Rehabilitation (Stuttg) 2000; 39(6): 315-316
DOI: 10.1055/s-2000-8947
EDITORIAL
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Aktuelle Entwicklungen in der onkologischen Rehabilitation

Uwe  Koch
  • Hamburg
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2000 (online)

Krebserkrankungen sind durch eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen und gravierenden Krankheitsfolgen gekennzeichnet und führen bei den Betroffenen zu vielfältigen Einschränkungen in zentralen Lebensbereichen. Der Bedarf an rehabilitativen Massnahmen hat sich in den letzten Jahren auch durch die mit erheblichen Nebenwirkungen verbundenen Therapiemaßnahmen (vor allem Radio- und Chemotherapie) und die durch sie erreichten höheren Überlebenschancen kontinuierlich erhöht.

Als wichtige Rehabilitationsziele der Krebsrehabilitation gelten die Wiederherstellung der körperlichen Gesundheit, der psychischen und sozialen Funktionsfähigkeit und die Stabilisierung der persönlichen, familiären und beruflichen Situation. In diesem Zusammenhang zielen die Rehabilitationsmaßnahmen darauf, die Betroffenen bei der Bewältigung ihrer Krankheit und deren Folgen zu unterstützen, Erkrankungs- und Therapiefolgestörungen zu behandeln, kompensatorische Fähigkeiten zu fördern, gesundheitsgefährdende Verhaltensmuster zu verändern und die berufliche Reintegration des Patienten zu unterstützen. Gegebenenfalls sind die Fortsetzung medikamentöser Therapien und Massnahmen zur Früherkennung von Rezidiven angezeigt. Die Unterschiedlichkeit der Krankheitsfolgen von Krebspatienten erschwert die Realisierung standardisierter Rehabilitationskonzepte und erfordert individuelle rehabilitative Therapieplanungen.

Das deutsche Gesundheitswesen trägt dem geschilderten Rehabilitationsbedarf bei Krebspatienten durch ein umfangreiches rehabilitatives Angebot Rechnung. So führt allein die Rentenversicherung als in diesem Bereich bedeutendster Kostenträger in den von ihr federführend belegten onkologischen Fachkliniken jährlich etwa 100 000 Maßnahmen durch. Diese werden entweder als Anschlussheilmaßnahmen oder als allgemeine Heilverfahren durchgeführt. Eine Begleitung durch den Partner des Patienten ist dabei grundsätzlich möglich. Die Inanspruchnahme rehabilitativer Massnahmen ist abhängig von Faktoren wie Geschlecht, Alter und Krebsdiagnose. So nehmen deutlich mehr Frauen solche Angebote wahr, ältere Patienten sind, legt man die altersbezogenen Inzidenzraten zugrunde, unterrepräsentiert. Während ca. 60 % der Brustkrebserkrankten an Rehabilitationsmaßnahmen teilnehmen, sind es bei den Hautkrebspatienten nur ca. 3 %.

Eine Besonderheit der onkologischen Rehabilitation liegt darin, dass die Rentenversicherung berechtigt ist, die Maßnahmen bei Versicherten zu erbringen, ohne dass die bei anderen Indikationen notwendige sozialmedizinische Erfolgsprognose bezüglich der Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit vorgenommen werden muss. Die Verbesserung der Lebensqualität ist genuines Ziel der onkologischen Rehabilitation.

Typisch für die onkologische Rehabilitation in Deutschland ist die international keineswegs übliche starke stationäre Orientierung, die von den Kostenträgern und Kliniken mit den damit gegebenen besseren Möglichkeiten, einen ganzheitlichen und umfassenden Rehabilitationsansatz zu verwirklichen, begründet wird. Die onkologischen Fachkliniken verfügen über interdisziplinäre Teams und über eine - im Vergleich zu den onkologischen Akutkliniken - erheblich bessere personelle Ausstattung für psychoonkologische Therapieangebote.

Die im Zusammenhang mit der Krebsrehabilitation geführte kritische Diskussion bemängelt u. a. Schwierigkeiten einer spezifischen Bedarfsfeststellung, die fehlende Spezifität der rehabilitativen Angebote, das Fehlen wohnortnaher rehabilitativer Konzepte und die nur begrenzte Einbindung in das onkologische Versorgungssystem. Kritisch gefragt wird auch, ob die onkologischen Fachkliniken für alle Krebspatienten mit Rehabilitationsbedarf ein besonders geeigneter Ort sind. Hier ist die Belastung durch die Konfrontation mit dem Leid der anderen Patienten gegen die Entlastungsfunktion der Klinik abzuwägen. Die Vorbehalte gegenüber der onkologischen Rehabilitation werden von einem Teil der im Krankenhaus wie in der niedergelassenen Praxis tätigen Ärzte mitgetragen, was sich dann in einer zurückhaltenden Zuweisung von Patienten niederschlägt. Anzumerken ist allerdings, dass die Kritik an der Krebsrehabilitation hier zum Teil mit erheblichen Informationsdefiziten einhergeht.

