Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(20): 608-609
DOI: 10.1055/s-2001-14099
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Bedeutung des HbA1c

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Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)

 

Frage: Wird die Höhe des HbA1c außer durch den Blutzucker von weiteren Parametern beeinflusst? Wie ist die Aussagekraft des HbA1c bei einem Diabetiker mit Niereninsuffizienz?

Antwort: Durch nicht-enzymatische Glykierung reagieren Glukose und andere Monosaccharide mit freien Aminogruppen von Proteinen. Diese Reaktionen sind zum einen abhängig von der Glukosekonzentration, zum anderen sind sie irreversibel. Daher kann von der Konzentration der glykierten Proteine retrospektiv auf die mittlere Blutzuckerhöhe während eines durch die Halbwertszeit der glykierten Proteine definierten Zeitraumes geschlossen werden. Es können zahlreiche glykierte Einzelproteine abgegrenzt werden, die sich in ihrer Stabilität und Halbwertszeit deutlich unterscheiden.

Als relativ stabil hat sich die Bestimmung der Glykohämoglobine erwiesen. Hierbei handelt es sich im Speziellen um glykiertes Erwachsenenhämoglobin HbA, das aus zwei α- und zwei β-Ketten aufgebaut ist. Die Glykierung findet am N-terminalen Ende der β-Kette an der freien Aminogruppe der Aminosäure Valin statt. Die Summe des durch Fructose-1,6,-diphosphat (HbA1a1), Fructose-6-phosphat (HbA1a2), anderen Reaktionspartnern (HbA1b) oder D-Glukose (HbA1c) glykierten HbA wird als HbA1 bezeichnet, die unglykierte Fraktion als HbA0. Die glykierte Form HbA1 macht etwa 5-7%, die unglykierte Form HbA0 90% des Erwachsenen Hämoglobins HbA aus. Die Subfraktion des HbA1c hat einen Anteil von ca. 75-80% am HbA1 [1].

Unter Berücksichtigung der Erythrozytenlebensdauer von 100-120 Tagen, der Glykierungsrate neu gebildeten Hämoglobins und der Präzision der Bestimmungsmethode kann ein signifikantes Absinken (d.h. > 1%) erhöhter HbA1c-Konzentrationen unter optimaler Therapie bereits nach 10 Tagen beobachtet werden [2] . Insgesamt erfasst der HbA1c einen Zeitraum von 6-8 Wochen. Als Verlaufsparameter und Therapiekontrolle sollte bei Diabetikern die vierteljährliche Bestimmung angestrebt werden.

Abhängig von der verwendeten Bestimmungsmethode existieren unterschiedliche Referenzbereiche für die Glykohämoglobine. Diese können sich deutlich unterscheiden, z.B. 2,8-4,9% (EIA) und 4,4-6.4 (Affinitäts-Chromatographie). In praxi können so Unterschiede von absolut 1-2% auftreten. Da zur Zeit noch keine akzeptierte Referenzmethode und kein standardisiertes Referenzmaterial zur Verfügung stehen, kann die Interpretation und der Vergleich von HbA1c-Werten, die mit unterschiedlichen Methoden ermittelt wurden, nur unter Berücksichtigung der Bestimmungsmethode und deren Referenzbereiche erfolgen [3]. Ein anerkanntes Vorgehen hierfür ist die kategorische Definition nach der St. Vincent Declaration der WHO: Ein HbA1c kleiner dem Mittelwert (x) plus der dreifachen Standardabweichung (s) wird als gute Einstellung gewertet (< x + 3s), einer kleiner x + 5s als befriedigende und ein HbA1c größer x + 5s als schlechte Diabeteseinstellung.

Präanalytisch kann durch Lagerung der Probe für mehr als 72 h eine Störung der chromatographischen Methoden entstehen (durch Gluthation-Hb-Adducte), die sich in falsch-hohen Werten niederschlägt.

Erkrankungen, die die Erythrozytenlebenszeit beeinflussen, können die Höhe des HbA1c beeinflussen. Von klinischer Relevanz sind hämolytische Anämien, die eine Verkürzung der Erythrozytenlebensdauer bewirken, und Blutungsanämien, die die intravasale Verweildauer der Erythrozyten verkürzen, und damit zu niedrigeren HbA1c-Werten führen können.

Abnorme Hämoglobine (z.B. HbF-Persistenz, Thalassämie, Sichelzellanämie), die z.B. ohne β-Kette aufgebaut sind, können zu falsch-hohen oder falsch-niedrigen HbA1c-Werten der HPLC/FPLC-Methoden führen [4]. Bei unbeeinflussten Methoden resultieren andererseits durch quantitative Verschiebungen der Hb-Fraktionen und einer häufig verkürzten Erythrozytenlebersdauer zu niedrige Werte des HbA1c [5]. Insgesamt ist eine valide Interpretation des HbA1c bei Vorliegen einer Hämoglobinopathie nicht möglich.

Chronischer Alkoholkonsum führt zu einer vermehrten Bildung von Acetaldehyd-Adducten des Hämoglobins, hochdosierte (> 1 g/d) Einnahme von Acetylsalicylsäure führt zur nachweisbaren Bildung von acetyliertem Hämoglobin. Beide Effekte scheinen aber bei der Routinebestimmung des HbA1c vernachlässigbar zu sein [6]. Auch andere Medikamenteninteraktionen sind theoretisch zwar denkbar, haben aber bislang keine klinische Bedeutung erlangt.

