wurden. Es standen in diesem Zeitraum 7 Einrichtungen für Erwachsene mit 147 Betten (Belegung 102,29 %) und 3 Einrichtungen für Kinder mit 43 Betten (Belegung 77,1 %) zur Verfügung. Die Inzidenz schwerer Hirnschädigungen bei Erwachsenen mit Frührehabilitationsbehandlung war 7,98 und bei Kindern 1,11 auf 100 000, bei einer Gesamtpopulation von 10,4 Millionen in Baden-Württemberg. Hinsichtlich der Altersstruktur zeigte sich in Bezug auf den Bevölkerungsanteil eine Überrepräsentation der 50- bis unter 70-Jährigen und eine Unterrepräsentation der über 70-Jährigen als Hinweis auf eine differenzielle Belegung im Rahmen des neurologischen versus geriatrischen rehabilitativen Versorgungskonzeptes in Baden-Württemberg. Männer dominierten, während Frauen etwas jünger waren. 54 % der Patienten wurden direkt aus der erstbehandelnden Klinik übernommen, 45 % wurden in zwei oder drei Kliniken vorbehandelt. Die Vorbehandlung dauerte im arithmetischen Mittel 67 Tage (Median 36 Tage; Streuung von einigen wenigen Tagen bis zu 300 und mehr Tagen). In 32,8 % lagen traumatische Hirnschädigungen (ICD 851, 852, 854) und in 40,9 % nicht-traumatische Hirnaffektionen (ICD 430, 431, 433 - 438, 310, 348) vor. Ischämische Hirninfarkte (ICD 433 - 438) machten 12,2 %, Subarachnoidalblutungen 8,5 % und intrazerebrale Blutungen 12,3 % aus. Das arithmetische Mittel der Verweildauer lag bei 53 Tagen, der Median betrug 40 Tage, ca. 19 % der Patienten benötigten eine Verweildauer von mehr als 80 Tagen, einige bis zu einem Jahr. Der Schweregrad verbesserte sich von - 119 (arithmetisches Mittel) auf - 34 Punkte im Frühreha-Barthel-Index. 80 % der Patienten zeigten eine Verbesserung (71 % um bis 200 Punkte; 46 % bis zu 100 Punkte). Mit der vorliegenden Studie konnten erstmals in einem ganzen Bundesland die Gesamtheit der in einer Frührehabilitationsabteilung behandelten schwer hirngeschädigten Patienten erfasst und - soweit mit dem Frühreha-Barthel-Index erfassbar - die Verbesserungen im Rahmen der Frührehabilitation nachgewiesen werden.

Early Neurological Rehabilitation (ENR) of Patients with Severe Brain Damage - A One-Year Study of All ENR Departments in the State of Baden-Württemberg.

Over a period of 12 months, all persons among the 10.4 million inhabitants of the state of Baden-Württemberg were included in the study who had suffered severe brain damage and were treated in special early rehab units, comprising 147 beds for adults and 43 for children. With 830 patients admitted, the incidence of severe brain damage was 7.98/100.000 in adults and 1.11/100.000 in children. 50 to 70 year old patients were over-represented, those older than 70 years were underrepresented due to geriatric rehab facilities for the latter. Male patients dominated, while female were somewhat younger. 54 % of the patients were admitted from the hospital which had performed primary care, with an average stay of 67 days. Average early rehab duration was 53 days (arithmetic average; median 40 days, some patients required up to one year). 32.8 % of the patients had suffered traumatic brain damage (ICD 851, 852, 854) and 40.9 % non-traumatic brain affection (ICD 430, 431, 433 - 438, 310, 348), including 12.2 % CVA (ICD 433 - 438), 8.5 % subarachnoid and 12.3 % intracerebral hemorrhage. Severity as indexed by the early rehab Barthel index improved from an initial average of - 119 to - 34 at discharge. 80 % of the patients showed an overall improvement (71 % of them by up to 200 points and 46 % by up to 100 points).

1 Das vorliegende Papier basiert u. a. auf der Datenanalyse der Fa. Weeber und Partner, Stadtplanung, Stadtforschung, Sozialforschung, Sozialplanung, Stuttgart, die im Auftrag des Sozialministeriums Baden-Württemberg erfolgte.