Das zum 1.1.1997 in Kraft getretene Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) wie auch strukturelle Veränderungen in der stationären Akutversorgung haben in den letzten Jahren erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Rehabilitation von Krebskranken nach sich gezogen. So wurden die durchschnittliche Verweildauer verkürzt und Wiederholungsmaßnahmen deutlich erschwert. Die Akutkliniken sind, wenn sie Rehabilitationsmaßnahmen einleiten, zunehmend daran interessiert, Patienten möglichst früh in die Rehabilitation zu verlegen. Als Konsequenz beklagen die in den Rehabilitationskliniken tätigen Onkologen neben allgemeinen Belegungsproblemen die Zunahme von schwer erkrankten Patienten, bei denen sie die Rehabilitationsfähigkeit zum Teil als fraglich einschätzen. Die Frage, ob bei der veränderten Zusammensetzung der Patienten und den verkürzten Rehabilitationszeiten die angestrebten Rehabilitationsziele (noch) erreichbar sind, bedarf neuer Evaluationsstudien.

Bei aller kritischen Hinterfragung der Krebsrehabilitation ist allerdings auch auf zahlreiche Verbesserungsansätze hinzuweisen. Zu nennen sind hier u. a. Anstrengungen, die rehabilitationsonkologische Diagnostik zu verbessern, die Maßnahmen problemorientierter und individueller zu gestalten und Modelle zur stärkeren Vernetzung von akuter und rehabilitativer Versorgung und der Nachsorge zu implementieren. Des Weiteren beteiligen sich die onkologischen Rehabilitationskliniken am Qualitätssicherungsprogramm der Rentenversicherung und stellen im rehabilitationswissenschaftlichen Verbundforschungsprogramm (VDR, BMBF) einen wichtigen Themenschwerpunkt dar. Auch ist zu erwähnen, dass inzwischen erste Modelle zu ambulanten Angebotsformen in der onkologischen Rehabilitation erprobt werden.

Letztlich ist bei der Einschätzung des Nutzens der onkologischen Rehabilitation auch in Betracht zu ziehen, dass Krebsrehabilitanden diesen überwiegend positiv einschätzen und die Akutkliniken gegenwärtig nicht in der Lage sind, die vielfältigen für eine angemessene rehabilitative Behandlung erforderlichen Leistungen zu erbringen.

Mit dem hier vorgelegten Schwerpunktheft „Onkologische Rehabilitation” wird versucht, einige aktuelle Entwicklungen in diesem wichtigen rehabilitativen Versorgungsbereich zu verdeutlichen. In der Arbeit von Härter et al. wird eindrucksvoll die hohe Inzidenz komorbider psychischer Störungen bei Krebspatienten in der Rehabilitation dokumentiert. Diese begründet die besondere Berücksichtigung psychoonkologischer Interventionen im Rahmen der stationären Rehabilitation. Bergelt, Welk und Koch beschreiben und analysieren die Erwartungen, Befürchtungen und Therapieziele von Krebsrehabilitanden zu Beginn einer stationär durchgeführten medizinischen Rehabilitation. Die Ergebnisse weisen darauf hin, wie wichtig eine systematische Vorbereitung der Patienten auf die beginnende rehabilitative Behandlung ist. Weiterhin zeigt sich, dass bezüglich der rehabilitativen Zielsetzungen eine klarere Priorisierung sowie ein stärkerer Austausch über diese Ziele zwischen Patienten und behandelnden Ärzten erforderlich ist. Kroll und Petermann zielen in ihrem Beitrag auf eine Verbesserung der Langzeitprognose von krebskranken Kindern und Jugendlichen. Sie beschreiben vor allem unter entwicklungspsychologischer Perspektive die Bedingungen, konzeptuellen Voraussetzungen und erforderlichen Maßnahmen einer schulischen und sozialen Rehabilitation im Bereich der pädiatrischen Onkologie. Die Autorengruppe Delbrück, Bartsch, Kruck und Schmid definieren in drei getrennten Beiträgen Kriterien und Mindestansprüche in Bezug auf Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität in der stationären onkologischen Rehabilitation. Sie vertreten dabei in ihren Ausführungen die Position des Vorstands der Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Nachsorge und Sozialmedizin (ARNS) in der Deutschen Krebsgesellschaft.

Das ambulant/teilstationäre Modell der onkologischen Rehabilitation der Arbeitsgemeinschaft für die Krebsbekämpfung in Nordrhein-Westfalen wurde gemeinsam von einer Berliner und einer Hamburger Forschungsgruppe evaluiert. Die Ergebnisse (Koch et al.) zeigen, dass onkologische Rehabilitation zumindest für Teilgruppen auch unter diesen Setting-Bedingungen erfolgreich realisiert werden kann. Die Entwicklung und Erfordernisse der Nachsorge von Krebspatienten durch den niedergelassenen Onkologen werden in dem abschließenden Beitrag von Kleeberg beschrieben.

Die Herausgabe dieses Schwerpunktheftes ist mit der Hoffnung verbunden, dass die Beiträge die Bedeutung dieses wichtigen rehabilitativen Versorgungsbereiches sichtbar werden lassen, gleichzeitig soll gezeigt werden, dass auch dieser Bereich sich in einem intensiven Entwicklungs- und Umstrukturierungsprozess befindet.

Oktober 2000

Prof. Dr. Dr. Uwe Koch

Hamburg