Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(22): 673-674
DOI: 10.1055/s-2001-14486
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Addison-Krise

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Publication Date:
10 October 2002 (online)

Frage:Bei einem Patienten mit Nebennierenrinden-Insuffizienz besteht Verdacht auf Addisonkrise. Welche Diagnostik- und Therapiemaßnahmen werden aktuell empfohlen?

Antwort: Unter Addison-Krise versteht man eine akute Akzentuierung der Symptome eines Patienten mit Nebennierenrinden-Insuffizienz. Es lassen sich drei Formen unterscheiden:

Bei bekannter Nebennierenrinden-Insuffizienz tritt aufgrund unzureichender Substitutionstherapie eine Krise auf, weil der Patient über Notfall-Maßnahmen nicht unterrichtet war oder weil die entsprechenden Maßnahmen nicht ausreichend wirksam waren. Die Nebennierenrinden-Insuffizienz wird erst bei Auftreten einer Krise diagnostiziert. Akute bilaterale Nebennierenrinden-Hämorrhagie oder -Nekrose im Rahmen einer schweren, meist septischen Allgemeinerkrankung.

In der gestellten Frage wird ein Patient der ersten Kategorie geschildert. Eine Addison-Krise bei Patienten mit bekannter und substituierter Nebennierenrinden-Insuffizienz tritt meistens im Rahmen eines fieberhaften Infektes auf, wenn die Patienten die Glucocorticoid-Substitution nicht dem Mehrbedarf im Rahmen des »Infektions-Stresses« angepasst haben. Die normale Substitutions-Tagesdosis liegt zwischen 15 und 30 mg Hydrocortison (entsprechend dem zirkadianen Rhythmus verteilt auf zwei Tagesdosen: 10-20 mg am frühen Morgen, 5-10 mg am frühen Nachmittag). Bei fieberhaften Infekten soll die Hydrocortison-Tagesdosis verdoppelt bis verdreifacht werden. Kann Hydrocortison im Rahmen eines gastrointestinalen Infektes wegen Brechreiz oder Erbrechen nicht eingenommen werden, sollte jeder Patient Hydrocortison- oder Prednisolon-Suppositorien in seiner Notfall-Apotheke haben, um in diesem Falle die Zeit bis zum nächstmöglichen Arztkontakt zu überbrücken. Treten zusätzlich Diarrhoen auf, muss der Patient umgehend einen Arzt oder ein Krankenhaus zur parenteralen Hydrocortisonzufuhr aufsuchen.

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Diarrhoe) zugleich häufige Symptome einer Nebennierenrinden-Insuffizienz sind ([1], [2]), sodass bei dieser Konstellation unbedingt auch an andere Ursachen als eigentlicher »Auslöser« für die Addison-Krise gedacht werden muss (z.B. Pneumonie oder Sinusitis). Weitere häufige Symptome einer Addison-Krise sind Schwäche, Müdigkeit, Vigilanzminderung und Hypotension. Im Routine-Labor können Hyperkaliämie, Hyponatriämie und bei stärkerer Dehydratation auch ein Kreatininanstieg beobachtet werden.

Patienten mit bekannter Nebennierenrinden-Insuffizienz (siehe Frage) sollten stets einen Notfallausweis mit den zur Information anderer Ärzte erforderlichen Eintragungen über Diagnose, Basistherapie und empfohlene Notfallmaßnahmen bei sich tragen. Bei diesen Patienten ist bei klinischem Verdacht auf Addison-Krise sofort mit der entsprechenden Therapie zu beginnen. Eine endokrinologische Diagnostik ist in diesem Falle absolut überflüssig und kann aufgrund eines daraus möglicherweise resultierenden Zeitverlustes zu einer Gefährdung des Patienten führen.

Als erste therapeutische Maßnahme erhalten alle Patienten bei Verdacht auf Addison-Krise zunächst 100 mg Hydrocortison intravenös. Bei mäßiggradiger Dehydration reicht meistens zusätzlich eine mäßig dosierte Infusion von 0,9% iger NaCl-Lösung aus. Häufig erholen sich die Patienten unter diesen Maßnahmen sehr schnell, sodass bei diesen »leichteren Verläufen« schon bald wieder auf die orale Substitutions-Therapie (in doppelter oder dreifacher Dosierung!) umgestellt werden kann. Bakterielle Infektionen müssen wie üblich behandelt werden. Bei fieberhaften Virusinfekten scheint die hochdosierte Hydrocortison-Therapie selbst fiebersenkend zu sein; bei stark erhöhten Temperaturen sind zusätzliche antipyretische Maßnahmen sinnvoll.