Literatur

  • 1 Bundesarbeitsgemeinschaft medizinisch-beruflicher Rehabilitations-Zentren Phase II (BAG Phase II). Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation. Bonn; BAG Phase II 1994
  • 2 Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR). Empfehlungen zur Neurologischen Rehabilitation von Patienten mit schweren und schwersten Hirnschädigungen in den Phasen B und C Frankfurt/M; BAR 1995
  • 3 Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung Baden-Württemberg. Das Apallische Syndrom Stuttgart; MAGS Baden-Württemberg 1991
  • 4 Schönle P W. Der Frühreha-Barthelindex (FBI) - eine frührehabilitationsorientierte Erweiterung des Barthelindex.  Rehabilitation. 1995;  34 69-74
  • 5 Schönle P W. Neurologische Rehabilitation in den Phasen B, C, D und E - Praxis und Prognose. Bad Honnef; Hippocampus 2000
  • 6 Schönle P W, Schwall D. Abschlussbericht des Begleitforschungsprojekts Frührehabilitation (1992 - 1994). Allensbach; Kliniken Schmieder 1994
  • 7 Schönle P W, Stemmer B. 2000
  • 8 Weeber und Partner. Behandlungsanlässe und -erfolge bei der Frührehabilitation von Patienten mit schweren Schädel-Hirnverletzungen. Stuttgart; Manuskript 1999
ANHANG
Frühreha-Barthel-Index
KLINIKUntersuchungsdatum: 12. 03. 1998

Name und Geburtsdatum des Patienten
oder Patientenaufkleber
Untersuchung Nr.
(fortlaufend von
1 bis Entlassung)1
Frühreha-Index
1.intensivmedizinisch überwachungspflichtiger Zustandja-50○
nein 0
2.absaugpflichtiges Tracheostomaja-50○
nein 0
3.intermittierende Beatmungja-50○
nein 0
4.beaufsichtigungspflichtige Orientierungsstörung (Verwirrtheit)ja-50
nein 0
5.beaufsichtigungspflichtige Verhaltensstörung (mit Eigen- und/oder Fremdgefährdung)ja-50
nein 0
6.schwere Verständigungsstörungja-25
nein 0
7.beaufsichtigungspflichtige Schluckstörungja-50
nein 0
8.Dekubitus oder andere verbandspflichtige Wundenja-50○FRI: (□ Pkte. 1-8)
nein 0 -200
Barthel-Index
9.Essen und Trinken
(„mit Unterstützung”, wenn Speisen vor dem Essen zurecht-
geschnitten werden)
nicht möglich 0○
mit Unterstützung 5
selbständig10
10.Umsteigen aus dem Rollstuhl ins Bett und umgekehrt
(einschl. Aufsetzen im Bett)
nicht möglich 0○
mit Unterstützung 5
selbständig15
11.persönliche Pflege (Gesichtwaschen, Kämmen, Rasieren,
Zähneputzen)
nicht möglich 0○
mit Unterstützung 0
selbständig 5
12.Benutzung der Toilette (An-/Auskleiden, Körperreinigung, Wasserspülung)nicht möglich 0○
mit Unterstützung 5
selbständig10
13.Baden und Duschennicht möglich 0○
mit Unterstützung 0
selbständig 5
14.Gehen auf ebenem Untergrundnicht möglich 0○
mit Unterstützung10
selbständig15
Fortbewegung mit dem Rollstuhl auf ebenem Untergrund
(dieses Item zu verwenden, falls das Item 14 mit „nicht möglich”
bewertet wurde)
nicht möglich 0
mit Unterstützung 0
selbständig 5
15.Treppen auf/absteigennicht möglich 0○
mit Unterstützung 5
selbständig10
16.An-/Ausziehen (einschl. Schuhebinden, Knöpfe schließen)nicht möglich 0○
mit Unterstützung 5
selbständig10
17.Stuhlkontrollenicht möglich 0○
mit Unterstützung 5
selbständig10
18.Harnkontrollenicht möglich 0○
mit Unterstützung 5Barthel:
(□ Pkte. 9-18)
selbständig10 0
V 1.01 Gesamtsumme -200

1 Das vorliegende Papier basiert u. a. auf der Datenanalyse der Fa. Weeber und Partner, Stadtplanung, Stadtforschung, Sozialforschung, Sozialplanung, Stuttgart, die im Auftrag des Sozialministeriums Baden-Württemberg erfolgte.

