Gesundheitswesen 2000; 62(7): 416-418
DOI: 10.1055/s-2000-12592
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das Risiko der Patientengefährdung
durch Hepatitis-B-infektiöse Operateure:
Die Gesundheitsüberwachung des medizinischen Personals in Krankenhäusern muss auf den Prüfstand

F. J.  Beier
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Mit Interesse haben wir den Beitrag von Dr. Beier in der Zeitschrift „Das Gesundheitswesen” (2/2000) über das Risiko der Patientengefährdung durch Hepatitis-B-infektiöse Operateure gelesen [1]. Wir begrüßen es, dass endlich auch in Deutschland eine Diskussion zu dieser Thematik entsteht und Ihre Zeitschrift dazu einen konstruktiven Beitrag leistet [1] [2].

Dr. Beier schildert in seinem Beitrag einen guten Lösungsansatz, indem die Krankenhäuser bei der Einstellung von medizinischem Personal den Hepatitis-B-Impfschutz überprüfen bzw. die entsprechenden Schutzimpfungen durchführen. Seine Sichtweise, dass der mittelfristig aussichtsreichste Weg zur Beseitigung von Impflücken eine arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Vorlage eines Hepatitis-B-Impfnachweises bei Neueinstellungen sein dürfte, teilen wir jedoch nicht vollständig. Unserer Meinung nach liegt die Lösung schon im Vorfeld, d. h. im Medizinstudium bzw. in der Ausbildung von medizinischem Personal. Denn wenn während des Studiums bzw. während der Ausbildung intensiver über impfmedizinische Aspekte bzw. Infektionskrankheiten unterrichtet werden würde, ließen sich, aufgrund des besseren Verständnisses für die Notwendigkeit von Impfungen, vorhandene Impflücken besser schließen. Auf diese Weise könnte dann auch eine Gefährdung von Studierenden bzw. des medizinischen Personals während der Ausbildung reduziert werden.

Tab. 1 Soziodemographische Daten und Ergebnisse der Inzidenzschätzung von Virushepatitiden sowie Sterbefällen an „Leberzirrhose” durch Medizinstudierende und Krankenpflegepersonal Medizinstudierende im 5. Semester (n = 93) Krankenpflegepersonal (n = 50) Alter 22,3 Jahre 35,0 Jahre Geschlecht w = 60 m = 32 w = 40 m = 10 Median und Quartile der Virushepatitis-Inzidenschätzung 10 000 Fälle [1. Quartile: 2 000 Fälle 3. Quartile: 50 000 Fälle] 5 000 Fälle [1. Quartile: 500 Fälle 3. Quartile: 52 500 Fälle] Median und Quartile der Schätzung von an „Leberzirrhose” Verstorbenen 12 000 Fälle [1. Quartile: 5 000 Fälle 3. Quartile: 50 000 Fälle] 15 000 Fälle [1. Quartile: 1 000 Fälle 3. Quartile: 42 500 Fälle] prozentualer Anteil der Befragten mit richtiger Schätzung a) Virishepatitis-Inzidenz(15 167 ± 2000 Fälle) b) An „Leberzirrhose” Verstorbene(19 202 ± 2000 Fälle) a) 0,0 % b) 13,7 % a) 0,0 % b) 13,2 % Impfschutz gegen Hepatitis B nicht geimpft: 21,6 % Grundimmunisierung (z. T. mit Auffrischimpfung): 75 % Impfschutz unbekannt: 3,4 % nicht geimpft: 8,3 % Grundimmunisierung (z. T. mit Auffrischimpfung): 91,7 %

In unseren Untersuchungen zum Wissen von Medizinstudierenden über die Epidemiologie der Virushepatitiden in Deutschland haben wir versucht zu ermitteln, welcher Informationsstand bei Medizinstudierenden zu dieser Problematik vorliegt [3] [4]. Wir haben insgesamt 410 Medizinstudierende (2. und 9. Semester) befragt, wie sie die jährliche Inzidenz der Virushepatitiden und der Sterbefälle durch Leberzirrhose in der Bundesrepublik Deutschland einschätzen. Insgesamt fällt dabei auf, dass das infektionsepidemiologische Wissen der Medizinstudierenden über hepatische Erkrankungen defizitär ist. Auf der Grundlage der jährlich gemeldeten offiziellen Hepatitisfälle wird deutlich, dass sowohl die Studierenden im 2. als auch die im 9. Semester die jährliche Inzidenz deutlich unterschätzen. Wenn man bedenkt, dass die Inzidenz sämtlicher Virushepatitiden wegen inapparenter Verläufe bzw. inkonsequentem Meldeverhalten wahrscheinlich 8- bis 10fach höher liegt als die offiziellen Zahlen, ist die Unterschätzung der Inzidenz noch wesentlich drastischer. Auf der anderen Seite wird die Inzidenz der an Leberzirrhose Verstorbenen von beiden Substichproben eher überschätzt, vor allem deshalb, weil schätzungsweise nur ungefähr die Hälfte der Leberzirrhosen durch eine Virushepatitis entstanden ist.