Patienten mit ausgeprägter hypotoner Dehydratation erhalten nach der initialen Gabe von 100 mg Hydrocortison in den nächsten 24 Stunden zusätzlich 100 mg Hydrocortison über Perfusor. Zusätzlich muss bei diesen Patienten sofort mit einer schnell einlaufenden Infusion von 0,9%iger NaCl-Lösung begonnen werden; hierzu ist - zumindest bei herzinsuffizienten und älteren Patienten - die Anlage eines zentral-venösen Katheters sinnvoll. Unter Kontrolle des zentralen Venendrucks und des Blutdrucks benötigen diese Patienten oft 4¿6 Liter 0,9%ige NaCl-Lösung in wenigen Stunden. Parallel sollte langsam 50%ige Glucoselösung (wenig »freies Wasser«) infundiert werden. Bei bedrohlicher Hyperkaliämie werden die üblichen Maßnahmen eingeleitet (Calciumgluconat intravenös, zusätzliche Insulingabe zur Glucose-Infusion). Auch bei diesen »schwereren Verläufen« einer Addison-Krise erholen sich die Patienten unter diesen Maßnahmen innerhalb 24 Stunden in erstaunlichem Maße, sodass schon am 2. Tag die parenterale Hydrocortison-Zufuhr reduziert und bald auf die orale Substitutions-Therapie übergegangen werden kann. Während der hochdosierten Hydrokortison-Gabe ist die in der Basis-Therapie bei Patienten mit Primärer Nebennierenrinden-Insuffizienz (= Morbus Addison) notwendige Mineralocorticoid-Substitution mit 9a-Fluoro-Hydrocortison (z.B. Astonin HR) nicht erforderlich ([3]).

Der Standard-Test zur Diagnose einer Primären Nebennierenrinden-Insuffizienz ist weiterhin der ACTH-Kurztest: 250 µg ACTH 1-24 (z.B. 1 Ampulle SynacthenR) werden morgens vor 10 Uhr intramuskulär oder intravenös injiziert; Serum-Cortisol wird vor und 60 Minuten nach der Injektion bestimmt. Pathologisch ist der Test, wenn weder der basale noch der stimulierte Serum-Cortisol-Wert > 550 nmol/l sind ([1], [2]).

Alternativ zu dieser Diagnostik kann auch eine einzige Blutabnahme zur parallelen Bestimmung von Plasma-ACTH und Serum-Cortisol sehr sensitiv eine Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz beweisen. Wenn diese Diagnostik in suffizienter Weise (Blut-Transport eisgekühlt, valider ACTH-Assay) verfügbar ist, kann auf diesem Wege im Vergleich zum ACTH-Kurztest auch bereits definitiv eine Differenzierung zwischen Primärer (ACTH erhöht) und Sekundärer Nebennierenrinden-Insuffizienz (ACTH niedrig normal oder erniedrigt) erfolgen ([1], [2]).

Bei schwer kranken Patienten auf der Intensiv-Station (siehe oben: »Addison-Krise-Kategorie« 2 und 3) ist die Diagnose einer Nebennierenrinden-Insuffizienz von besonderer Bedeutung. Ein »Übersehen« dieser Erkrankung wird der Patient wahrscheinlich nicht überleben. Bei diesen Patienten schließt ein basaler Serum-Cortisol-Wert > 550 nmol/l keineswegs eine Nebennierenrinden-Insuffizienz aus, da der »Normalbereich« bei diesen Patienten im Rahmen der Stress-Adaptation in höhere Bereiche verschoben ist. Hier sollte bei Verdacht auf Nebennierenrinden-Insuffizienz sofort Blut für Serum-Cortisol und Plasma-ACTH abgenommen und direkt danach mit der Hydrocortison-Substitution begonnen werden. Ein basaler Serum-Cortisol-Wert > 700 nmol/l macht eine Nebennierenrinden-Insuffizienz unwahrscheinlich, schließt sie aber nicht 100%ig aus ([1]). Daher sollte in Zweifelsfällen die Hydrocortison-Substitution bei diesen Patienten unbedingt fortgeführt werden; oftmals kann eine genaue Diagnostik bei diesen Patienten erst nach Stabilisierung der Krankheits-Situation und Reduktion der Hydrocortison-Gabe auf die normale Substitutionsdosis (zwischen 15 und 30 mg Hydrocortison pro Tag) durchgeführt werden.

Literatur

  • 1 Oelkers W. Adrenal insufficiency.  N Engl J Med. 1996;  335 1206-1212
  • 2 Oelkers W, Diederich S, Baehr V. Diagnostik der Nebennierenrinden-Insuffizienz.  Dtsch med Wschr. 1994;  119 555-559
  • 3 Diederich S, Baehr V, Oelkers W. Therapie der Nebennierenrinden-Insuffizienz.  Dtsch med Wschr. 1994;  119 595-597

Dr D Diederich

Medizinische Klinik IV Bereich Endokrinologie, Universitätsklinikum Benjamin Franklin

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12200 Berlin