Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(15): 417
DOI: 10.1055/s-2001-12724
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Stand der klinischen Elektrophysiologie in der Kardiologie

Status of clinical electrophysiology in cardiology
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)

Prof. Dr. H. Klein, Magdeburg

Prof. Dr. E. Erdmann, Köln

Die klinische Elektrophysiologie hat in den letzten 30 Jahren eine schnelle und faszinierende Entwicklung genommen und ist von zunächst fast ausschließlicher Diagnostik und Beschreibung der Herzrhythmusstörungen zu einem weiten Feld komplexer antiarrhythmischer Behandlungsverfahren geworden. Für diese Entwicklung war die zelluläre und molekulare Elektrophysiologie eine wichtige Voraussetzung.

EKG, Langzeit-EKG und sogar das Vektor-EKG haben bei der Erkennung des Risikos eines plötzlichen Herztodes eine Erweiterung der Interpretationsmöglichkeit durch Bestimmung der Herzfrequenzvariabilität, des T-Wellen Alternans, der QT-Dauer und der so genannten Heart Rate Turbulence erfahren. Dennoch blieb bisher der positiv prädiktive Wert dieser nicht invasiven Risikostratifizierung unbefriedigend niedrig. Nur noch geringe Bedeutung haben derzeit die so genannten Spätpotentiale und die zahlenmäßige Erfassung der Extrasystolen im Langzeit-EKG oder die früher viel verwendete so genannte Lown-Klassifikation.

Die programmierte Elektrostimulation hat nach der Einführung durch H. J. J.Wellens eine unumstrittene Bedeutung für die Diagnostik der supraventrikulären und ventrikulären Tachyarrhythmien gewonnen und ist für die Risikostratifikation die derzeit zuverlässigste Provokationsmethode. Dies wurde erst kürzlich durch große Studien zur Primärprävention des plötzlichen Herztodes bewiesen. Als Instrument zur Überprüfung einer wirksamen medikamentösen antiarrhythmischen Therapie hat sie allerdings versagt und gilt als verlassen. Für die genaue Analyse des Entstehungsortes und der Erregungsausbreitung supraventrikulärer und ventrikulärer Tachykardien sind komplexe »Mapping-Verfahren« mit Multi-Elektrodenkathetern, das elektro-anatomische Mapping-Verfahren (Carto-System) und das so genannte non-contact Mapping (Ensite-System) eingeführt worden. Diese aufwendigen und teuren diagnostischen Instrumentarien haben die Behandlungserfolge enorm verbessert, die konventionelle Röntgendurchleuchtung dennoch nicht überflüssig gemacht.

Ein erst am Anfang seiner Entwicklung stehendes Verfahren ist die chromosomale Aufschlüsselung bestimmter Herzrhythmusstörungen, zum Beispiel bei den verschiedenen QT-Syndromen und dem erst kürzlich beschriebenen Brugada-Syndrom mit der atypischen Rechtsschenkelblock-Konfiguration. Es besteht berechtigte Hoffnung, durch genaue Chromosomenanalyse eine gezieltere medikamentöse Therapie und eine bessere Prognoseeinschätzung zu erreichen.

In jüngster Zeit hat die Molekularbiologie das Verständnis über die Entwicklung des Vorhofflimmerns erweitert und es ist zu erwarten, dass andere Substanzen als »klassische« Antiarrhythmika, nämlich ACE-Hemmer oder ähnliche anti-proliferative Pharmaka, das Übergehen von paroxysmalem in permanentes Verhofflimmern verhindern.

Die derzeit zur Verfügung stehenden Antiarrhythmika haben enttäuscht und sich eher als gefährlich herausgestellt. Auch Amiodaron hat die Hoffnungen bei der Primärprävention lebensbedrohlicher Herzrhythmusstörungen nicht erfüllt. Bessere Antiarrhythmika sind kurzfristig nicht in Sicht. Hier klaffen Ionenkanalforschung und klinische Anwendbarkeit noch weit auseinander.

Im Gegensatz zur medikamentösen Therapie haben die nicht-medikamentösen Verfahren, wie Hochfrequenz-Katheterablation und die implantierbaren Defibrillatoren, eine große Bedeutung erlangt. Mit der Hochfrequenzstromablation werden punktförmige Läsionen oder längere Läsionslinien erzeugt, die spezielle Leitungsbündel unterbrechen können, Arrhythmiefoci vernarben oder kreisende Erregungsfronten dauerhaft unterbrechen. Ob Hochfrequenzstrom die einzige Energiequelle bleiben wird, erscheint fraglich. Erste Ergebnisse mit Ultraschall- oder auch Kryo-Energie sind vielversprechend.

Der technologische Forschritt der implantierbaren Defibrillatoren verläuft rasant und gelegentlich hinkt die zu beantwortende klinische Fragestellung dieser technischen Entwicklung hinterher. Das gesamte Armamentarium der antibradykarden Schrittmacherbehandlung, der antitachykarden Stimulation, der Mehrkammerstimulation und ein ausreichend großes Elektrogramm-Speichervermögen sind heute in den Defibrillatoren enthalten. Wichtige Fragen nach der Wirksamkeit der Sekundär- und Primärprävention des plötzlichen Herztodes sind in prospektiven Studien positiv beantwortet worden oder werden in Kürze beantwortbar sein.

Der jüngste Erfolg der Schrittmachertherapie liegt in der Behandlung der schweren Herzinsuffizienz durch biventrikuläre Stimulation. Die Resynchronisation des gestörten, asynchronen Kontraktionsablaufes der Ventrikel bei einem Teil der Patienten mit ausgeprägter Herzinsuffizienz und Linksschenkelblock ist durch Stimulation beider Ventrikel möglich geworden und es konnte gezeigt werden, dass die klinische Herzinsuffizienz deutlich reduziert wurde. Wenn auch die bisherigen Ergebnisse der prospektiven Studien der Resynchronisationstherapie positiv sind, so bleiben Langzeit-Resultate abzuwarten. Der nächste Schritt wird die Kombination der biventrikulären Stimulation mit der ICD-Therapie sein, denn der herzinsuffiziente Patient trägt ein großes Risiko, durch plötzlichen Herztod zu versterben.

Zwei Themen der klinschen Elektrophysiologie beherrschen derzeit die wissenschaftlichen Tagungen: Das Vorhofflimmern und der plötzliche Herztod. Molekularbiologische Verfahren und gentechnologische Fragestellungen haben sich in die »reine« Elektrophysiologie eingeklinkt und diese Kooperation muss gefördert werden.

Prof. Dr. H. KleinMagdeburg Präsident der 67. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung, Herausgeber dieses Heftes 
Prof Dr. E. Erdmann

Köln

Schriftleiter der DMW, Herausgeber dieses Heftes