Rehabilitation (Stuttg) 2000; 39(4): 200-204
DOI: 10.1055/s-2000-5898
ORIGINALARBEIT
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Klinische Studien in der Reha-Forschung - Probleme und Möglichkeiten aus biometrischer Sicht

Rainer Muche1 , Margrit Rösch2 , Steffen Flierl2 , Wilhelm Gaus2
  • 1Abt. Biometrie und Medizinische Dokumentation, Universität Ulm (Leiter: Prof. Dr. W. Gaus)
  • 2Forschungsinstitut für Rehabilitationsmedizin,Universität Ulm (Leiter: Prof. Dr. E. Jacobi)
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2000 (online)

Zusammenfassung:

Die Methodologie klinischer Studien zur Arzneimittelprüfung ist weit entwickelt. Klinische Studien sind aber auch zum Nachweis erwünschter und unerwünschter Wirkungen rehabilitationsmedizinischer Maßnahmen notwendig. Die Forderung nach einer „evidence based medicine” wird auch an der Rehabilitationsmedizin nicht vorübergehen. In der Rehabilitationsmedizin ist es aber sehr viel schwieriger als in der Arzneimittelforschung, methodisch überzeugende klinische Studien durchzuführen. Gründe dafür sind:

  • Eine „vergleichbare” Vergleichsgruppe ist zwingend notwendig, weil der Therapieerfolg auch durch die Selbstheilungskräfte des Körpers und durch unspezifische Maßnahmen entstehen kann. Wie aber könnte eine „Plazebo-Rehabilitation” aussehen?

  • Eine Maskierung der Therapiegruppe (Blindstudie) ist höchst selten möglich. Damit ist es schwieriger, Behandlungs- und Beobachtungsgleichheit zu erreichen.

  • Die erwünschte Wirkung einer Reha-Maßnahme tritt nur langsam ein und hält vielleicht nur eine gewisse Zeit an. Deshalb sind Nachuntersuchungen und Langzeitbeobachtungen erforderlich. Dies wiederum führt zu hohen Studienkosten, langer Studiendauer und vielen Dropouts.

  • Eine aktive und mentale Mitwirkung des Patienten ist in der Reha wichtiger als z. B. bei einer medikamentösen oder chirurgischen Therapie.

  • Geeignete Kriterien für den Therapieerfolg (Zielgröße, Outcome) existieren nicht immer. Das Erreichen der Arbeitsfähigkeit nach der Rehabilitation ist zwar wichtig, reliabel und valide, liefert aber nur ein Alternativmerkmal. Bei diesem minimalen Informationsgehalt können kleinere Fortschritte in der Reha-Medizin nur mit sehr großen Fallzahlen nachgewiesen werden. Bei zeitbasierten Zielgrößen gelingt dies auch bei praktikabler Fallzahl.

  • Eine streng zufällige Zuteilung der Therapie (Randomisation) ist Reha-Patienten schwieriger zu vermitteln als bei akuten Beeinträchtigungen der Gesundheit.

  • Manche Reha-Kliniken haben erst in den letzten Jahren Interesse an klinischen Studien entwickelt und deshalb noch wenig Erfahrung.

Trotzdem lassen sich auch in der Reha-Medizin klinische Studien durchführen, die überzeugende Ergebnisse liefern können. Dies erfordert jedoch u. a. eine biometrische Betreuung der Planung, Durchführung und Auswertung der Studien. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Methodik des Studiendesigns und der Praktikabilität der Studiendurchführung. Gerade an diesen Punkten sollten Reha-Mediziner und Biometriker gemeinsam arbeiten.

Clinical Studies in Rehabilitation Research - Problems and Solutions from the Biometrical Point of View:

Methodology of clinical studies is highly sophisticated in drug research. But clinical trials are also necessary to demonstrate efficacy and safety of rehabilitation treatment. The call for evidence based medicine has also reached rehabilitation. However, in rehabilitation medicine it is much more difficult to design and conduct clinical trials with a high methodological standard. Among the reasons are:

  • A comparable control group is necessary because spontaneous healing and unspecific measures contribute to therapeutic success, too. But what could „placebo rehabilitation” look like?

  • The masking of therapies (blinded studies) will hardly ever be possible. Therefore, it is more difficult to achieve the same treatment and observation for the treatment and control group.

  • Treatments in rehabilitation take longer to become effective than a drug and maybe the success will disappear after some time. Therefore, long-term trials and follow-ups are necessary. Such studies are expensive, need a strong organisation, and drop-outs are unavoidable.

  • An appropriate outcome variable does not always exist. „Return to work” is an important, reliable and valid variable, but it delivers only one bit of information per patient. As a consequence, smaller progress in rehabilitation can only be demonstrated with large sample sizes. Outcome variables based on time enable studies with reasonable sample sizes.

  • Sometimes it is more difficult to obtain acceptance of randomisation in rehabilitation patients than in acute patients.

  • Some rehabilitation hospitals have only recently begun to take an interest in controlled clinical trials, hence are not so experienced.

Nevertheless, controlled clinical trials delivering convincing results are possible in rehabilitation medicine as well. But biometrical consultation is necessary e.g. for study design, study conduction and evaluation. Most important points are the methodology of the study design and its practicability. Especially in these topics rehabilitation physicians and biometrician have to cooperate.

Literatur

  • 1 Gaus W, Högel J. Studies on the efficacy of unconventional therapies. Problems and design.  Arzneimittelforschung/Drug Research. 1995;  45 88-92
  • 2 Gawlik C S, Abholz H-H, Burkhard B B, Gaus W, Köbberling J, Sehr-Ricken U M. Beurteilung klinischer Therapiestudien: Mindeststandards für den Arbeitsalltag.  Dt Ärzteblatt. 1998;  95(19) A1155-A1160
  • 3 Guggenmoos-Holzmann I. Planung und Auswertung von Studien in Diagnostik, Therapie und Prognose. In: Seelos H-J (ed) Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Berlin; de Gruyter 1997
  • 4 Jacobi E, Rösch M, Alt B. Rehabilitationswissenschaftlicher Forschungsverbund Ulm - „Bausteine der Reha”.  Die Rehabilitation. 1998;  37 Suppl 2 111-116
  • 5 Leidl R. Der Effizienz auf der Spur: Eine Einführung in die ökonomische Evaluation. In: Schwartz FW, Badura B, Leidl R, Roppe H, Siegrist J (eds) Das Public Health Buch. München; Urban & Schwarzenberg 1998: 346-369
  • 6 Porzsolt F, Gaus W, Hart D. Der Therapieoptimierungsvergleich (TOPV): Ein Verfahren zum Vergleich der Qualität therapeutischer Maßnahmen.  FORUM DKG. 1996;  11 88-95
  • 7 Schliehe F, Haaf H-G. Zur Effektivität und Effizienz der medizinischen Rehabilitation.  Deutsche Rentenversicherung. 1996;  (10-11) 666-689

Korrespondenzanschrift:

Dr. Rainer Muche

Universität Ulm Abteilung Biometrie und Medizinische Dokumentation

89069 Ulm

eMail: rainer.muche@medizin.uni-ulm.de