2 An einzelnen Kliniken wurden bereits zuvor apallische Patienten behandelt, die dem Schweregrad der späteren Phase B entsprachen. So wurde bereits in den 70er Jahren an den Kliniken Schmieder eine Spezialabteilung für derart schwerst hirngeschädigte Patienten errichtet, die über entsprechende Überwachungsmöglichkeiten inklusive Videomonitoring verfügte.

3 Der FBI setzt sich aus dem Barthel-Index zusammen mit einer Erweiterung um frühreharelevante Items, die im Wesentlichen durch den pflegerischen Zeitaufwand motiviert sind und den Kriterien der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR 1995) entsprechen (siehe auch ANHANG zu den Details des FBI mit den Werten für einen typischen Frührehabilitationspatienten. Treffen die ltems 1, 2, 3 und 8 nicht mehr zu, verändert sich der Score auf 0) (Schönle 1995, Schönle u. Stemmer 2000).

4 Es handelt sich um die in diesem Zeitraum aufgenommenen und entlassenen Patienten.

5 Eine deutliche Unterinanspruchnahme der Frührehabilitation besteht durch universitäre Neurochirurgien.

6 Dabei handelt es sich in der Regel um zwei aufeinander folgende Behandlungen, z. B. in der erstbehandelnden Unfallklinik und der dann weiterbehandelnden neurochirurgischen Klinik. Danach kann sich vor einer Verlegung in die Frührehabilitation ein Aufenthalt auf einer Intensivstation anschließen.

7 Die Kinderklinik Schömberg wurde in die Berechnung der Dauer der Vorbehandlung nicht eingeschlossen, da die Vorbehandlung aufgrund eines anderen Versorgungskonzeptes deutlich länger als in den anderen Kliniken dauert.

8 Diese Zahl dürfte etwas zu niedrig sein, da die Frührehabilitationsabteilungen noch relativ neu sind und daher noch nicht so viele Patienten entlassen worden waren, die dann hätten wieder aufgenommen werden können.

9 Insgesamt konnten 5 Diagnosen genannt werden.

10 Berechnet als Summe der Tage eines Aufenthaltes. Wurde bei einem Patienten eine Unterbrechung wegen Verlegung zu einer bestimmten Intervention notwendig, wurden die Tage des sich anschließenden erneuten Frührehabilitationsaufenthalts mit denen des ersten Aufenthaltes addiert.

11 Die Kinderklinik Schömberg ging - wegen des etwas anderen Konzeptes - in die Berechnung der Verweildauer nicht ein, sonst wäre die Liegedauer erheblich länger.

12 Der FRB beinhaltet vor allem für die Pflege der Patienten aufwändige Aktivitäts-Items, die pflegesatzrelevant sind, ohne jedoch z. B. die neurokognitiven Störungen im Detail zu differenzieren (Schönle u. Stemmer 2000).

13 Liegt keine Veränderung des Summen-Scores vor, kann gleichwohl eine Verbesserung eingetreten sein. Zum Beispiel kann ein Patient, der eine Zeitlang intensivmedizinisch überwachungspflichtig war, sich so weit verbessern, dass er zwar nicht mehr intensivmedizinisch überwacht werden muss, er dafür aber wegen einer sich entwickelnden ausgeprägten Verwirrtheit, Orientierungsstörung und damit verbundenen Selbstgefährdung einer ständigen Überwachung bedarf. So „maskierte” Verbesserungen können nur durch eine Einzel-Item-Analyse erkannt werden. Die 80 % Verbesserungen sind daher eher konservativ zu werten, bei Einzel-Item-Analyse könnten sich noch einige der 19 % Patienten mit pseudo-unveränderten Werten als solche mit verbesserten Werten „herausstellen”. Damit wäre der Anteil mit Verbesserungen möglicherweise noch etwas höher.

14 D. h. der in den Frührehabilitationseinrichtungen aufgenommenen Patienten.

15 Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass bei Umfragen in den regelmäßig stattfindenden Tagungen der Landesarbeitsgemeinschaft von den einzelnen Einrichtungen (bis auf eine bzw. zwei Einrichtungen) keine wesentlichen Wartezeiten für einen Frührehabilitationsbehandlungsplatz gemeldet werden.

Korrespondenzanschrift:

Prof. Dr. phil. Dr. med. Paul W. Schönle

Lurija-lnstitut für Rehabilitationswissenschaften
und Gesundheitsforschung an der
Universität Konstanz
Kliniken Schmieder

78473 Allensbach

Email: paul.schoenle@uni-konstanz.de