Auch die Therapie mit antioxidativen Substanzen wie Vitamin C, das den Glykierungsprozess vermindern könnte, hat keinen praktisch relevanten Einfluss auf die Höhe der HbA1c-Konzentrationen ([7], [8]).

Verschiedene Faktoren erschwerden die Interpretation der HbA1c-Werte bei niereninsuffizienten Patienten. Auf der analytischen Seite werden mit chromatographischen sowie elektrophoretischen Methoden falsch-hohe HbA1c-Werte bedingt durch carbamylierte Hämoglobin-adducte gemessen (8). Diese entstehen durch Bindung des Hämoglobins mit Zyanaten, die aus dem Harnstoffzerfall resultieren. Klinisch besteht bei höhergradiger Niereninsuffizienz meist eine renale Anämie, wobei neben dem Erythropoetinmangel vor allem eine verkürzte Erythrozytenlebensdauer als Ursache zu nennen sind, was wiederum zu falsch-niedrigen HbA1c-Werten führen kann. Werden Bestimmungsmethoden verwendet, die nicht anfällig für karbamyliertes Hämoglobin sind, findet sich bei niereninsuffizienten Patienten eine gleich gute Korrelation wie bei Nierengesunden zwischen HbA1c und den protokollierten Blutglukosekonzentrationen der letzten sechs Wochen [9]. Diese Beziehung gilt für konservativ behandelte Patienten, Patienten mit Peritonealdialyse und nach Nierentransplantation. Bei Hämodialysetherapie werden auch mit diesen Methoden im Vergleich zu den Blutglukoseprotokollen zu niedrige HbA1c-Werte gemessen. Die Interpretation der HbA1c-Werte bei niereninsuffizienten Patienten sollte unter sorgfältigen Berücksichtigung der klinischen Situation und vor allem der regelmäßigen Blutzuckerselbstmessungen erfolgen. Bei Hämodialysepatienten sind die Blutzuckertagebücher der wichtigste Parameter, um die häufig instabile Blutzuckereinstellung adäquat zu beurteilen. Ob alternativ die Bestimmung der Fructosamine bei niereninsuffizienten Patienten einen Vorteil bringt ist zweifelhaft; bei Vergleich der Blutzuckerprotokolle mit den Fructosamin-Konzentrationen konnte keine Korrelation festgestellt werden [9].

Zusammenfassend existiert eine Reihe, vor allem methodologisch bedingter Einflussmöglichkeiten auf den HbA1c-Wert. Klinisch bedeutsam sind in erster Linie Erkrankungen mit einer verkürzten Erythrozytenlebensdauer. Bei Zweifeln über die Qualität der Stoffwechseleinstellung sollte eine Blutzuckerselbstmessung durch den Patienten angestrebt werden. Insbesondere bei insulintherapierten Patienten sind gelegentlich katastrophal schlechte Blutzuckereinstellungen und diskrepant dazu gute HbA1c-Werte festzustellen. Zugrunde liegt stets ein »Schaukel-Diabetes« mit häufigen Hypo- und Hyperglykämien.

Letztlich ist der HbA1c ein in den meisten Situationen valider Verlaufsparameter der Blutzuckereinstellung. Er kann nicht die Interpretation von Blutzuckerprotokollen durch den hierin versierten Arzt ersetzen.

Literatur

  • 1 Niederau C M, Reinauer H. Glykämie-Langzeitparameter. In: Thomas L (Hrsg.) Labor und Diagnose. 5. Auflage. TH-Books Verlagsgesellschaft, Frankfurt/Main 1998: 145-152
  • 2 Chantelau E. Decay of hemoglobin A1c upon return to normoglycemia.  Diabetologia. 1992;  35 191-192
  • 3 Kilpatrick E S. Problems in the assessment of glycaemic control in diabetes mellitus.  Diab med. 1997;  14 819-831
  • 4 Weykamp C W, Penders T J, Muskiet F A, van der Slik W. Influence of hemoglobin variants and derivatives on glycohemoglobin determinations, as investigated by 102 laboratories using 16 methods.  Clin Chem. 1993;  39(8) 1717-1723
  • 5 Weykamp C W, Martina W V, van der Dijs F P, Penders T J, van der Slik W, Muskiet F A. Hemoglobins S and C: Reference values for glycohemoglobin in heterozygous, double-heterozygous and homozygous subjects, as established by 13 methods.  Clin Chim Acta. 1994;  231 161-167
  • 6 Koskinen L K, Korpela M M, Lahtela J T, Laipala P J, Pikkarainen P H, Koivula T. Effect of acetaldehyde and acetylsalicylic acid on HbA1c chromatography in the FPLC method with Mono S cation exchanger.  Clin Chim Acta. 1998;  275(1) 53-61
  • 7 Weykamp C W, Penders T J, Baadenhuijsen H, Muskiet F A, Martina W V, van der Slik W. Vitamin C and glycohemoglobin.  Clin Chem. 1995;  41(5) 713-716
  • 8 Weykamp C W, Penders T J, Siebelder C W, Muskiet F A, van der Slik W. Interference of carbamylated and acetylated hemoglobins in assays of glycohemoglobin by HPLC, electrophoresis, affinity chromatography, and enzyme immunoassay.  Clin Chem. 1993;  39(1) 138-142
  • 9 Morgan L, Marenah C B, Jeffcoate W J, Morgan A G. Glycated proteins as indices of glycaemic control in diabetic patients with chronic renal failure.   Diabet Med . 1996;  13(6) 514-529

Dr E Purucker

Medizinische Klinik III, Universitätsklinikum der RWTH

Pauwelsstraße 30

52074 Aachen