Inzwischen haben wir Ende 1999 unsere Untersuchungen an Medizinstudierenden eines dritten Universitätsstandortes in Deutschland sowie an Krankenpflegepersonal fortgeführt. Darüber hinaus haben wir versucht, den Hepatitis-B-Impfschutz zu ermitteln. Diese bislang unveröffentlichten Ergebnisse möchten wir Ihnen hier kurz zur Verdeutlichung der Problematik präsentieren.

Untersucht wurden insgesamt 93 Medizinstudierende des 5. Semesters (73,8 % des gesamten Semesters) gegen Ende des Kurses für „Medizinische Mikrobiologie” und eine repräsentative Stichprobe von Krankenpflegepersonal (n = 50) in einem akademischen Lehrkrankenhaus. Dabei zeigt sich, dass auch von diesen beiden Stichproben die Inzidenz der Virushepatitiden deutlich unterschätzt wird (gemessen an den offiziell gemeldeten Zahlen [5]) und keine der befragten Personen richtige Angaben zur jährlichen Inzidenz machen kann (siehe Tab. [1]). Lediglich die Überschätzung der jährlich an „Leberzirrhose” verstorbenen Patienten [6] ist weniger ausgeprägt als in den vorangehenden Untersuchungen.

Beunruhigende Ergebnisse zeigen sich auch bei der Untersuchung des vorhandenen Impfschutzes gegen Hepatitis B: Ungefähr ein Viertel der Medizinstudierenden ist nicht gegen Hepatitis B geimpft bzw. nicht über den eigenen Impfschutz informiert. Bei dem Krankenpflegepersonal, das immerhin einer betriebsmedizinischen Überwachung unterliegt, sind ca. 8 % des Personals nicht gegen Hepatits B geimpft (siehe Tab. [1]).

Die Ergebnisse zeigen, dass es nicht nur im Medizinstudium zu einer verzerrten Einschätzung von für die Praxis relevanten bzw. infektionsepidemiologischen Problematiken kommt. Auch das Krankenpflegepersonal, welches aufgrund des engeren Kontaktes zu Patienten noch wesentlich stärker durch Hepatitis gefährdet ist als ärztliches Personal, ist sich über das Ausmaß der Hepatitissituation in Deutschland nicht bewusst.

Da die Untersuchung an drei verschiedenen medizinischen Fakultäten sowie in einem akademischen Lehrkrankenhaus stattfand, handelt es sich nicht um ein regionales Phänomen, sondern es spiegelt das Problem wider, dass impfmedizinische, infektiologische und arbeitsmedizinische Aspekte während des Medizinstudiums bzw. der Krankenpflegeausbildung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Um diesen Zustand zu ändern, sollte sich vor allem die universitäre Ausbildung von Medizinstudierenden vor allem in der heutigen Zeit wieder intensiv dem Problem der Infektionskrankheiten, der Infektionsepidemiologie, der Impfmedizin und besonders den Virushepatitiden zuwenden. Somit ließe sich innerhalb weniger Jahre das Problem des Hepatitis-B-infektiösen medizinischen Personals deutlich reduzieren. Ansonsten besteht die Gefahr, dass vor allem Virushepatitiden nicht erkannt werden und weiterhin durch nicht eingeleitete Schutzmaßnahmen bzw. fehlende Impfungen medizinisches Personal gefährden bzw. sich in der Bevölkerung verbreiten. Dass bis dahin die Krankenhäuser den Impfschutz bei ihrem Personal überprüfen, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Dr. med. Jörg Klewer

Prof. Dr. med. Joachim Kugler

Professur für Gesundheitswissenschaften/Public Health

Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus

TU Dresden

Fetscherstraße 74

01307 Dresden

E-mail: Joklewer@aol.com

Literatur

  • 1 Beier F J. Das Risiko der Patientengefährdung durch Hepatitis-B-infektiöse Operateure: Die Gesundheitsüberwachung des medizinischen Personals in Krankenhäusern muss auf den Prüfstand.  Gesundh Wes. 2000;  62 64-70
  • 2 Nassauer A. Der Betriebsarzt im Spannungsfeld zwischen Schweigepflicht und Meldepflicht.  Bundesgesundheitsbl-Gesundheitsforsch-Gesundheitsschutz. 1999;  42 481-485
  • 3 Klewer J, Seelbach H, Kugler J. Epidemiologie der Virushepatitiden in Deutschland - Für Medizinstudierende ein unbekanntes Gebiet.  Leber Magen Darm. 1998;  28 122-127
  • 4 Klewer J. Mangelhaftes Wissen zur Epidemiologie der Virushepatitiden unter deutschen Medizinstudierenden.  Bundesgesundheitsbl-Gesundheitsforsch-Gesundheitsschutz. 1999;  42 885-886
  • 5 Robert Koch-Institut .Wochenstatistik ausgewählter meldepflichtiger Infektionskrankheiten. Epidem Bull 2000; Nr. 7: 58-59. Stuttgart; Metzler-Poeschel 1998: 424-425
  • 6 Bundesamt für Statistik (Hrsg) .Statistisches Jahrbuch 1998. Stuttgart; Metzler-Poeschel 1998: 424-425

Dr. med. Fred-Jürgen Beier M. A.

Gesundheitsamt der Stadt Nürnberg
Koordination Ärztliche Dienste

Burgstraße 4

90403 Nürnberg

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